Aktienrecht: Neue Handlungsspielräume

Am 1. Januar 2023 ist das neue Aktienrecht in Kraft getreten. Schwerpunkt des vorliegenden Ratgebers sind Neuerungen bezüglich Generalversammlungen nicht kotierter Aktiengesellschaften. Ferner werden weitere ausgewählte Aspekte der Revision aufgezeigt.

Es gibt Neuerungen für die Generalversammlungen nicht kotierter AG

Von Florian Jung

Generalversammlungen nicht kotierter Aktiengesellschaften

Das Aktienrecht wurde umfassend überarbeitet, modernisiert und flexibilisiert. Zahlreiche Änderungen betreffen die Einberufung, Durchführung und Protokollierung von Generalversammlungen (GVs).Der Geschäftsbericht ist mit der Einberufung «zugänglich zu machen», statt wie bisher «aufzulegen». Auf Anfrage zuzustellen ist er nur noch, wenn er nicht elektronisch zugänglich ist. Hinsichtlich der in der Einberufung zu nennenden Traktanden wird dem Verwaltungsrat (VR) neu vorgeschrieben, dass die «Einheit der Materie» zu wahren ist. Beispielsweise soll nicht mehr integral über eine Totalrevision der Statuten abgestimmt werden, sondern Themenblöcke gebildet werden. In der Praxis zeigen sich unterschiedliche Herangehensweisen an diese Vorgabe. Die Kognition der Handelsregisterämter ist dabei eingeschränkt. In der Regel sollten Geschäfte somit nicht wegen Ver-stössen gegen die «Einheit der Materie» zurückgewiesen werden.

Neues Aktienrecht

Das neue Aktienrecht sieht verschiedene Formen von GVs bzw. von Aktionärsbeschlüssen vor: Neben der «klassischen» GV an einem (schweizerischen) Tagungsort finden sich neu Regelungen zu multilokalen GVs, GVs im Ausland, hybriden GVs, rein virtuellen GVs sowie Aktionärsbeschlüssen auf schriftlichem oder elektronischem Weg. Für die diversen Formen gelten jeweils unterschiedliche Voraussetzungen. Bei multilokalen GVs ist die Übertragung von Bild und Ton vorgeschrieben. GVs im Ausland und rein virtuelle GVs sind nur mit entsprechender Statutengrundlage zulässig; zudem ist in diesen Fällen ein unabhängiger Stimmrechtsvertreter (USRV) zu bezeichnen, ausser im Einzelfall wird einstimmig darauf verzichtet (bei GVs im Ausland) oder die Statuten erlauben einen solchen Verzicht (bei rein virtuellen GVs; ein genereller statutarischer Verzicht ist gemäss Handelsregisterpraxis nicht zulässig). Bei hybriden und virtuellen GVs sind zudem gesetzliche Vorgaben zur «Verwendung elektronischer Mittel» einzuhalten.

Die Aktionärsbeschlüsse auf schriftlichem oder elektronischem Weg sind nur möglich, wenn kein Aktionär die mündliche Beratung verlangt. Zudem vertritt die juristische Lehre, dass ein solcher Aktionärsbeschluss zusätzlich in einem Erwahrungsprotokoll festzuhalten ist. Bei Beschlüssen, die im Handelsregister einzutragen sind, dient dieses Erwahrungsprotokoll, und nicht der von den Aktionären unterzeichnete Zirkularbeschluss, als Beleg.

Hinsichtlich der Vertretung von Aktionären im Rahmen einer GV ist neu gesetzlich vorgesehen, dass die Statuten die rechtsgeschäftliche Vertretung auf andere Aktionäre einschränken können. Allerdings muss der VR dann auf Verlangen eines Aktionärs einen USRV oder einen Organstimmrechtsvertreter bezeichnen; andernfalls ist die Vertretung durch einen beliebigen Dritten dennoch zulässig
Ausgedehnt wurden die Vorgaben zur Protokollierung, wonach das Datum, der Beginn und das Ende sowie die Art und der Ort der GV und (bei hybriden bzw. virtuellen GVs) relevante technische Probleme anzugeben sind.

Weitere wesentliche Neuerungen

Zu den weiteren wichtigen Änderungen zählen insbesondere:

● die Senkung des Mindest-Nennwerts von einem Rappen auf einen beliebigen Wert grösser als Null (als Dezimalzahl oder Bruch dargestellt)
● die Möglichkeit, das Aktienkapital unter gewissen Voraussetzungen in einer Fremdwährung zu führen
● die Abschaffung der Bestimmungen zur (beabsichtigten) Sachübernahme, die nicht mehr als qualifizierte Liberierung (wie Sacheinlagen oder Verrechnung) gilt (weiterhin sind jedoch andere Schutzbestimmungen wie das Verantwortlichkeitsrecht anwendbar)
● die Einführung des Kapitalbands anstelle des genehmigten Kapitals, womit – sofern nicht auf die Revision verzichtet wurde – auch eine Ermächtigung des VR zur Kapitalherabsetzung vorgesehen werden kann
● Anpassungen von Schwellen für Minderheitsrechte (wie bspw. dem Traktandierungsrecht, welches neu ab 5% des Kapitals oder der Stimmen ausgeübt werden kann)
● Neuerungen betreffend Gesellschaften in finanzieller Schieflage, insbesondere die Einführung der «drohenden Zahlungsunfähigkeit» als pflichtbegründendes Ereignis neben dem Kapitalverlust und der (drohenden) Überschuldung
(Noch) kein Handlungsbedarf, Anpassung aber zu empfehlen


Die Übergangsbestimmungen sehen vor, dass Statuten und Reglemente, die mit dem neuen Recht nicht vereinbar sind, bis zu ihrer Anpassung, längstens aber bis Ende 2024, in Kraft bleiben. Allerdings bleiben gewisse Neuerungen ohne Grundlage in den Statuten vorerst verwehrt, wie beispielweise die virtuelle GV. Zudem können altrechtliche Statuten Rechtsunsicherheit schaffen. Spätestens mit Ablauf der Übergangsfrist, wenn die nicht mit dem neuen Recht kompatiblen Statutenbestimmungen unwirksam werden, drängt sich eine Statutenrevision auf. Die Handelsregister unterscheiden zwischen Teil- und Totalrevisionen der Statuten: Bei Teilrevisionen müssen lediglich die geänderten Artikel, bei Totalrevisionen die gesamten Statuten dem neuen Recht entsprechen.

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