«Corona verlangte noch mehr Flexibilität»

Eventveranstalterin Natascha Leach hat über 1100 Live Shows mitorganisiert, darunter Konzerte der Rolling Stones, Madonna, AC/DC, Bruce Springsteen, Adele oder Elton John. Doch eine der grössten Herausforderungen ihrer Karriere war die Übernahme der Geschäftsleitung von THE HALL in Dübendorf – während Corona.

Bild PD

«Hühnerhautmomente»: Für Eventmanagerin Natascha Leach waren die Konzerte Anfang März so etwas wie der Befreiungsschlag nach Corona.

Natascha Leach, bevor Sie bei THE HALL eine grosse Location übernommen haben, arbeiteten Sie jahrelang bei Konzertveranstaltern. Kam die Eventbranche letztlich – dank Kurzarbeit und Härtefallentschädigungen – mit einem blauen Auge davon?
Natascha Leach: Die Pfeiler waren sehr wichtig für uns und wir benötigen sie nach wie vor. Unsere 31 Mitarbeitenden sind grösstenteils immer noch in Kurzarbeit. Wir erhalten auch Härtefallgelder. Ich finde, grundsätzlich sind wir – wie die ganze Eventbranche – gut unterstützt worden. Doch leider gab es Zulieferer, die durch die Maschen gefallen sind: Zum Beispiel Technikzulieferer, Vermietungsfirmen für Veranstaltungstechnik oder Hallenvermieter.

Sie haben Ende August 2021 nach einem Wechsel im Aktionariat der Event Park AG die Geschäftsführung übernommen. Was waren seither Ihre grössten Herausforderungen?
Leach: Der Start mitten in der Pandemie war nicht einfach: viele Mitarbeitende in Kurzarbeit, die es zu motivieren, der Führungswechsel und mit ihm eine neue Unternehmenskultur, die es zu vermitteln galt. Ich habe amSeptember 2021 angefangen, Ende August traten noch Divertimento unter alter Führung auf, und dann kam die erste Show auch wieder mit Divertimento gleich unter neuer Führung – und das nach dem Teil-Lockdown. Aber ich nahm die Herausforderung gerne an und blicke wieder positiv in die Zukunft.

Die fehlende Planbarkeit war in den letzten zwei Jahren aus Sicht der Eventveranstalter das grösste Problem. Zieht sich nun diese Ungewissheit trotz Öffnungen ins Laufende Jahr?
Leach: Die grösste Schwierigkeit ist für uns bis heute tatsächlich die Unsicherheit: In der Regel braucht es sechs Monate Vorlaufzeit, auch wenn wir hier und dort auch kurzfristiger zu reagieren vermögen und kreativ sein müssen. Jetzt werden zuerst einmal die verschobenen Events nachgeholt, aber natürlich planen wir hoffnungsvoll in die Zukunft. Was wir alle gelernt haben, ist, dass niemand weiss, was in sechs Monaten sein wird.

Was ist denn das grösste Problem, um trotz Wiedereröffnung Events stattfinden zu lassen?
Leach: Allgemeine Grossveranstalter und wir im Besonderen
haben sehr viele internationale Künstler, und die können ja bis heute oft nicht auf Tour. Denn es gelten in ganz Europa sehr unterschiedliche Bestimmungen. So gilt für Künstler dasselbe Problem der Planbarkeit: Sie müssen ihre Auftritte mit grosser Vorlaufzeit planen, üben, organisieren. Aber das wird praktisch verunmöglicht, weil bereits die Einreisebestimmungen sehr unterschiedlich aussehen und ständig geändert werden. Jetzt aber spüren wir: Die Künstlerinnen und Künstler kommen zurück auf die Bühne und freuen sich riesig wieder zu spielen: Wir legen wieder los.

Welches war denn bislang 2022 der schönste Anlass für Sie?
Leach: Aufgetreten sind bislang (das Interview wurde anfangs März geführt, die Red.) erst Divertimento, Cem Yilmaz, und Amy Macdonald. Und als ehemalige Konzertveranstalterin hatte ich natürlich vor allem bei Amy Macdonald Hühnerhautmomente – denn dafür leben wir ja auch: In einer vollen Halle zu stehen mit Standing Ovations und zu feiern. Ich habe zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder ein Live-Konzert gesehen. Auch für Amy Macdonald war es ein grosses Risiko, weil die ganzen Deutschlanddaten noch abgesagt werden mussten. Es braucht Künstler wie sie, um das Vertrauen des Publikums zu gewinnen, damit eben solche Veranstaltungen wieder stattfinden.

Wie ist der Neustart nach dem «Freedom Day» angelaufen?
Leach: Das hatte nicht gleich einen unmittelbaren Impact auf uns. Wie gesagt: Der Vorlauf für einen Event beträgt sechs Monate – im Speziellen für Konzerte. Dazu kommt der Billettverkauf, Werbung und so weiter. Eher noch mehr Vorlaufzeit benötigen die ganzen Corporate-Geschichten, die Firmenanlässe – ein Bereich, in dem wir auch stark sind. Diese gilt es für die Organisationen zu planen und zu buchen – für uns ist die jetzige Situation eine Motivation: Wir von THE HALL wollen alle kreativ sein und Lösungen erarbeiten.

Die GV-Saison diesen Frühling kommt also zu kurzfristig, wenn man die Vorbereitung einrechnet. Wie sieht es im Herbst aus?
Leach: Der Herbst ist traditionell sehr gut gebucht. Aber auch hier spüren wir wieder eine steigende Nachfrage. Ich glaube, diese Schwankungen sind auch das Schwierige für uns und die Mitarbeiter: Beispielsweise sind wir eine Woche lang im April praktisch ausgebucht, dann findet zwei Wochen lang nichts mehr statt. Das heisst, ich muss die Mitarbeiter wieder motivieren, auf 100 Prozent Leistung hochzufahren, dann wieder auf Null. Menschen, die in der Eventbranche arbeiten, leben von Publikum, von Emotionen, vom Stress.

Wenn Adrenalin zum Berufsprofil von Eventmitarbeitern gehört: Gab es davon eher zu wenig?
Leach: Das hat etwas. Der Eventler fährt immer eine hohe Pace. In einem Betrieb, wo quasi jeden Tag ein anderer Anlass stattfindet, fällt einem das Arbeiten leichter, wenn man voll im Rhythmus ist. Natürlich sind auch längere Pausen wichtig. Aber wenn die Arbeit abrupt auf Null gefahren wird, ist das ein Schock. Schon in normalen Zeiten muss man in der Eventbranche sehr flexibel sein. Der Kunde ist König, hat oft kurzfristige Anpassungen, und wir sind Dienstleister – aber die Coronasituation hat noch mehr Flexibilität von uns abverlangt.

Wie viele verschobene Konzerte der letzten beiden Jahre können denn nun durchgeführt werden?
Leach: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber von den Konzerten, die im Juni stattfinden, sind 9 verschoben, und bis Ende Jahr sind es 18 – das heisst: bis jetzt (lacht). Künstler wie Rebell Comedy (vom Oktober 2020) oder Avril Lavigne haben wir mittlerweile zum dritten Mal verschieben müssen. Letztere ist aufs 2023 angesetzt. Auch bei Bonny Tyler vom 28. Februar kam wenige Tage vor dem Konzert der Bescheid, dass das Konzert verschoben würde.

Sind gerade Künstler aus den USA vorsichtig, im «diversen» Europa, was die Coronamassnahmen anbelangt, zu touren?
Leach: Amerikanische Künstler können in den USA in der Tat besser touren – weil da vergleichsweise ähnliche Coronaauflagen gelten. Aber jetzt, wo die Massnahmen gelockert werden, beginnen die Crews, ihre Tours auch in Europa zu planen. Aber das geschieht nicht von heute auf morgen: Da sind wir wieder bei den sechs Monaten Vorlaufzeit mit Licht, Showeffekten, Auf- und Abbau, Logistik, Proben – dann muss die Touringcrew zusammengestellt werden. Aber wir spüren einen positiven Trend. Der macht grosse Vorfreude auf viele spannende Acts aus Übersee.

In dieser Zeit der internationalen Coronamassnahmen-Kakophonie: War das eine Chance für Schweizer Künstler, auf sich aufmerksam zu machen?
Leach: Ein cooler Effekt war tatsächlich, dass man mehr auf Schweizer Künstler setzt. Sensationell ist etwa Divertimento: Das ist durchführbar – sie müssen ja nicht reisen, sind zu Hause, abgesehen bieten sie einen super Act. Divertimento werden bis Ende April insgesamt 38-mal in der Halle aufgetreten sein.

Nach der coronabedingten Verlagerung auf Online-Streams: Glauben Sie, die analoge Kleinkunst schafft sich gerade selber ab?
Leach: Ich glaube nicht, denn live ist immer noch live. Was ich mir hingegen gut vorstellen kann, ist der sogenannte Hybridevent, der sowohl Live- als auch Streaming-Publikum bedient. Die digitale Komponente bringt ganz viele neue Möglichkeiten – und zwar ergänzend, nicht als Ersatz. Dadurch kann man vielleicht sogar noch mehr Leute erreichen. Wir haben bewusst auch in die Zukunft investiert und sind mit unseren LED & Broadcast Studio bestens für die Event Zukunft gerüstet. Billy Eilish beispielsweise gab im Lockdown ein erfolgreiches Streamingkonzert. Dann gibt es ja noch Tomorrowland, ein Elektronikfestival, beide waren mit ihren Streams sehr erfolgreich. Aber das hängt von Künstlern, Veranstaltern, und deren technischen Möglichkeiten und der Produktionsform ab – nur eine Kamera hinzustellen, genügt heute den Ansprüchen nicht.

Bereits im ersten Betriebsjahr der Samsung Hall sagte Ihre Vorgängerin, die grösste Herausforderung sei «das Wirtschaftliche»: Im Zentrum stünden die Fragen, ob der Business Case aufgeht und ob das Team sich zusammenstellen lässt. Begannen Sie nun von Neuem?
Leach: Das wird sich zeigen. Es ist immer noch unberechenbar. Zum Team: Durch die Pandemie gab es tatsächlich Abgänge, einige setzten sich mit anderen Berufen auseinander, und auch jeder Führungswechsel bringt eine gewisse Fluktuation mit sich. Aber nun ist das Team frisch aufgestellt, top besetzt und voller Tatendrang.

Was muss man als Eventveranstalterin mitbringen?
Leach: Mein oberstes Credo ist Herzblut, denn es verlangt einiges von einem ab. Und vieles ist «hands on». Aber man muss auch ein Organisationstalent sein, Multitasking beherrschen, eine gute Gastgeberin sein, und der Servicegedanken spielt eine wichtige Rolle. Denn es geht um Menschen, Entertainment, um die Freizeit unserer Gäste, in der sie etwas erleben wollen.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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