Erträgt Ihre Firma auch mal einen Spinner?
Eine Bekannte erzählte mir eine Episode aus dem Alltag ihrer Firma: Wie Mitarbeitern die Fantasie abhanden kommt. Seither frage ich mich: Welche Art Mitarbeiterin wird bei der Rekrutierung bevorzugt?
An Tagungen höre ich stets das Loblied auf tolle Soft Skills, gesucht seien kreative Typen, Leute mit allerhand Erfahrung, bunte Lebensläufe, gern auch Quereinsteiger, schliesslich könne man ja nicht bloss den Status quo verwalten, man müsse innovativ vorwärtsmachen, dazu brauche man Leute mit Entwicklungsbereitschaft, «Future-Skills» nennt man das heute.
Na prima, denke ich – und höre im Alltag oft vom Gegenteil: Quereinsteiger haben es schwer, bunte Lebensläufe wecken eher Misstrauen, man setzt auf Biografien ohne Schlaufen, sicher ist sicher, also lieber ein schlanker Kompetenzenausweis statt interessanter Typen. Klar, keine Firma floriert nur dank kreativer Tausendsassas. Es braucht auch Personal fürs Übliche. Nur neigt das gern dazu, Initiativen anderer abzublocken.
Dazu passt, was meine Bekannte, nennen wir sie Frau Gruber, mir erzählte: Morgensitzung des Teams, der Chef beginnt: «Wir müssen uns noch was einfallen lassen für den Kundenevent im Mai, aber diesmal was Besonderes, nicht wieder so 08/15 wie letztes Mal.» Kreativität war also gefragt, die Mitarbeiter fingen an zu hirnen. Frau Gruber wagte den Anfang: «Wie wär’s, wir lassen die Kunden etwas Verrücktes machen? Wir geben ihnen einen Hammer, damit sollen sie unsere Produkte zertrümmern.» Darauf der Chef: «Das ist ja wohl total daneben.»
In diesem Moment vernichtete er wertvolles Kapital für seine Firma. Mit der rüden Reaktion machte er klar: In dieser Runde ist es verboten, Ungewöhnliches zu denken, geschweige denn zu sagen. Mitarbeiter werden sich künftig hüten, etwas Originelles vorzuschlagen, sie werden nur das Übliche wiederholen, weil sie damit auf der sicheren Seite sind.
Was hätte aus Frau Grubers Idee werden können, hätte man sie weitergesponnen? Das Wort «spinnen» ist hier goldrichtig. Wer Innovation will, muss seine Leute gelegentlich spinnen lassen. Brauchbare Ideen beginnen gern als Schnapsidee, aus der sich – durch freies Assoziieren – etwas wirklich Neues entwickeln kann.
Was wäre beim Fortspinnen wohl passiert? Herr Müller hätte vielleicht gesagt: «Witzig ist das schon, aber der Hammer ist mir zu krass.» Worauf Frau Sieber eine Säge hätte vorschlagen können. Irgendwann hätte sich herausgeschält: Der Reiz der Idee liegt darin, den Kunden ins Innere des Produktes sehen zu lassen, ihm eine privilegiertere Sicht zu bieten, damit die Kundenbindung zu beleben. Vielleicht, so der Vorschlag von Frau Eggimann, sollte man das Produkt nicht zerstören, sondern raffiniert öffnen lassen. Wie wär’s, wir geben dem Kunden einen Schraubenzieher in die Hand?
Kommt leider nicht dazu. Das Team wird wie jedes Jahr Duftkerzen verteilen, die keiner braucht. Während Frau Gruber sich überlegt, einen neuen Job zu suchen.
Ludwig Hasler
Philosoph, Physiker, Autor und Menschenkenner lhasler@duebinet.ch