«Wenn der das kann, kann ich das auch»

«Eine gute Forschung ist wichtig, aber wir sollten die guten Ideen auch kommerzialisieren», sagt Raphael Tobler, der Startup-Verbandspräsident. Der Aufstieg des Startup-Ökosystems Zürich überrascht ihn nicht.

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Raphael Tobler, Präsident und Gründer des Startup-Verbands.

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Auch für die Startup-Nights war Raphael Tobler (r.) bis zuletzt mitverantwortlich.

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Raphael Tobler, Präsident und Gründer des Startup-Verbands.

Das Startup-Ökosystem Zürich hat gemäss dem Global Startup Ecosystem Report 2023 weltweit den grössten Sprung gemacht, nämlich um zehn Plätze auf Rang 36. In der Greater Zurich Area finden sich die drei wichtigsten Zutaten für ein florierendes Startup-Ökosystem: Talente, Kapital und Kunden. Haben weitere Faktoren beigetragen?

Raphael Tobler: Es ist schwierig, das genau zu bestimmen oder genau auf Zürich zu begrenzen. Grundsätzlich haben wir sicher Glück, dass Zürich in Europa liegt mit stabilen Nachbarn rundherum – und dass Zürich in der Schweiz liegt. Weitere Faktoren, die man auch nur bedingt beeinflussen kann: Wir profitieren von der Finanzstärke und davon, dass Zürich ohnehin die Region Nummer eins für Startups ist. Die Anziehungskraft hat auch mit der ETH und weiteren Bildungsstätten zu tun, so etwa auch mit dem Aufstieg der ZHAW oder mit praxisorientierten Hochschulen wie der HWZ. Auch in anderen grossen Startup-Regionen gibt es immer auch grosse Universitäten und Fachhochschulen, die ein gutes Startup-Umfeld bieten.

Aber man muss auch sagen: Die Fachhochschulen und Universitäten hätten noch Potenzial. Viele Hochschulen könnten mehr im Bereich Innovation und StartupGründung tun. Eine gute Forschung ist wichtig, aber wir sollten die Ideen anschliessend auch kommerzialisieren.

Aber muss der Staat das wirklich noch weiter fördern und Starthilfe leisten? Müsste man nicht vielmehr fragen, ob genug Risikokapital zur Verfügung steht?

Tobler: Die Frage ist berechtigt: Ist es Aufgabe von Fachhochschulen oder Universitäten, mit Steuergeldern Startups zu fördern oder Innovationstage durchzuführen? Aus liberaler Sicht ist diese Diskussion wichtig. In der Schweiz wird jährlich ein sehr hoher Betrag in Forschung investiert. Es ist dann nicht clever, diese Forschung nicht auf den Markt zu bringen und keinen Gewinn zu generieren. Ein häufiges Szenario: Eine ausländische Firma übernimmt die Ansätze und Ideen, gründet um den jeweiligen Bereich ein Unternehmen und verdient damit Geld.

So ist es kein Konflikt zum Liberalismus, wenn der Staat sagt: Wir unterstützen die Forschung, sehen aber auch zu, dass damit auch Geld verdient wird und Arbeitsplätze geschaffen werden. Daher könnte vereinfacht gesagt etwas weniger Steuergeld in die Forschung und etwas mehr in die Gründung von Spinoffs und damit: die Verlagerung markttauglicher Ideen in den Markt fliessen.

Welche erfolgreichen Spinoffs fallen Ihnen ein, die zum Aufstieg des Startup-Ökosystems Zürich beigetragen haben?

Tobler: Da fällt mir aktuell ANY-botics ein, ein 2016 gegründetes ETH-Spinoff, das autonome vierbeinige Roboter herstellt und mit sehr viel Risikokapital startete, aber auch sehr schnell erfolgreich wurde. Ein weiteres erfolgreiches Beispiel ist Planted, ein Food-Startup, das heute vermutlich fast der gesamten Schweizer Bevölkerung bekannt ist.

Wie hat sich die Investorenbasis in Zürich entwickelt und welche Auswirkungen hat dies auf das Wachstum der Startup-Szene gehabt?

Tobler: Die Investorenlandschaft in der Schweiz hat sich professionalisiert – sei es nun in Form von Business-Angel-Clubs, bestehend aus Privatpersonen, die oft 50 000 bis 200 000 Franken investieren, sei es durch professionelle Venture Capitalists. Von Letzteren gibt es immer mehr. Diese Entwicklung ist sehr positiv für das Ökosystem.

Gibt es regionale Unterschiede beim Branchenmix der Startups?

Tobler: Wir sind grundsätzlich als Startupverband froh über jede Entwicklung in einer Region oder Stadt: So läuft gerade viel in
St. Gallen und in der Zentralschweiz. Das ist positiv für die ganze Schweiz. Basel ist sehr pharmalastig, Zug, das Epizentrum des «Crypto Valley», ist bekannt für seine Kryptowährungen und Kryptobanken.

Zürich ist nicht für eine Branche bekannt. Natürlich gibt es da, wo auch die restliche Wirtschaft stark ist – im Versicherungs- und Bankenbereich – auch die entsprechenden Startups. Auch im Bereich Robotik hat Zürich einen sehr guten Ruf, ebenso bei der Drohnentechnologie. Im Foodbereich ist man dank der ZHAW in Wädenswil stark. AI und Machine Learning ist ein weiteres Gebiet, bei dem Zürich, vor allem durch die ETH, einen Cluster darstellt. Wenn es um künstliche Intelligenz (KI) geht, ist Vertrauen ein grosses Thema. Und da geniesst die Schweiz allgemein als verlässlicher Partner weltweit einen guten Ruf.

Kommen die neuen Möglichkeiten der KI der Startupszene entgegen?

Tobler: Ein Startup hat den grossen Vorteil, dass es unter dem Radar der Öffentlichkeit arbeiten und pröbeln kann. Ein bestehendes Unternehmen kann nicht die Hälfte seiner Aktivitäten einstellen und auf KI setzen. Neue Produkte zu entwickeln, ist ja nicht Kernaufgabe oder Geschäftsmodell einer Schreinerei, Gärtnerei oder eines Malergeschäfts. Daher ist es schon so, dass gerade Startups von der KI profitieren, indem sie Tools oder Produkte entwickeln, die KMU oder Grossunternehmen dann pfannenfertig einsetzen. Ein Beispiel: intelligente Buchhaltungssoftware, die einem KMU das Leben erleichtert.

Werden gerade Startups neue Stellen im Zusammenhang mit der KI schaffen?

Tobler: Schon immer wurden bei technologischen Revolutionen Ängste vor Jobverlusten geschürt. Es braucht keine Journalisten, keine Buchhalter mehr, wird jetzt beispielsweise befürchtet. Aber da habe ich keine Angst, dass uns die aktuelle KI-Revolution insgesamt negativ beeinflussen wird. Es gibt jedoch einen Wandel von Berufsprofilen – heute braucht es immer mehr Videojournalisten und weniger Textjournalisten. Und: Der Wandel geht immer schneller. So gibt es heute 30-, 40-jährige, deren Job es in 10 Jahren so nicht mehr geben wird. Es wird aber neue und andere Berufe geben. Gerade die Bürojobs werden sich stark ändern. So oder so müssen wir diese neuen Entwicklungen annehmen und angehen, sonst verlieren wir den Anschluss. Das gilt auch für 50-jährige: In 15 Jahren müssen sie noch arbeitsmarktfähig sein. Darauf müssen Arbeitgeber, aber auch der Staat ein Auge halten.

Gibt es bei den Startups auch einen Kampf um Fachkräfte?

Tobler: Ja, denn alle suchen gute Entwickler, gute KI-Profis oder Ingenieure. Selbstverständlich ist es ein Kampf um die besten Talente – egal, ob sie in London, Berlin oder Zürich studiert haben. Wer einen guten Abschluss in einem gefragten Fachgebiet hat, wird überall einen Job finden. So ist es umso wichtiger, gute Rahmenbedingungen zu bieten. Dazu gehört auch die unkomplizierte Erteilung von Bewilligungen für Arbeitskräfte im Rahmen der Kontingente – denn diese werden im Moment nicht ausgeschöpft. Wir als Startupverband arbeiten aktuell gerade daran, die Gründe zu eruieren.

Welche Auswirkungen hat die Coronapandemie auf die Start-up-Szene in Zürich gehabt? Gerade die Digitalisierung ist durch die Pandemie ja vorangetrieben worden…

Tobler: Ja, Corona war für viele eine schlimme Zeit. Aber in grossen Krisen entstanden immer gute Ideen. Und gerade zum Digitalisierungsschub während Covid konnten Startups viel Positives beitragen und auch viel davon profitieren. Sie hatten das Glück, dass sie oft sehr agil und flexibel sind: So kann man als Startup von heute auf morgen ins Homeoffice wechseln und vieles lässt sich digital erledigen.

Gibt es die Diskussion um geringe Frauenquote, Diversität und Inklusion in der Szene und intern im Startup-Verband? Man könnte ja annehmen, dass ein so junger Verband weniger männlich geprägt ist als andere…

Tobler: Doch, unser Verband ist schon sehr männlich geprägt. Etwa 90% sind Gründer, nur ca. 10% Gründerinnen. Wir arbeiten daran, dass es im Startup-Ökosystem mehr Diversität gibt. Vielleicht lässt sich die Startup-Welt ein wenig mit Extremsport vergleichen. Dort ist die überwiegende Zahl ebenfalls männlich. Daraus schliesse ich, dass Männer risikofreudiger sind. Dieses Risiko braucht es auch bei einer Gründung. Frauen denken sehr viel über eine Investition nach, sind weniger risikoaffin – das kann sich auf die Gründungsquote negativ auswirken. Gesamthaft wünscht sich die Startup-Welt mehr Frauen. Man weiss, dass diverse Teams langfristig erfolgreicher und unterschiedliche Perspektiven wichtig sind.

Die Startup-Nights vom 31. Oktober und 1. November 2024, organisiert von einem Nonprofit-Verein, den du als Initiant nun in andere Hände gelegt hast, werden immer grösser. Sind solche physischen Treffen zum Netzwerken genauso wichtig wie früher?

Tobler: Ja, gerade wir vom nationalen Verband stellen fest, dass für Startups physische Treffen sehr wichtig sind. Da, wo es um Investments geht, ums Aufbauen von Vertrauen, reicht nicht einfach ein Telefonanruf oder ein Videocall. Auch Networking funktioniert online viel weniger gut. Wir haben in der ganzen Schweiz zahlreiche Netzwerkanlässe. Und die sind stets ausgebucht.

Es ist motivierend, andere Gründerinnen und Gründer kennenzulernen mit denselben Problemen, zudem gibt es eine positive Grundstimmung. Ich selber war vor der Gründung meines Startups bei einem Vortrag des Doodle-Gründers. Als ich nach Hause kam sagte ich mir: Wenn der das kann, kann ich das auch. Das gab mir den letzten Kick, meine eigene Firma zu gründen.

Gemessen an der Anzahl solcher Anlässe mit Keynote Speakern, scheint das Netzwerken für Startups wichtiger zu sein als für KMU

Tobler: Ich würde nicht sagen wichtiger. Aber ein klassischer KMUler mit etabliertem Geschäft hat schon ein Netzwerk in seiner Gemeinde oder Region. Der klassische Startup-Gründer zwischen 20 und 35 ist jünger und hat ein viel kleineres Netzwerk. Daher ist es auch logisch, dass er etwas aktiver ist. Das Anwachsen des Netzwerks befruchtet sich natürlich gegenseitig: Wenn ein Startup-Gründer nach zehn Jahren seine Firma für 50 Millionen Franken verkauft, was macht er mit dem Geld? Einen Teil davon wird er ziemlich sicher in neue Startups investieren.

Du kommst ursprünglich aus dem Gastgewerbe. Hat dich das geprägt und dir ein Gefühl dafür vermittelt, was es alles braucht um ein Unternehmen zu führen?

Tobler: Die Gastroerfahrung lehrte mir sicher Durchhaltewillen, und auch, was es bedeutet, viel zu arbeiten, mit Stress umzugehen, und mich zu organisieren.

Was bewegt die Swiss Startup Association gerade politisch?

Tobler: Wir haben mehrere Fokusthemen im Dachverband: Zunächst den Fachkräftemangel und damit verbunden: die Visumspolitik im Kanton Zürich. Wie erwähnt schöpfen wir gewisse Kontingente nicht aus. Und ein Aspekt ist hier auch die Firmengründung durch Ausländer: Für einen Amerikaner ist es sehr schwierig, ein Visum zu erhalten, wenn er hier eine Firma gründen will – obwohl er hier dann Steuern zahlen und Stellen schaffen wird. Menschen aus Drittstaaten sind klassischerweise über Kontingente da. Ist es zu kompliziert, werden zu viele Anträge abgelehnt, wissen die Leute zu wenig über die Kontingente für Drittstaaten? Wir wissen es heute noch nicht genau.

Das zweite Thema ist steuerlicher Art: Wenn ich Mitarbeiter an meiner Firma beteiligen möchte, ist das sehr kompliziert. Da streben wir eine Vereinfachung an. Auch KMU könnten hier von einer Lockerung profitieren, auch wenn sie weniger betroffen sind.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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