So spüren KMU den Ukraine-Krieg

Obwohl Schweizer KMU bereits die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine spüren, rechnet der Grossteil mittelfristig noch nicht mit finanziellen Schwierigkeiten. In besonders betroffenen Branchen könnten teure oder nicht mehr verfügbare Energie und Rohstoffe KMU zukünftig in Existenzkämpfe bringen.

Grafik Economiesuisse

Derart zeigten sich Schweizer KMU im vergangenen März gegenüber einer Umfrage von Economisuisse vom Ukraine-Krieg betroffen. Nur Branchen mit mehr als 10 Antworten sind aufgeführt.

Wie schätzen Deutschschweizer KMU die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs in den nächsten zwölf Monaten auf ihr Geschäft ein? Dies wollte die School of Management and Law der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wissen und befragte dafür im vergangenen März 197 Unternehmensvertreter aus der Deutschschweiz.
Die Haupterkenntnisse des ZHAW-Panels: 57.4 Prozent erwarten aufgrund der geopolitischen Lage negative oder sehr negative (3 Prozent) Auswirkungen auf ihre Geschäftstätigkeiten. Besonders kritisch eingestellt sind die Angehörigen der Branchengruppen Herstellung von chemisch-pharmazeutischen Erzeugnissen, Herstellung von sonstigen Waren, Detailhandel sowie der Maschinen- und Elektroindustrie.


Stabile Finanzen
Trotz erwarteten negativen Auswirkungen bleiben drei Viertel der befragten Unternehmen optimistisch. Sie erwarten im selben Zeitraum keine finanziellen Schwierigkeiten. Eine im vergangenen März von economiesuisse veröffentlichte Studie stellte fest, dass die Kriegsbetroffenheit bei der Chemie-, Elektro- und Metallindustrie am grössten sei und dies aus zwei Hauptgründen: Einerseits betrieben einige Unternehmen Standorte in Russland und Weissrussland oder würden von dort Rohstoffe beziehen. Andererseits bestünden Exportverbote, welche viele hiesige Unternehmen als Zulieferer für europäische Produzenten oftmals auch indirekt betreffen würden. Auch der Tourismus zeigte in der Umfrage von economisuisse eine grosse Kriegsbetroffenheit.


Guter Dinge in den Sommer
Ein paar Monate später bestätigt Liên Burkard, Mediensprecherin Schweiz Tourismus, dass vor allem einzelne Destinationen aus dem Luxus-Segment von fehlenden russischen Gästen betroffen sind. So sei aus der Branche zu hören, dass etwa St. Moritz verhältnismässig stark betroffen sei oder auch Luxushotels am Vierwaldstättersee sowie auf Gesundheitsangebote spezialisierte Hotels. «Es hat sich allerdings auch gezeigt, dass der Konflikt in Europa die Gäste aus anderen Fernmärkten nicht so stark von einer Reise nach Europa und in die Schweiz abgehalten hat, wie zu Beginn angenommen», sagt Burkard. Eine von Schweiz Tourismus Mitte Juni durchgeführte Branchenumfrage habe zudem ergeben, dass die hiesige Tourismusbranche zufrieden auf die bevorstehende Sommersaison blicke. Liên Burkard geht jedoch davon aus, dass – je länger der Ukraine-Konflikt dauert – die steigenden Rohstoffpreise das Tourismusangebot verteuern werden – etwa durch teurere Flüge oder steigende Heizkosten der Hotels. Auch der erstarkende Schweizer Franken könnte für ausländische Touristen zum Hindernis werden.

Explodierende Energiekosten
Bereits gespürt haben die steigenden Preise die Handelsfirmen – etwa die Unternehmen aus dem Stahlgrosshandel: «Bereits mit Ausbruch des Krieges explodierten die Energiekosten», blickt Andreas Steffes, Mitglied der Geschäftsleitung bei Handel Schweiz, zurück. Zahlreiche Stahlwerke für Bewehrungsstahl hätten informiert, dass sie ihre Produktion einstellen müssten.
Aufgrund von Lieferausfällen hätte dies in der Schweiz zum Stillstand ganzer Baustellen führen können. Soweit ist es jedoch nicht gekommen. Der Stahlgrosshandel hat die Lieferengpässe laut Steffes über die bestehenden Lager auffangen können: «In allen Bereichen konnte mit Hartnäckigkeit und grossem Verständnis entlang der Wertschöpfungsketten schnell und unkompliziert eine Lösung gefunden werden», sagt Andreas Steffes.
Grundsätzlich sei die Nachfrage in vielen Segmenten des Handels noch immer gut bis ausgezeichnet. «Für den Handel ist die Ausgangslage also positiv», so Steffes weiter. «Ein Problem ist aber, dass die teuren Beschaffungspreise eine hohe Liquididät des Händlers erfordern, was viele KMU an ihre Grenzen bringt.»

Abhängigkeit vom Ausland
Auch die Nationalrätin Diana Gutjahr kennt den Stahlhandel gut. Als Mitinhaberin eines mittelgrossen Unternehmens im Stahl- und Metallbau war sie direkt von den beim Kriegsausbrauch explodierenden Energiekosten betroffen – und von einem drohenden Lieferausfall. Die massiven Preissteigerungen via Lagerbestände abfedern konnte Gutjahr nicht: «Wir haben im Stahlbau heute keine eigenen Lager mehr, sondern nutzen den Handel als verlängerte Werkbank just-in-time. Im Stahlbau ist heute jedes Teil anders, wodurch wir projektbezogen beschaffen müssen», erklärt die Unternehmerin und Präsidentin von metal.suisse. «Hier war die Kommunikation mit unseren Zulieferern intensiv und hat ein weiteres Mal gezeigt, wie wichtig die Pflege der Lieferanten-Kundenbeziehungen ist».
Hätte ihr Unternehmen in der aktuellen Situation alles über eigene Lager auffangen müssen, wäre es für eine KMU wie das ihre sehr schwer geworden, so die Präsidentin des Dachverbands der Stahl-, Metall- und Fassadenbauweise. «Diese Episode zu Kriegsbeginn zeigt mir persönlich aber auch, dass wir uns in eine extreme Abhängigkeit zum Ausland gebracht haben», so Gutjahr weiter. Dabei sei die Schweiz in der Stahlproduktion heute sehr gut aufgestellt. «In der Schweiz produzieren unsere Werke hochwertigen Stahl ausschliesslich über Recycling und mit grüner Schweizer Wasserkraft. Das gilt es zu unterstützen und zu fördern. Unsere Wirtschaft wäre deutlich widerstandsfähiger.»

Existenzielle Probleme
Besonders negativ betroffen vom Ukraine-Krieg ist die Branchengruppe Herstellung von chemisch-pharmazeutischen Erzeugnissen. «Für unsere Mitgliedsunternehmen sind Erdgas und Erdöl nicht nur als Energieträger, sondern auch als Basisstoffe für die Herstellung von Rohstoffen für die chemische Synthese wichtig», erklärt Pia Guggenbühl, Mitglied der Geschäftsleitung von scienceindustries, dem Wirtschaftsverband Chemie Pharma und Life Sciences. Laut Guggenbühl stellen die beispiellosen Kostensteigerungen im Bereich Energiebeschaffung infolge des Krieges sowie steigende Kosten für die Netznutzung ihre Industrien vor sehr grosse und ihre stromintensiven Unternehmen vor existenzielle Herausforderungen. «Dies trifft unsere KMU besonders stark, da sie mit einer anderen Kostenstruktur fahren», so Guggenbühl. «Unsere Mitgliedsunternehmen sind einerseits von einer kontinuierlichen Energieversorgung abhängig, um die Prozesse sicher zu führen und andererseits vom Zugang zu Ausgangsstoffen. Eine lediglich periodisch verfügbare Energieversorgung führt zu einer Einstellung der Produktion».

Neues Sorgenkind Gas
Ivo Zimmermann, Kommunikationschef bei Swissmem, dem Verband für KMU und Grossfirmen der Schweizer Tech-Industrie, berichtet von ähnlich gelagerten Problemen. Auch die Firmen in der Maschinen-, Elektro- und Metallbranche (MEM) sehen sich einerseits mit teilweise massiv steigenden Energiepreisen konfrontiert, andererseits mit teurer werdenden Rohstoffen und Vorprodukten. Letztere seien oft überhaupt nicht mehr verfügbar. «In der Konsequenz steigen die Produktionskosten, was sich negativ auf die ohnehin schon dünnen Margen der MEM-Firmen auswirkt», sagt Zimmermann. «Wenn wegen der fehlenden Rohstoffe und Vorprodukte die Produktion nicht vollumfänglich aufrechterhalten werden kann, drohen Auftrags- und Kundenverluste, was insbesondere KMU zusätzlich unter Druck setzt». Da rund ein Drittel des Energiebedarfs in der MEM-Industrie mit Gas gedeckt wird, sieht er zukünftig besonders die Gefahr einer Gasmangellage als bedrohlich und fordert: «Es muss ein Ruck durch das Land gehen, damit wir bei der Gas- und Stromversorgung die Hindernisse für eine mittelfristig garantierte Versorgungssicherheit so rasch als möglich beseitigen.»

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