«Lieferanten nutzen die Situation aus»

Die Energiepreise explodierten gegen Ende 2022. Das Szenario wiederholt sich dieses Jahr kaum, so wären Panikkäufe fehl am Platz, sagt ein Experte der Powergia GmbH. Dank Pooling handelt das Zürcher Startup gute Marktpreise aus. Und rät zu mehr Gelassenheit.

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Die Powergia GmbH rät KMU, vor Abschluss neuer Energieverträge «die Klauseln näher anzuschauen».

Bild zvg/EPEX SPOT

Auf dem zentraleuropäischen Spotmarkt für Energie, der European Power Exchange (EPEX SPOT) in Paris, werden kurzfristig lieferbare Strommengen gehandelt.

Die Hiobsbotschaften für Strombezüger auf dem freien Markt häuften sich gegen Jahresende 2022. Über Preisex-plosionen an der Strombörse ums Fünf- oder sogar Zehnfache klagten Vertreter von energieintensiven Branchen. Damit war der Kurs abgesteckt und das Lied angestimmt, die Stromproduzenten und -lieferanten rieben sich die Hände.

Denn es ist ein offenes Geheimnis: Die sprunghaft steigenden Strompreise überstiegen die Zunahme der Gestehungskosten bei weitem – was insbesondere für jene Unternehmen schmerzhaft war, die sich mit über 100 000 Kilowattstunden Verbrauch pro Jahr auf dem freien Markt einkaufen. Medien schrieben auslaufende Stromverträge Ende 2022 schon beinahe zum Himmelfahrtskommando hoch. Und wessen Lieferverträge erst jetzt auslaufen und erneuert werden müssen, der mag sich auch dieses Jahr vor dem drohenden Strommangel ab Januar wieder fragen: Ist es jetzt zu spät, um als Grossverbraucher günstigen Strom beziehungsweise einen Vertrag für 2024 zu erhalten?

«In dieser Phase hört man, dass Ängste überproportional eingepreist werden.»

Antonio Bader, Managing Partner Powergia GmbH

Ein Spinoff der HSG hat sich aufgemacht, Licht ins Dunkel dieses Strompreisdschungels zu bringen: Die Powergia GmbH mit ihrer Auktionsplattform ENERGY-MARKET ist auf die Strombeschaffung spezialisiert. Antonio Bader, Managing-Partner von Powergia aus Zürich, sagt unverblümt: «Der Markt ist sehr intransparent, und die Lieferanten nutzten diese Situation aus.» Vor allem versuchten die Lieferanten in der Hektik noch, Ängste zu schüren. Der Kunde schliesst dann in einem schlechten Zeitpunkt emotionalisiert einen Vertrag ab. «Es kann teuer werden, wenn man das Ganze zu leichtsinnig angeht. Man kann Glück haben. Aber wenn der Kunde eine Leistungsberatung hat, ist das immer besser. Die Lieferanten übernehmen für die schlechten Preise keine Haftung», sagt Bader. So mache es Sinn, das Thema zu outsourcen.

Digitalisierte Strombeschaffung

Powergia ist ein Dienstleister für die Energiewirtschaft mit Spezialisierung in der Strombeschaffung. Die Firma verspricht, «über 50 attraktive Lieferanten aus allen Regionen der Schweiz per Mausklick» zu erreichen.

Und das geht so: Die Kunden erhalten zur Marktbeobachtung Zugang zur Auktionsplattform «energy-market.ch». Über elektronische Stromausschreibungen werden bei Interesse die Schweizer Lieferanten für eine Angebotserstellung eingeladen. Powergia wurde 2013 mit dem Ziel gegründet, grössere Energieabnehmer bei der Strombeschaffung zu unterstützen. Der Strombedarf wird wahlweise ausgeschrieben oder auktioniert. Die Angebotserstellung kann sogar live über das Kundenportal verfolgt werden. Ein Alleinstellungsmerkmal: Der Markt hinkt noch einige Jahre hinter den Nachbarländern nach, wo die Rolle des Energy-Managers stärker verbreitet ist.

Von den rund 600 Verteilnetzbetreibern schweizweit werden rund 100 als marktfähige Lieferanten eingestuft, darunter mittelgrosse Energiestadtwerke aus allen drei Sprachregionen. Nur deren 50 stehen aber wirklich im Wettbewerbsmarkt. Von diesen seien wiederum 20 stark aktiv, um neue Kunden zu akquirieren. Lediglich Grossverbraucher über 20 GWh pro Jahr hatten früher Zugang zur strukturierten Beschaffung mit Tranchen. «Dank des Aufbaus unseres Pools können jetzt auch kleine Kunden ab 100 000 kWh diese Beschaffungsvariante erhalten», so Bader.

Bessere Konditionen dank Pooling

So weit, so einfach. Die Krux: Je nach Kunde variierten die geeigneten Produkte und die Beschaffungsstrategie. Je nach Modell und Energiebedarf kann Powergia für kleinere Kunden bessere Preise aushandeln – zugeschnitten auf ihre Strategie. «Durch Pooling-Modelle können auch kleine Kunden auf professionelle Stromprodukte zugreifen», so Bader. Dazu gehörten etwa öffentliche Institionen wie Kantons- und Gemeindewerke, Verwaltungen, Spitäler, ARAs, aber auch Industriekunden sowie KMU mit Produktionsstätten und Multisites. Nur Schweizer Versorger dürfen in der Schweiz Strom liefern (die Grenzkapazitäten mit dem Ausland werden auf Swissgrid-Ebene auktioniert, und nur die grossen Player importieren bzw. exportieren Energie).

Die Pools bestünden aus sehr heterogener und schweizweit verteilter Kundschaft. Vor allem die kleinen Verbraucher litten in diesem Markt am meisten. «Sie sind am wenigsten interessant für die Lieferanten und haben oft wenig Erfahrung mit dem Strommarkt und dem Einholen und Vergleichen von Konkurrenzangeboten.»

Der Strommarkt – ein Kartell?

Ausserdem müssten auch Aspekte wie Risikofähigkeit des Unternehmens und erforderliche Volumenflexibilität (also Schwankungen beim Strombedarf) betrachtet werden. «Es ist wichtig, dass die Kunden nicht nur durch die Stimme des Lieferanten, sondern unabhängig davon erfahren, was es gibt am Markt», sagt Bader. Das klingt fast, als wäre der Strommarkt ein Kartell. «Nun ja, der Markt ist oligopolitisch: Die Lieferanten nutzen ihre Position aus und wissen, dass andere auch nicht unterbieten werden.»

Bei neuen Offerten rät er daher zur Vorsicht: «Der Kunde muss neben dem Preis auch die Vertragsklauseln anschauen – die Lieferanten ändern diese in vielen Fällen zuungunsten der Kunden.» Bader gibt ein Beispiel eines schlechten Vertrags: Wenn der Kunde zu schnell unterzeichne und sich dann für den Zubau von Photovoltaikanlagen entscheide, müsse er unter Umständen Kompensationen zahlen für ungemeldete PV-Anlagen. Solche Klauseln würden bei der ganzen PV-Euphorie vergessen oder übersehen.

Doch Nachfrage bestimmt bekanntlich Angebot. Wenn Panik die Märkte beherrscht, wird sich das in höheren Preisen niederschlagen. Wer wenig Risiko eingehen will, macht langfristige Verträge – zu tendenziell höheren Energiepreisen. Fürs Jahr 2024 sieht er aber viele Kunden entspannter vorgehen als noch vor einem Jahr, ohne gleich langfristige Verträge abzuschliessen. «Man kann bis Mitte Dezember noch Verträge abschliessen. Und letztes Jahr sind gegen Jahresende die Preise eingebrochen», so Bader. «Doch da waren die Verträge häufig schon abgeschlossen.» Derzeit hielten sich die risikoarmen und die risikoaffinen Kunden die Waage, schätzt Bader. «Einige lassen sich keine Angst einjagen und bleiben lieber flexibel», so Bader. «Wir erhalten vor allem im Q4 viele Anfragen, da viele Kunden erst zu diesem Zeitpunkt ihre auslaufenden Verträge erneuern.»

In dieser Phase warnt er davor, langfristige Verträge abzuschliessen, die überteuert sind. Er empfiehlt, sich mit dem Thema Energie bereits anfangs Jahr zu beschäftigen, gleichzeitig aber «Geduld zu haben und den Markt spielen zu lassen». Die Nahostkrise habe aktuell keinen starken Einfluss auf die Strompreise. Sollte eine Wirtschaftskrise eintreten, könnten die Preise hierzulande gar noch weiter sinken. Mit Blick auf Deutschland, den grössten Lieferanten von Strom für die Schweiz, ist Bader auch entspannt: Dort sei zwar die Wirtschaft geschrumpft, doch das stehe im Kontrast zur weiterhin hohen Energieproduktion. «So sehen wir, dass die Preise stark korrigiert werden dürften. Wir glauben, auf der Produktionsseite (inklusive Gas) ist die Versorgung für diesen Winter wohl abgesichert in Europa. Auch wettermässig hielt die befürchtete Dürre nicht an.» Dass der Bund vor Jahresfrist dennoch angesichts der Unsicherheiten die Reserven von vergleichsweise wenig rentablen Pumpspeicherkraftwerken füllen liess, sei eine Marktverzerrung gewesen, die im Nachhinein nicht nötig gewesen wäre.

Deshalb entkräftet Bader die Hochpreis-Angst: «In dieser Phase hört man, dass Ängste überproportional eingepreist werden. Es gilt, ruhig Blut zu wahren und den Strommarkt mit Experten anzuschauen.» Lieferanten hätten ein Interesse daran, Strom teuer zu verkaufen. Die kritische Phase sollte nun bereits vorbei sein, schätzt er. «Stromausfälle aufgrund Energiemangel sind aus unserer Sicht keine konkrete Gefahr mehr. Ganz im Gegenteil: Im Sommer haben wir das Problem der Überproduktion, und mit dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien wie PV-Anlagen wird die Situation noch extremer.»

Die Börsenpreise am Spotmarkt sind nicht zu verwechseln mit dem Endverbraucherpreis, den die Privat- und Gewerbekunden ihrem lokalen Energiever-sorgungsunternehmen bezahlen. Diese Endkundenpreise hängen unter anderem von der Beschaffungsstrategie (langfristig oder kurzfristig am Markt besorgt) des lokalen Energieversorgungsunternehmens ab, vom Anteil an in eigenen Kraftwerken produzierten Strom, von der Qualität des Stroms (erneuerbar oder nicht), von den Netzkosten und Abgaben. Während der Beschaffung analysiert Powergia noch die Verbräuche und prüft die Rechnungen der Versorger, «denn auch beim Invoicing gibt es oft Fehler seitens der Energieversorger», so Bader.

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Antonio Bader ist Managing-Partner bei Powergia GmbH. Schon vor der Gründung des HSG-Spin-off waren die Gründer Philipp Naumann und Antonio Bader in der Energieberatung tätig. «So haben wir die Lücke zwischen Energielieferant und Energiekonsument als Chance erkannt», sagt Bader. Die Firma hat auch Joint Ventures mit anderen Brokern, die ihre Plattform verwenden, und stehe «in einer Wachstumsphase».

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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