ESG-Kriterien sind keine reine Ideologie

Eine Anlagestrategie kann zwar verschiedene Arten von Vermögenswerten einbeziehen, muss sich aber auch mit langfristigen Trends befassen. Zu diesen Megatrends gehören Umwelt-, Gesellschafts- und Governance-Probleme. Wir stehen vor einem Wendepunkt in der Art und Weise, wie wir investieren.

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Gérald Mayoraz, Direktor Groupe Mutuel Asset Management AG

Das Jahr 2022 hat die Portfolios der Pensionskassen heftig getroffen. Dieser Schock war in der jüngsten Geschichte der Finanzmärkte sehr untypisch, da alle Anlageklassen gemeinsam litten. Der Zinsanstieg liess die Kurse sinken. Die Wende in der Geldpolitik der Zentralbanken und die unterbrochenen Lieferketten aufgrund der Schliessung Chinas belasteten die Aktienmärkte. Schweizer Immobilienfonds gerieten unter beispiellosen Druck und die europäische Währung sank gegenüber dem Schweizer Franken weiter ab.

Das Ergebnis des Geschäftsjahres 2022 hat die zweite Säule in der Schweiz zwar ins Wanken, aber nicht zu Fall gebracht. Das war unter anderem den angehäuften Wertschwankungsreserven zu verdanken. Im Herbst letzten Jahres schien die Rezession unmittelbar bevorzustehen, die Inflation ausser Kontrolle zu geraten und die Gewinnaussichten der Unternehmen für 2023 viel zu hoch. Im Juni dieses Jahres hat sich gezeigt, dass die Rezession nicht eingetreten ist, die Inflationsraten rasch sinken, die Arbeitslosenquoten auf einem Tiefstand und die Unternehmensgewinne respektabel sind.

Beispielsweise war Deutschland aufgrund seiner Energieabhängigkeit von Russland und seiner umfangreichen Importe von Agrarrohstoffen aus der Ukraine mit sehr schlechten Prognosen konfrontiert. Es hat sich aber gezeigt, dass sein Aktienmarkt (DAX) in diesem Jahr sein Allzeithoch überschritten hat. Entwicklungen, die viele Fragen aufwerfen. Wie geht man mit dieser wiederkehrenden Volatilität und Unberechenbarkeit der Märkte um? Wann sollte man investieren? Wo sollte man investieren?

Ausschluss oder Beteiligung?

Angesichts der Herausforderungen der Energiewende und des Klimadrangs gibt es zwei Möglichkeiten, die Dinge anzugehen: Ausschluss oder Beteiligung. Der Ausschluss ist, abgesehen von grösseren Kontroversen, sicherlich nicht die ideale Lösung. Denn wenn wir ein Unternehmen verkaufen, das im Bereich der fossilen Energie tätig ist, findet es in der nächsten Sekunde einen neuen Eigentümer.

Die Wende wird Willenskraft, Geld und Zeit erfordern.

Gérald Mayoraz, Direktor Groupe Mutuel Asset Management AG

Die Wende wird Willenskraft, Geld und Zeit erfordern. Die Abkehr von der Kernenergie als Energiequelle ist beispielsweise im Zusammenhang mit Solar- und Windenergie sowie Erdöl zu sehen: Eine 2,5 cm grosse Uran-Tablette entspricht 450 Litern Erdöl oder einer Tonne Kohle. Die durchschnittliche Betriebszeit von Kernkraftwerken liegt bei 93 %, bei Windkraftanlagen bei 35 % und bei Solarenergie bei 25 %.

ESG-Kriterien: Eine Notwendigkeit

Ein weiteres zentrales Thema bei der Dekarbonisierung und dem Energiewandel im Portfolio einer Pensionskasse sind die direkt gehaltenen Immobilien. Der Immobilienbestand, der in der Schweiz von der zweiten Säule gehalten wird, ist gross. Das erfordert Investitionen, die den Energieverbrauch der Gebäude verbessert. Die Schweiz ist Europameister im Heizen mit Heizöl und die Ziele des Bundes sind eindeutig. Bis 2030 sollten 500 000 Heizkessel ersetzt werden. Das erscheint schwer vorstellbar, da es an Mitteln sowie an qualifizierten und verfügbaren Personen mangelt. Dieser Umstand hindert die Pensionskassen jedoch nicht daran, in Technologien zur Fernsteuerung der Heizung, in die Kalibrierung der Temperaturen, in gezielte Renovationen sowie in die Sensibilisierung der Mieter zu investieren.

Die Groupe Mutuel Vorsorge – GMP setzt sich über ihren Stiftungsrat seit einigen Jahren für die Einhaltung der ESG-Kriterien ein. Dieses Engagement erfolgt nicht aus rein ideologischen Gründen. Es besteht das Risiko einer Underperformance für Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell nicht ändern wollen. Eine Nichtteilnahme an diesem ökologischen und gesellschaftlichen Wandel bedeutet einen Verzicht auf potenziell attraktive Renditen für die Versicherten.

Die wichtigste Aufgabe einer Pensionskasse ist es, die versprochenen Renten an zukünftige Rentner auszahlen zu können. Um dies zu erreichen, ist eine nach Vermögensarten, geografischen Regionen und Wirtschaftssektoren diversifizierte Anlagestrategie von entscheidender Bedeutung. ESG-Kriterien sind eine neue, notwendige und spannende Entwicklung. Wir bei der Groupe Mutuel sind davon überzeugt, dass die Zukunft nicht so düster ist, wie man uns glauben machen will. Mit unseren zwei Grundprinzipien glauben wir an den Erfolg: Der gesunde Menschenverstand muss Vorrang haben und die Angst darf die Umsetzung einer Anlagestrategie nicht beeinflussen.

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