«Da stimmt etwas nicht»

Die beiden KGV-Spitzenkandidaten im Gespräch: Nicole Barandun (Die Mitte) und Bruno Walliser (SVP, bisher) zu ihren Erwartungen im Wahlherbst und zur schwachen Gewerbelobby im Nationalrat.

Bild Mark Gasser

Die beiden Spitzenkandidierenden des KGV, Nicole Barandun (Die Mitte) und Bruno Walliser (SVP) im Gespräch.

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Die beiden Spitzenkandidierenden des KGV, Nicole Barandun (Die Mitte) und Bruno Walliser (SVP) im Gespräch.

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«Wählerinnen und Wähler empfänglicher sind für Sachthemen und inhaltliche Auseinandersetzungen»: Nicole Barandun (Die Mitte).

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«Wir haben zu wenige Menschen auf dem Arbeitsmarkt, die arbeiten können und wollen.»: Bruno Walliser (SVP).

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«Wir haben zu wenige Menschen auf dem Arbeitsmarkt, die arbeiten können und wollen.»: Bruno Walliser (SVP).

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«Wählerinnen und Wähler empfänglicher sind für Sachthemen und inhaltliche Auseinandersetzungen»: Nicole Barandun (Die Mitte).

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«Wählerinnen und Wähler empfänglicher sind für Sachthemen und inhaltliche Auseinandersetzungen»: Nicole Barandun (Die Mitte).

Bruno Walliser, was hat sich für dich geändert im Wahlkampf, wenn du mit der ersten Wiederwahl 2019 vergleichst? Bist du entspannter geworden?

Walliser: Nein, man ist nicht entspannter, man muss genau gleich Vollgas geben wie vor vier Jahren, präsent sein – unter anderem bin ich an zahlreichen Veranstaltungen, zuletzt etwa beim Gewerbeverein Rüti.

Die Ausgangslage ist ja nicht so schlecht für die SVP beziehungsweise für dich: Roger Köppel tritt zurück, und der Kanton Zürich erhält einen zusätzlichen Sitz, neu sind es 36 statt 35.

Walliser: Ja, und ausserdem haben wir eine Listenverbindung mit der FDP – das ist ein gutes Zeichen gegen aussen, dass wir gemeinsam unsere Interessen vertreten mit diesem bürgerlichen Schulterschluss. Dasselbe gilt natürlich für den Ständeratswahlkampf mit Regine Sauter und Gregor Rutz. Trotzdem müssen wir einen intensiven Wahlkampf führen und um jede Stimme kämpfen, vor allem müssen wir die Gewerbler motivieren, an den Wahlen teilzunehmen.

Wer im Geschäftsleben steht, reicht Vorstösse ein, die Hand und Fuss haben.

Bruno Walliser, Nationalrat SVP, Unternehmer

Nicole Barandun, du bist auf Wahlplakaten mit dem im letzten Jahr verunfallten Nationalrat Philipp Kutter zu sehen, den du im Wahlkampf auf Platz 2 begleitest und im Rollstuhl schiebst. Was hat es damit auf sich?

Barandun: Ich erinnere mich ans Telefon, als mir von seinem Skiunfall berichtet wurde. Als es schlecht um ihn stand, dachte ich mir: So will ich nicht in den Rat nachrutschen. Daher freut es mich umso mehr, dass er antritt – und es wäre eine grossartige Sache, wenn wir beide dank einem zusätzlichen Sitz zu zweit nach Bern fahren könnten. Schieben muss ich ihn allerdings nicht.

Du warst schon Kantonsrätin, bist nun schon zum wiederholten Mal für die Mitte an Stände- oder Nationalratswahlen angetreten. Abgesehen von der realistischen Chance, diesmal tatsächlich nebst Philipp Kutter gewählt zu werden – gibt es Unterschiede zu früheren Wahlkämpfen?

Barandun: Ich habe das Gefühl, dass die Wählerinnen und Wähler empfänglicher sind für Sachthemen und inhaltliche Auseinandersetzungen. Sie erkennen, dass es uns nicht einfach automatisch gut geht: Covid, der Ukrainekrieg, die Strommangellage – vor vier Jahren hatten wir im Vergleich zu heute noch eine heile Welt.

Das Thema Klima ist zwar ein Topthema im Sorgenbarometer. Aber die Wählerinnen und Wähler haben gemerkt, dass es nicht reicht, ständig das Problem zu bezeichnen, sondern dass man Lösungen präsentieren muss. Und dass es Konsequenzen hat für jeden Haushalt. Oder beimWasserkraft-Ausbau: Wir müssen aufpassen, uns durch Regulierungen und Rekurse nicht zu stark zu beschränken. Da müssen wir die Rechte der Umweltverbände vielleicht einschränken, um überhaupt etwas bauen zu können.

Ist die KMU-Szene im Parlament untervertreten?

Walliser: Ja, ich finde schon. Vor allem auf linksgrüner Seite gibt es zahlreiche Halbprofi-Parlamentarier, die nicht oder nicht mehr erwerbstätig sind und nur von politischen Mandaten leben. Das muss man verhindern. Wir brauchen Milizler im Parlament, die aus dem Geschäftsleben wissen, wo der Schuh drückt. Und die dem Milizsystem Sorge tragen. Man kann leider die Handwerker im Parlament an einer Hand abzählen.

Barandun: Gewerblerinnen und Gewerbler sind stark fokussiert auf ihre Arbeit und gefordert im Betrieb. Und trotzdem ist es wichtig, dass alle, die es sich einrichten können, sich in der Politik engagieren. Und in grösseren Unternehmen ist ein Umdenken nötig nach dem Muster des Militärs, wo man früher eher die Möglichkeit hatte, Karriere zu machen. In diese Richtung gibt es immerhin wieder grössere Bestrebungen.

Wir haben in der Schweiz gemerkt, dass wir mehr Werbung für die duale Berufsbildung machen müssen. Gerade unter Zugewanderten – allen voran den Deutschen.

Nicole Barandun, Nationalratskandidaten Die Mitte, Unternehmerin und KGV-Vizepräsidentin

Ist es denn realistisch, Nationalrat zu sein und daneben eine Firma zu führen? Oder hat es das Milizsystem heute schwerer, weil das Politikmachen mit dem Gewerbealltag konfligiert?

Walliser: Man muss natürlich bereit sein, sich zu engagieren – ob im Militär oder in der Politik. Ich glaube, Unternehmer hatten es vor 20 Jahren fast schwerer, Milizpolitik und KMU zu kombinieren – heute kann man sich dank Digitalisierung besser organisieren. Man muss die Möglichkeiten aber richtig einsetzen – zum eigenen Vorteil.

Stichwort Digitalisierung: Beim Datenschutz hat man als Webseiten-Betreiber und -Nutzer das Gefühl, als sei mit dem neuen Gesetz per 1. September alles eher komplizierter statt einfacher geworden.

Barandun: Das Datenschutzgesetz ist ein gutes Beispiel dafür, wie man es eben nicht machen sollte. Es sollte schlanker und einfacher ausformuliert sein, so dass der Bürger oder zumindest ein versierter Jurist versteht, worum es geht. Bei diesem Gesetz hat man zu weiten Teilen die europäische Datenschutzverordnung übernommen – in einer Sprache, die wir nicht sprechen. Und man hat schlicht vergessen, aufzuzeigen, was das etwa für die Tausenden von KMU oder Vereinen bedeutet. Das ist eines von vielen Beispielen, die zeigen, dass Menschen, die mitten im Leben stehen, eher ein Bewusstsein für die Folgen solcher Thematiken für die Bürger oder das Gemeinwesen haben.

Du hast den National- und Ständerat vor vier Jahren als realitätsferne Käseglocke bezeichnet…

Barandun: Ja, weil es kaum noch Milizpolitiker gibt. Aber das Milizsystem ermöglicht es, irgendwann auch wieder aus der Politik auszuscheiden. Demgegenüber ist der Druck – und die Verlockung – auf die angehenden Berufspolitiker, weiterzumachen, stark spürbar. Wer jung in ein Parlament kommt, muss nachher für die nächsthöhere Stufe kandidieren.

Bruno Walliser, vor vier Jahren sagtest du, dass du in deinen Kernthemen zurückgebunden worden seist, da du in der Rechtskommission gelandet bist. Nun bist du in der sicherheitspolitischen Kommission – kannst du dich hier mehr einbringen?

Walliser: Nun ja, ich war in der Rechtskommission praktisch der einzige Nicht-Jurist. Das hat auch nicht geschadet, da ich Fragen stellte, bei denen andere sich nicht «outen» wollten. Und zweitens ist das Parlament ja Gesetzgeberin – wir machen Gesetze für die Bevölkerung, deshalb müssen diese so einfach wie möglich sein. Vor allem sollten nicht ständig neue Gesetze hinzukommen. Aber wir haben zu viele Parlamentarier in Bern, die nur ihr Nationalratsmandat haben und sich von morgens bis abends Vorstösse ausdenken können. Wer im Geschäftsleben steht, reicht Vorstösse ein, die Hand und Fuss haben und nicht, um sich zu profilieren.

Vor vier Jahren bezeichneten wir dich nach deiner Wiederwahl als «unideologischen Gümmeler». Fährst du immer noch Velo, oder mittlerweile E-Bike?

Walliser: Ich habe tatsächlich ein E-Bike. Aber das hat rein praktische, nicht ideologische Gründe. Ich bewältige den Weg von mir ins Büro mit dem E-Bike, weil ich nicht dreimal am Tag duschen kann. Aber sonst bin ich nach wie vor der Gümmeler.

Mobilität ist gerade in Zürich ein bewegendes Thema – auch für Nicole als GVZ-Präsidentin. Velo-Highways, Parkplatzabbau, Parkkarten-Wucher: Verrennt sich Zürich in falschen Visionen?

Barandun: Mobilität muss man neu denken. Wir bewegen uns immer in gefestigten Denkmustern – auch in Zürich. Zuvorderst müsste man den Gewerbeverkehr ausnehmen von allen Massnahmen, die den motorisierten Individualverkehr beschränken. Doch bereits bei den Parkkarten tut sich die Stadt Zürich sehr schwer damit, den Gewerbebetrieben zu ermöglichen, überall und günstig zu parkieren. Vielleicht müsste man auch anfangen, über Dinge wie Carpooling oder eine Priorisierung fürs Gewerbe auf bestimmten Spuren nachzudenken. In der Velostadt Amsterdam fährt der Gewerbeverkehr auf Tramschienen. Ich wünschte mir auch, dass sich alle überlegten: Muss ich auch zu dieser Zeit auf der Strasse sein? Das wäre dank unseren flexibleren Arbeitszeiten einfacher als früher. Es hat einfach zu wenig Platz und zu viel Verkehr.

Walliser: Ich bin aus diesem Grund vorsichtig, in Zürich Aufträge anzunehmen. Da ist oft der Arbeitsweg inklusive Parkplatzsuche grösser als der Einsatz – da habe ich auch Skrupel gegenüber den Kunden. Und wenn es heisst, die Landbevölkerung solle ausserhalb der Stadt parkieren, muss man einfach festhalten: Wir auf dem Lande müssen nicht die Probleme einer verfehlten Verkehrspolitik der Stadt Zürich lösen. Ausserdem haben wir zu viele Leute!

Barandun: Und doch zu wenige – die Fachkräfte fehlen ja trotzdem. Da stimmt etwas nicht – offenbar fehlt etwas.

Walliser: Dann präzisiere ich: Wir haben zu wenige Menschen auf dem Arbeitsmarkt, die arbeiten können und wollen. Wir finden beispielsweise keine Kaminfeger mehr. Erstmals konnte ich für meinen Betrieb keinen Lernenden finden. Und jedes Jahr kommen 100 000 Menschen in die Schweiz. Das heisst für mich: Es kommen die Falschen. 4 von 5 Zuwanderern sind keine Fachkräfte.

Es treibt viele in (Dienstleistungs-)Berufe…

Barandun: Und insbesondere in die Verwaltung oder in Grossunternehmen. Die Arbeitskräfte fehlen uns dann. Ich glaube aber, dass man in der Schweiz gemerkt hat, dass wir mehr Werbung für die duale Berufslehre machen müssen. Gerade unter den Zugewanderten – allen voran den Deutschen. Sie haben oft das Gefühl, eine Lehre sei gleich Hartz IV.
Was ist das Standing des sgv und der Gewerbler im Parlament? Schafft es Fabio Regazzi als neuer Präsident, das Parlament für
Gewerbeanliegen zu gewinnen?

Walliser: Beim sgv selber sieht man Fabio Regazzis Handschrift noch nicht, dafür ist er noch zu wenig lange Präsident. Aber wenn es darum geht, im Parlament Mehrheiten zu schmieden, ist es durchaus ein Vorteil für unsere Gewerbeinteressen, wenn ein Mitte-Nationalrat Präsident ist. Nur schon durch seine Parteizugehörigkeit hat er Rückhalt in der Mitte.

Hast du, Nicole, viel Kontakt zu Fabio Regazzi, der auch der Mitte angehört?

Barandun: Noch wenig. Ich finde es aber allgemein innerhalb unserer Verbandsstrukturen schade, dass der sgv an der Basis wenig spürbar ist – so sieht man zu wenig, was er für uns Gewerbler und angegliederte Verbände alles leistet. Der Austausch, der Kontakt zu den Leitungspersonen fehlt etwas. Andererseits betreffen die Beschlüsse des sgv mehrheitlich nicht Probleme der Wirtschaftsmetropolen wie Zürich. Deshalb haben wir uns in einer Städteplattform zusammengeschlossen, um städtespezifische Themen aufzunehmen: Parkplatzverknappung, Littering-Experimente oder nun die Einführung eines Mindestlohns.

Bruno, im SVP-Wahlkampf-Video von Thomas Matter «Tanz mit der SVP» tanzt du mit. Musstest du im Wahlkampf bei so vielen Plattformen Abstriche machen?

Walliser: Es gibt je länger, desto mehr Hochzeiten, auf denen man tanzen muss. Auf den sozialen Medien bin ich nicht so aktiv. Ich kann Facebook bedienen – allerdings sind es immer dieselben, die dort reagieren. Ähnlich ist es im physischen Wahlkampf: Sogar an der ZOM-Messe traf ich dieselben Leute wie letztes Jahr. Bei Instagram unterstützt mich mein Sohn.
Barandun: Der Wahlkampf ist eben ein Mobilisierungskampf. Die grosse Mehrheit der Wähler gewinnt die Partei als Ganze oder die Kandidatin während der Legislatur durch ihre Arbeit. Für uns ist der Strassenwahlkampf sehr wichtig. Ich gehe aber auch an Anlässe meiner Orts- oder Bezirkspartei oder von Verbänden, wo man mit Leuten ins Gespräch kommt.
Walliser: In der Tat. Wir müssen unsere Gewerbler und KMU mobilisieren, daher sind wir froh um die Unterstützung des KGV und um seine frische Kampagne.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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