Wadenbeisser

Achtung: Schonungslos bissig

Vom Kreuz zum Rauchverbot

Das waren noch Zeiten, als die beiden grossen Landeskirchen an den Wochenenden übervoll waren und der Dorfpfarrer von der Kanzel seine wortgewaltige Predigt ins Kirchenschiff schmetterte: «Du sollst nicht Ehe brechen» und «nicht die Frau deines Nächsten begehren». Innerhalb von zwei Generationen haben sich die Kirchen geleert. Die Gesellschaft hat sich emanzipiert, ist aufgeklärt und laizistisch unterwegs. Auch der Staat erzog noch bis Mitte der 70er-Jahre seine Bürger. Das Konkubinatsverbot fiel im Kanton Zürich erst 1972. Vorher hat so mancher Vermieter mal kurz das Liebespaar um Mitternacht abgepasst oder zumindest wurden die Zahnbürsten im Badezimmer des Mieters gezählt, bevor es zur Anzeige kam, weil das Fräulein über Nacht blieb. Tempi passati, zum Glück. Stimmt leider nicht wirklich. Auf die Gläubigkeit folgt nun der Moralismus. Wir glauben weiter, nämlich indem wir zu oft selbsternannten Gurus folgen. «Du sollst dich vegan ernähren!» oder «Du sollst alles durchgendern!» oder «Du sollst keine kulturelle Aneignung betreiben!» Als käsebleiche Bernergiele Reggae zu spielen und dies erst noch mit Rastazöpfen, geht gar nicht. Die Gesellschaft fügt sich der Diktatur einiger weniger Wichtigtuer und Pseudointellektueller, die sich beim Anblick einer solchen Band unwohl fühlen. Unwohl würde sich der Normalbürger fühlen, wenn er im Winter bei minus 5 Grad seit 3 Tagen ohne Strom zu Hause im Dunkeln ausharren müsste.

Staat erzieht Bürger

Auch der Staat erzieht seine unmündigen Bürger mehr denn je. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen will – notabene ohne Gesetzesgrundlage – die Süssgetränkehersteller verpflichten, den Zuckergehalt um 10% zu senken. Dabei darf Zucker nicht durch künstlichen Süssstoff ersetzt werden, sondern der Konsument soll sich gefälligst an den weniger süssen Geschmack gewöhnen. Neu sollen auch die Hobbygärtner an einem vom Bund vorgeschriebenen Kurs den Umgang mit Pestiziden erlernen. Dank des Kursnachweises wird er künftig seinen eh schon biologischen Lausstopp-Spray nicht mehr als nötig am Blumentrog einsetzen. Das nennt man echten Fortschritt! In dieselbe Richtung zeigen die neuen Richtlinien der Aargauischen Kantonalbank zu Kreditvergaben. Firmen, die ihr Geschäftsmodell in der Herstellung und dem Handel von alkoholischen Getränken haben, sollen künftig nicht mehr mit Krediten unterstützt werden. Da wundert sich der Aargauer Kirschbrenner nicht schlecht, dass sich sein traditioneller Familienbetrieb nun plötzlich auf gleicher Stufe wie Waffenhändler und Pornoproduzenten wiederfindet. Es geht nur noch um sogenannt soziale Verhaltensweisen, aufgestellt von fragwürdigen Gruppen, einem erzieherischen Staat, am besten untermauert mit einer mit Steuergeldern finanzierten Gefälligkeitsstudie einer nach Aufmerksamkeit lechzenden (Fach-)Hochschulprofessorin. Wir befinden uns mitten in einer ausufernden Moralschwemme. Am treffendsten bringt es der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann auf den Punkt: «Wo früher das Kreuz hing, hängt heute das Rauchverbot.»

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