«Mein Concierge, meine Sekretärin»

Generative künstliche Intelligenz, die mathematisch und statistisch optimiert Texte auf Befehl in Sekundenschnelle produziert, gehört bei vielen KMU bereits zum Alltag. Allerdings beschränkt sich die Nutzung auf die Korrespondenz mit Kunden oder Projekte für den internen Gebrauch. Das könnte sich bald ändern.

Bild Mark Gasser

Trotz Automatenverleih ist nicht alles automatisch: Florian Weber vor zwei Kaffeeautomaten. Diese werden im Gegensatz zur Weihnachtspost nicht mit KI gesteuert.

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Der Kleinandelfinger Unternehmer Reto May schreibt mittlerweile viel über ChatGPT: Hier eine Webseite zur «Wylandmäss».

Die technischen Möglichkeiten im Zusammenhang mit generativer künstlicher Intelligenz (KI) verändern die Arbeitswelt rasant. Gerade bei Texten fragt man sich als Kunde immer öfter: Wurde er von einem Menschen geschrieben oder vom Computer generiert? Die Euphorie, welche gerade das Marketing erfasst hat, lässt nur einen Schluss zu: Werbebotschaften, aber auch Social-Media-Posts werden immer öfter mit KI-Tools wie ChatGPT erstellt, Kurse, die KI-Kompetenzen vermitteln und Titel vergeben wie KI-Manager, Master KI, KI & Chatbot Producer, werden seit Jahresfrist angeboten wie Sand am Meer (mehr auf S. 10/11). Die grosse Frage bleibt aus Gewerbesicht: Offenbar ist eine Nachfrage da. Aber nutzen auch kleine KMU ohne ausgebildete KI-Spezialisten die neuen Formen für generative KI, die neue Inhalte und Ideen wie Konversationen, Geschichten, Bilder, Videos und Musik erstellen kann?

Weihnachtskarten und Inserate

Eine kleine Umfrage unter KGV-Mitgliedern zeigt: Auch oder gerade KMU machen sich die niederschwellige generative KI, allen voran ChatGPT, zunutze. Einer, der gerne Texte für seine Firma mit der KI generiert, ist Reto May. Der Geschäftsführer von SMTEC in Kleinandelfingen im Zürcher Weinland, einer Firma für die Fertigung elektronischer Baugruppen, nutzt vor allem automatisierte Texte für Social Media – aber nicht nur: «Ich benutze ChatGPT viel für LinkedIn-Posts. Ausserdem, um Briefe schreiben, sowohl fachliche Newsletterbeiträge als auch Kundenbriefe. Und schwierige Mails, bei denen ich unschlüssig bin, was ich retour schreiben soll.» Er lasse die Texte jeweils mit einigen Stichworten von ChatGPT vorschreiben und passe sie dann je nachdem noch etwas an. «Wenn es mir nicht passt, lasse ich ChatGPT verschiedene Varianten verfassen und wähle dann aus. Denn gerade Schreiben ist nicht so meine Stärke», sagt May.

Sogar für Stelleninserate nutzt May ChatGPT fleissig: Mit der Anwendung hat er schon 4 bis 5 Stellen neu besetzen können. «Das ist für unsere Verhältnisse viel bei 40 Mitarbeitern.» Ist der Rohtext generiert, wird er noch ins firmeneigene Layout gegossen, und fertig. Inzwischen brauche er pro Inserat nur rund 5 Minuten, «ich habe ungefähr die Textbausteine, die ich brauche, und das Tool recht im Griff». «Im Griff» heisst im Falle von Textgeneratoren: Man muss gut prompten können. Ein wichtiger Grund, weshalb ein ganzer Weiterbildungszweig rund um diesen KI-Bereich entstanden ist.

«Früher habe ich lange herumformuliert und umgeschrieben. Heute dauert der Schreibprozess Minuten.»

Florian Weber, Geschäftsführer Weber Automaten, Ossingen

Bei monotonen Fleissarbeiten kann KI mit anderen Worten viel Arbeit abnehmen. Aber sind Textgeneratoren auch fähig zu kreativem Schaffen? Reto May räumt ein, dass die KI «als Ideengenerator» durchaus brauchbar ist. So habe er ChatGPT vereinzelt «für Marketingsachen» benutzt. «Für Präsentationen gab ich auch schon einige Schlagworte ein, und er machte mir daraus einige knackige Sätze oder einen Slogan.»

Zwar kämen manche Sätze unredigiert «etwas hochgestochen» rüber. «Jene, die wissen, wie ich schreibe, sagten mir auch schon, es sei nicht mein Schreibstil.» Stil und Ton lassen sich aber eingrenzen. Er verwende jeweils als Eingrenzung den Zusatz «in Schweizer Rechtschreibung und Redewendung», sagt May.

Texthilfe bei Projekten

Und so experimentiert er fleissig mit den Möglichkeiten – ohne dafür einen Kurs besucht zu haben. Vereinzelt hat er ChatGPT bereits Projektnamen generieren lassen und ganze Grobkonzepte für Projekte – etwa im Qualitätswesen: «Das sind dann natürlich Projekte, die wir nicht zum ersten Mal und zum internen Gebrauch durchführen.» Allerdings gehe es nur ums Konzept, für die Feinjustierung brauche es noch den Menschen.

«Je mehr ich den Textgenerator mit branchenspezifischen Infos füttere, desto eher stimmt das Resultat.» Das täusche nicht darüber hinweg, dass man den ganzen Text oder die Dokumentation dann «sehr sauber durchlesen» müsse, denn es habe immer wieder mal Fehler drin.

KI im Büro, nicht beim Kunden

Die Ossinger Firma Weber Automaten mit 13 Mitarbeitenden, die im Vertrieb und Verleih von Kaffee- und Verpflegungsautomaten tätig ist, wirbt mit «persönlichem Kundenkontakt und kurzen Kommunikationswegen». Jung-unternehmer Florian Weber, seit 2021 Geschäftsführer im Familienunternehmen, sieht keinen Widerspruch darin, dass er selber hin und wieder zu maschineller Hilfe greift. Denn der Service vor Ort geschieht immer noch durch die Mitarbeiter, auch sind in die Automaten weder Hightech eingebaut, noch werden sie inhouse von KI gesteuert, sondern von Mechanikern kundenspezifisch eingerichtet, vor Ort repariert und kundengerecht programmiert.

Das Internet der Dinge, das etwa Kühlschränken erlaubt, mit den Nutzern zu interagieren, sei im Automaten-Business zwar kein Fremdwort, mache hier aber wenig Sinn, so Weber. In der Schweiz lohne sich die Telemetrie – die automatisierte Messung und Übertragung von Daten – wegen der kurzen Wege und dem Verwaltungsaufwand nicht.

KI als Vorteil für KMU?

Derweil greift er gern auf KI zurück. «Wir benutzten ChatGPT vor allem für die Korrespondenz mit Kunden – etwa für Weihnachtsbriefe oder für unseren Newsletter, den wir über Textgeneratoren dann auf Linked-In verbreiten», sagt Weber. Er achte auch darauf, dass er bei Textgeneratoren keine Kundendaten eingebe. «Es geht mehr um die Formulierung.» Gerade bei Firmennews spare er viel Zeit: «Früher habe ich jeweils lange daran herumformuliert und umgeschrieben, ich habe ja in meiner Funktion wenig Übung im Schreiben von Fliesstexten. Nun gebe ich ChatGPT vor, was ich ungefähr schreiben will.» Zeitlich spare er so gut und gerne eine halbe Stunde. «Heute dauert der Schreibprozess wenige Minuten.»

«Ich benutze ChatGPT für LinkedIn Posts, oder um Briefe zu schreiben. Und schwierige Mails, bei denen ich unschlüssig bin, was ich retour schreiben soll.»

Reto May, Geschäftsführer SMTEC, Kleinandelfingen

Grössere Unternehmen, wo ohnehin schon vieles auch in der Korrespondenz standardisiert und automatisiert abgewickelt werde, hätten wohl kaum spürbare Effizienzgewinne. «Ich würde behaupten, die kleinen KMU profitieren am meisten von der Unterstützung beim Verfassen von Texten», findet Weber. Denn gerade in KMU würden Briefe und Newsletter in unregelmässigen Abständen und nicht als standardisierte Massenbriefe verfasst.

Bereits nutzt Webers Partnerin, die im HR im Gesundheitswesen arbeitet, die KI fürs Verfassen von Mitarbeiter-Qualifikationen. Oder besser: zum Verfeinern der Qualifikationen. Dabei werden jeweils die Schwächen und Stärken vorgegeben, und den Rest lässt man vom Textgenerator ausformulieren. «Eine gute Idee, um mal eine Basis zu haben», findet auch Weber.

Wer sagt, dass das Kreativgewerbe von unkreativen Algorhithmen verschont geblieben ist, der irrt. So will auch Karikaturist Pascal Coffez aus Uhwiesen, der regelmässig für die «Zürcher Wirtschaft» zeichnet, nicht auf KI verzichten. «Im Entertainment ist die KI ein grosses Thema», sagt Coffez. «Während viele meiner Kollegen nicht gern mit ChatGPT und anderen KI-Tools arbeiten, benutze ich ihn für alles, insbesondere aber für Struktur und Dialoge. Er ist mein Concierge, mein Assistant, meine Sekretärin.» Gerade beim Übersetzen ist dem gebürtigen Franzosen die digitale «Sekretärin» eine nützliche Hilfe, oder um etwa einen Pitch auf Deutsch zu schreiben. Analog arbeitet er auch mit künstlich generierten grafischen Elementen. Zeichnungen, die er an Anlässen auf dem iPad Pro erstellt, werden mit einem QR-Code versehen, um sie auf den sozialen Medien zu teilen. «Der gesamte Prozess, vom Druck über die Verwaltung der QR-Codes und die Projektion der Bilder bis hin zur Verfeinerung der Zeitrafferzeichnung wird von KI unterstützt», sagt Coffez. So könne er sich auf die Kunden und die gezeichneten Modelle konzentrieren.

Bald werde jeder damit arbeiten, ist Coffez überzeugt. «Die Prompts (die «Aufforderungen» an den Generator) sind für ein gutes Resultat elementar wichtig – so versteht man, wie es funktioniert, und kommt direkt auf den Punkt.» Doch da gebe es noch viel Luft nach oben, gerade wenn man eine automatische Inspiration erwarte. «Wenn man glaubt, ChatGPT mache die Arbeit für einen, ist das die falsche Haltung. Man sollte denken: Ich kann besser, höher, schlauer meine Ziele erreichen.»

Roboter und KI auf dem Bau

In der Baubranche setzt sich die generative KI vor allem in einem Bereich langsam durch: Im Immobilienmarketing und -monitoring. So verknüpfen etwa Wüest und Partner mit ihrem Tool «Immo Monitoring Digital Experience» KI-Sprachmodelle via Chat-Interface mit vorhandenen Informationen auf dem Immobilienmarkt: Daten, Analysen, Prognosen sowie Spezialstudien. Die intelligente Technologie generiert massgeschneiderten, individuell auf die Nutzer zugeschnittenen Zugang zu den umfangreichen Datenbanken sowie zum gesamten Archiv des Immo-Monitorings.

Andererseits wird im Immobilienmarketing via Metaverse, 3D-Visualisierungen oder digitalen Twins das räumliche Erlebnis einer neuen Wohnung digital vermittelt. Teilweise handelt es sich hier auch um generative KI, wenn beispielsweise Umgebungen, die noch nicht existieren, simuliert werden.

Weniger Berührungspunkte mit der KI haben allerdings die Architekten selber, wie der Andelfinger Architekt Florian Stegemann von Meyer Stegemann Architekten einräumt. «Bei uns ist das überhaupt noch nicht angekommen. Letzthin kam zwar ein Metallbauer und meinte: ‹Euch braucht es ja gar nicht mehr.› Er habe den Entwurf eines Gebäudes von der KI machen lassen. Dennoch habe ich das Gefühl, der Hype sei etwas übertrieben», findet Stegemann. So gebe es noch keine Branchenlösung, die zuverlässige Resultate liefere. Das habe unter anderem damit zu tun, dass für die Detailpläne der persönliche Kontakt wichtig sei. Bei administrativen Aufgaben sieht er hingegen in der gesamten Baubranche die KI im Vormarsch.

Gerade bei der Realisierung von Bauten, glaubt er aber, werde sich viel bewegen müssen. «Zunächst muss der Bau revolutioniert werden. Wir bauen noch wie vor 100 Jahren», so Stegemann. Bei der Automatisierung durch Roboter oder anderen digitalen Hilfsmittel sieht er viel mehr Innovationsbedarf als in der Planung und Ideenfindung.

Und so bleibt der Eindruck: branchenunabhängig werden vermehrt Mails, Marketing, Briefe oder andere Versandaktionen mit der KI generiert. Und oft wird, von jüngeren Mitarbeitenden oder Geschäftsführern ausgehend, fleissig experimentiert.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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