Webshop-Kauderwelsch

Lieferzeit 3 bis 5 Alltage. So lange dauert es laut dem Schweizer Portal eines amerikanischen Versandhauses, bis das Skateboard eintrifft. Das ist allerhand – und eine philosophisch reizvolle Rechenaufgabe. Erst müsste ja geklärt werden, ob ein Mensch überhaupt mehr als einen Alltag für sich beanspruchen kann. Denn wenn man schon mit einem Alltag an seine Leistungsgrenze stösst, wird es mit drei oder gar fünf Alltagen erst recht kompliziert: Nur schon ein Doppelleben zu führen, ist ja vorab Schürzenjägern und Superhelden vorbehalten.

Die Dekonstruktivisten in der Literaturkritik predigten ja Mitte des 20. Jahrhunderts den «Tod des Autors»: Motive und Biografie der Autorin oder des Autors sollen den Blick auf die Geschichte, durch die Brille des Lesers gesehen und interpretiert, nicht trüben. Die meist abenteuerlichen maschinengenerierten Übersetzungen von Produktbeschreibungen lassen durch die Entmenschlichung des Webshop-Marketings gar nicht erst den Verdacht aufkommen, dass sich da jemals ein Autor aus Fleisch und Blut am Text vergangen hat. Vielleicht sollten wir diesen kurzen Moment in der Geschichte deshalb sogar schätzen, in dem digitale Dolmetscher noch unfreiwilligen Humor provozieren und so die Autoren (noch) nicht gänzlich «töten», sprich: substituieren.

Beispiel gefällig? Eine Weihnachts-Lichterkette auf «Aliexpress» wird mit folgenden mysteriösen Satzkonstrukten erklärt: «produkt niedrigen druck, licht string tragen, lampe perlen nicht auslaufen, tun nicht wärme, string string wasserdicht; die produkt ist kleine in größe, licht in gewicht, dauert die logistik und versand; Die licht kann leicht bauen das festival oder party fühlen sie desire; Perfekte zu dekorieren sie ihr haus, zimmer, garten, etc.»

Klar, auch hiesige Detailhändler haben ihre Aussetzer, die aber eher als Einzelfälle verewigt sind: So verkaufte die Migros einst «Pimeli» statt die ähnlich klingende Blumensorte, oder sie nahm einmal «Kackfleisch» ins Sortiment.

Sprache ist Heimat. Und: «Verständigung wohnt als Telos (Endzweck) der menschlichen Sprache inne», meinte einst der Soziologe Jürgen Habermas. Man dachte: Das sind Worte für die Ewigkeit. Nur muss man sich heute manchmal fragen: Ist uns dieses Ziel abhanden gekommen, oder sind wir genügsam geworden mit der maschinellen Annäherung an Verständigung? Die Verkümmerung des Spracherlebnisses durch computergenerierte Sprachfetzen wird nicht nur beim Onlinehandel bewusst in Kauf genommen.

Das Computer-Kauderwelsch, häufig befreit von Sinn, lässt den Kauf im Zuge des fragilen Rätselratens zur Lotterie werden. So ist es irgendwie beruhigend, dass Google Translate und andere Webshop-Übersetzungsdienste den Dolmetscher aus Fleisch und Blut halt (noch) nicht ersetzen. Weniger beruhigend ist, dass wir uns das Resultat langmütig zu ertragen gewöhnten.

Zugegeben, auch der Mensch ist nicht immer unfehlbar. Um es mit Lothar Matthäus, der Fleisch gewordenen fehlerhaften Übersetzungsmaschine, zu sagen: «I hope, we have a little bit lucky». Am Ende des «Alltages» gehört eben ein wenig Risiko zu jedem Online-Kauf dazu. Oder man geht in den Geschenkladen um die Ecke, wo einem wunderbar von echten Menschen die Vor- und Nachteile eines Produkts in eine alltagstaugliche, verständliche Sprache übersetzt werden.

Wadenbeisser

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