Neue Skills statt trockene Drills

Die grösste Plattform für die Berufslehre der Schweiz fand wieder statt: So kompakt und niederschwellig wie an der Berufsmesse Zürich lassen sich sonst kaum so viele Berufe auskosten. Einblick in einige Berufe vor Ort.

Bild Mark Gasser
Bild Mark Gasser

Die Berufsmesse Zürich knüpfte nach coronabedingtem Unterbruch 2020 vom 23. bis zum 27. November 2021 nahtlos an vergangene Jahre an: Sie überzeugte einmal mehr mit ihrem lebendigen Einblick in die Berufswelt. So konnte vor Ort gemauert, gemeisselt, gelötet, gehobelt, frisiert, gebaggert, gefahren, programmiert, gemischt oder gebacken werden. Und: Es konnten Ausbildungsverantwortliche mit Fragen «gelöchert» werden.

Die Kauffrau im Bausektor
Kalina Endters, Ausbildungsverantwortliche bei Meier Tobler, war am Stand der Gebäudetechnikfirma damit beschäftigt, Jugendliche beim Velofahren zu betreuen: Während sie pedalten, hielten sie eine Windturbine in Bewegung, über welche ein Ball möglichst lang in einer Säule im Schwebezustand bleiben sollte. «Die Velofahrer stellen die Lehrlinge dar, und sie müssen sich ihren Weg erkämpfen.» Wer mit dem Ball die Decke in der Säule erreichte, hatte symbolisch die Abschlussprüfung bestanden.
Auch in der Gebäudetechnik haben sich die Berufe verändert: So sind Gebäudeinformatiker und Logistiker immer stärker mit automatisierten Abläufen und Digitalisierung beschäftigt – im Hausbereich als «Smart Home» bekannt. Heizungen lassen sich via Fernsteuerung ein- und ausschalten. Aber auch bei ihr als Kauffrau sei ein wichtiger Ausbildungsblock Informatik: «Bei uns ist ja auch sehr vieles digitalisiert worden, zum Beispiel in der Finanzabteilung.»

Der Bäcker-Confiseur
Raymund Dudek vom Bäcker-Confiseurmeister-Verband spürt im Gegensatz zum KV-Bereich den Fachkräftemangel: «Es kommen nicht mehr so viele Lernende nach. Wir müssen uns anstrengen. Nicht zuletzt, weil die starken Jahrgänge durch sind.» So sei der Fachkräftemangel nicht zuletzt ein demografisches Problem. «Jeder schaut aufs Geld. Und Bäcker ist kein Trendberuf wie Informatiker oder Banker. Aber ich würde sagen: Jene, die wir gewinnen können, die sind praktisch alle noch da.» Die geringe Abbruchquote sei wiederum ein Beweis für die Attraktivität des Berufs. So versuche der Verband, an der Messe die Stärken gleich «in Aktion» zu zeigen – nebst rund 80 Adressen von Lehrbetrieben: So konnten Jugendliche vor Ort backen und Pralinés zubereiten.

Die Schreinerin
«Klar wird bei uns Schreinern viel mit maschinellem Vorschub gearbeitet. Wir legen aber Wert darauf, dass in der ‹Stifti› viel von Hand gemacht wird – wie dieser Tisch hier», sagt Sarina Kündig von der Firma Schreiner48 in Schlieren. Es sei oft einfacher, Spezialwünsche von Hand zu fertigen als mit bestimmten CNC-Fräsen. «Bei gewissen Objekten dauert die Programmierung lang.» Je nach Bestückung und Konstruktion könne dies aber Sinn machen.
Kündig selber war bis 2019 Lernende, nun betreut sie teilweise die eigenen Lernenden im Betrieb. Auf die Frage, ob Schreiner weniger zu tun haben werden bei all der maschinellen Hilfe, sieht sie genauso den Spargedanken der Kunden als Unsicherheitsfaktor. «Denn man kann in der Ikea natürlich auch einen Tisch kaufen, der nach Holz aussieht.» Diese Haltung bereite der Branche Sorgen. Auf dem Bau seien die Montage- und Serviceschreinerarbeiten aber weniger von der Automatisierung oder geändertem Kundenverhalten betroffen.
Inmitten der Coronapandemie habe die Schreinerei aus Schlieren in ihrer «Academy» viele Schnupperlehrlinge empfangen, während andere diese abgewiesen hätten – so hätten sie nichts gespürt von einem Fachkräftemangel.

Die Töfflibauer und Modelleisenbähnler sind die echten Polymechaniker

Oliver Strüby, Lehrlingsverantwortlicher, Swiss

Der Polizist
Auch die Polizei war an der Berufsmesse vertreten. Gibt es hier auch Lehrstellen? «Die Kantonspolizei selber bietet vereinzelte Lehrstellen als Erstausbildung an: Zum Beispiel als Koch, Automechanikerin, Restaurantionsfachfrau oder als Fachmann Betriebsunterhalt», sagt Stefan Wägeli, ein anwesender Polizist. Die Kantonspolizei sei jedoch eigentlich ein Zweitausbildner. Erst hier realisierten viele: Polizisten sind eigentlich Quereinsteiger. Das Interesse sei aber gross und die Vorstellungen bereits recht konkret – etwa für die Weiterbildung zur Kriminologin, sagt Wägeli. Eine ideale Berufslehre als Vorbereitung gebe es nicht. So kann es sein, dass der Landmaschinenmechaniker neben einer Akademikerin im Polizeiauto sitzt. «Wir schätzen die Breite in unseren Reihen: So bieten die Quereinsteiger Fachwissen aus ganz verschiedenen handwerklichen oder Dienstleitungsbereichen.» Kreativ mit den Händen zu arbeiten, sei indes nicht unbedingt die gesuchte Kardinalstugend, um das Gesetz paragraphengetreu durchzusetzen. «Die Möglichkeit, Gesetze und Vorgaben kreativ anzuwenden, ist sehr eingeschränkt.» Ansonsten eigne sich jede Berufsgattung und jeder Beruf. Auch Internet-Affine landeten – nicht zuletzt wegen der Zunahme von Cybercrime, aber auch von technischen Geräten bei der Verbrecherbekämpfung – häufig bei der Kantonspolizei.
Doch auch kommunikative Begabung ist gefragt. Eine der spannendsten Fähigkeiten an der Front sei, auf Menschen zugehen zu können und mit Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund zusammenzuarbeiten. «Es gibt dazu Ausbildungen, aber vieles beruht auf Lebenserfahrung. Aber darauf achtet man auch beim Selektionsverfahren», so Wägeli.
Man spüre auch die gesellschaftliche Veränderung an einer Berufsmesse: Wenn die Jugendlichen in der Klasse unterwegs seien, dann sei die Hemmschwelle oft tiefer als früher, um zu delinquieren – beispielsweise etwas zu klauen oder das Auto zu markieren. «Der Respekt gegenüber Polizisten, Lehrern , allgemein gegenüber Respektspersonen ist schon etwas gesunken.»

Der Flugzeugkenner
«Die Töfflibauer und Modelleisenbähnler sind die echten Polymechaniker», so das Verdikt von Oliver Strüby, der die Jugendlichen unter anderem mithilfe eines nachgebauten Cockpits in die Tätigkeiten der Polymechaniker- und Automatiker-Lernenden bei der Airline Swiss einweihte. Interesse an Flugzeuge hätten viele – doch nicht alle seien geeignet für den anspruchsvollen und verantwortungsvollen Job. Dieser habe sich durch die Aufstockung und Modernisierung der ganzen On-Board-Elektronik sehr stark verändert in den letzten Jahren. So sei eine Boeing 787 ein digitales Wunderwerk inklusive Glasfasernetz. «Auch die ganze Unterhaltungstechnik braucht viel Wartung.» Die Polymechaniker- und Automatiker-Lernenden arbeiteten mit den verschiedensten Materialien. Der Rumpf der neueren Flugzeuge sei zum Beispiel oft aus leichten Verbundwerkstoffen wie Kohlefaser (Carbon) hergestellt.
In Zukunft rechnet Strüby mit einer tieferen Nachfrage nach Flugzeugen – dafür sei die Aufflottung von A220 und A320 und ähnlich sparsamen Flugzeugmodellen die Zukunft. Klassische vierstrahlige Langstreckenflugzeuge werden immer seltener.

Der Autoexperte
Sepp Zgraggen, Lehrlingsausbildner und Vertreter der Autoberufe (AGVS), bestätigt dass vom Verband laufend Anpassungen in der Ausbildung vorgenommen werden, etwa in den Bereichen Elektro, Wasserstoff oder Hybrid. An der vierjährigen Ausbildung zum Automechatroniker sei speziell, dass als zusätzliche Handlungskompetenz zum Automechaniker die Diagnose, unter anderem mit Analysegeräten, wichtig sei. «Autos sind komplexer geworden – auch wenn es teilweise Störungen gibt, die nach über hundert Jahren Autobau gleich geblieben sind.» Im Verkauf werde vermehrt die Zusatzausbildung zum Mobilitätsberater gefragt sein, der die Ladeinfrastruktur und den Einsatz des Fahrzeugs einordnen und die Kunden entsprechend beraten kann. «So gibt es vielfältige Weiterbildungen, die man auch im Autobau absolvieren kann.» Ein weiteres gefragtes Segment seien die Restauratoren: «Das Wissen über Oldtimer stirbt fast aus – buchstäblich: So wird es schwierig, diese alten Autos am Leben zu halten.»

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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