Trinkgeld trotz Minimalservice?

Wer will schon als knausriger Typ durchs Leben gehen? Wohl niemand. Aber genau dann, wenn es ums grosszügige Trinkgeld geht, wird es kompliziert, das Richtige zu tun, ohne als «Knuppensager» abgestempelt zu werden.

So zum Beispiel beim Bratwurstkauf am Grill der Wurstgrille am «Vorderen Sternen» in Zürich. Zuerst steht man 5 Minuten im Durchzug oder in der prallen Sonne in einer längeren Kolonne, zusammen mit «Gymelern», Touristen und Bankern. Vorne angelangt erhält man innerhalb von 4 Sekunden die Wurst seiner Wahl in die Hand gedrückt. Senf und Bürli müssen dann selbst aus einer Box geklaubt werden. Beim Bezahlterminal wird nicht nur der geschuldete Betrag eingeblendet, sondern penetrant aufs gewünschte Trinkgeld aufmerksam gemacht.

5, 10, 15 Prozent

Gerne 5, 10, 15 Prozent – oder darf es gar mehr sein? Oder doch Taste «überspringen» drücken und kein Trinkgeld geben, dafür das schlechtere Karma in Kauf nehmen? Schliesslich sind die Leistung des Personals und der Austausch mit dem Kunden mehr als überschaubar. Wo ist hier die besondere Dienstleistungsqualität, die per definitionem ein Trinkgeld rechtfertigen würde?

Freundschaft bis zum Zahlvorgang


Blick zurück: 1974 wurde das Trinkgeld in der Schweizer Gastronomie abgeschafft. Die Löhne im neu ausgehandelten Gesamtarbeitsvertrag wurden angehoben, dafür war der «Service inbegriffen». Und ja, der Kunde bezahlte die höheren Konsumationspreise. So weit, so gut. Dennoch hielt sich der Usus bis heute, dass Mann oder Frau ca. 10 Prozent Trinkgeld gibt, wenn der Service plus/minus okay war. Wie gesagt, man will ja kein «Knauser» sein. Anders ist es in den USA. Die Löhne im Service sind dermassen tief, dass ein Trinkgeld im Umfang von 20 Prozent der Endsumme fast zur Pflicht gehört. Dafür erhält man im Gegenzug einen formidablen Service und eine überschwängliche Gastfreundschaft, dass man meinen könnte, man sei im Vietnam- oder im Irakkrieg mit der Bedienung im selben Schützengraben gelegen. Diese «Freundschaft» hält bis zum Zahlvorgang an. Ab dann kennt man einander kaum mehr und geht eher unterkühlt getrennte Wege. So weit der Exkurs.

Trinkgeld auch für Kassiererin?


Zurück zur Schweiz: Es ist richtig, sich künftig zu überlegen, wo und wann ein Trinkgeld sinnvollerweise gegeben werden sollte. Hier zwei Vorschläge: Der Operationsschwester, die den Chirurgen darauf aufmerksam macht, dass er ein Instrument in Ihrem oberen Bauchraum vergessen hat. Oder dem Sportartikelverkäufer, der Ihnen beim Skischuhkauf so lange Skischuhe aus dem Lager schleppt, bis Sie dasjenige Modell gefunden haben, das bequem ist wie einst die «Tigerfinkli» im Kindergarten.
Wenn Sie ein Trinkgeld bei einer Take-away-Bude à la «Vorderer Sternen» bezahlen wollen, dann konsequenterweise auch bei der Kassierin an der Migros-Kasse. Immerhin hat sie Ihre 100 Artikel gescannt, Ordnung in Ihr Cumulus-Bon-Durcheinander gebracht und Ihnen freundlich den Kassenbon gereicht.

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