Schulen, Strom, Steuern – und wenig Streitlust

Ein lockeres bürgerliches Bündnis – darunter ein Neuer, der nicht lockerlässt. Unter dem Titel: «Wie soll Zürich regiert werden?» lud das Forum Zürich zum Podium mit den fünf bürgerlichen Regierungsratskandidaten. Fazit: Der «liberale Aufbruch» klingt schön – ist aber nicht überall möglich.

Bild Mark Gasser

Schulen, Strom, Steuern – und wenig Streitlust

Gut 100 meist bürgerliche Gäste aus Gewerbe, Politik und Verbänden fanden sich am rundum erneuerten Konzernhauptsitz der Zurich Versicherung ein, um die bürgerlichen Kandidierenden für die Regierungsratswahl 2023 anzuhören. Tradition, Transformation, Innovation und Kreativität – dafür wolle der Versicherungskonzern auch in den nächsten 150 Jahren stehen, meinte Gastgeber Juan Beer, CEO Zurich Schweiz, bei seiner Begrüssung im rechtzeitig zum 150-Jahr-Jubiläum eröffneten «Quai Zurich Campus» am Mythenquai – eine Verbindung zwischen einem neuen, U-förmigen Baukörper, der sich in die schützenswerten Trakte mit Baujahr 1901 bis 1932 einfügt.

Robert Gubler, Vorsitzender des Forum Zürich und ehemaliger KGV-Präsident, meinte an die Adresse der Zurich Versicherung, dass viele «Decision Makers» vor Ort die Location schätzten. Die Anmeldungen zeigten: Es liege im Interesse der bürgerlichen VertreterInnen der Zürcher Wirtschaft, sich auszutauschen. Um weitere 150 Jahre «zusammen unterwegs zu sein» und den Kanton Zürich attraktiv zu erhalten, brauche es eine bürgerliche Führung.

Wenn es um die Wurst geht, spüre ich herzlich wenig vom liberalen Geist.

Ernst Stocker, Finanzdirektor (SVP)

Die fünf Kandidierenden für den Regierungsrat (davon vier Bisherige) sind: Peter Grünenfelder, der als einziger Neuer antritt (FDP), Vertreter eines liberalen Kurses und aktuell Direktor des Thinktanks Avenir Suisse ist; Finanzdirektor und Regierungspräsident Ernst Stocker (SVP): Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh (FDP), welche laut Gubler «die Schlüsselposition für die Standortattraktivität» innehält; Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Die Mitte), die «sozusagen den Nachwuchs produziert», Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP), «vom Start weg» mit ihrer ersten Legislatur ab 2019 mit einem sehr herausfordernden Dossier betraut, das sie aber «mit Bravour» gemeistert habe.

Natürlich hätten Wirtschaftskreise auch immer wieder genörgelt über die letzten vier Jahre, meinte Gubler. Und man stand schon vor vier Jahren geeint und diskutierte über Strategien. Aber dann sei der wahre Härtetest mit Corona gekommen. «Und ich muss Ihnen nach dieser Krise sagen: Die können das.» Er attestierte der Regierungsarbeit «gute Resultate für die Bevölkerung, für die Wirtschaft». Doch sei die Kombination zwischen bewährtem Management und Ideen für Verbesserungen wichtig – für Letzteres garantiere Peter Grünenfelder.

Vorweg: Die Zusammenarbeit im Gremium, aber vor allem unter den Bürgerlichen, befand Natalie Rickli stellvertretend für die weiteren Bisherigen als gut, zumal sie die «krisenfreie» Zeit nicht kenne. «Wir sind immer zu Lösungen gekommen.» Die tiefe Messlatte punkto Zusammenarbeit gebe ja ohnehin der Bundesrat vor, meinte Stocker und erntete Lacher. Silvia Steiner lobte auch die interdirektionale Zusammenarbeit.

Ist liberaler Aufbruch nötig?

In der Frage, die der Veranstaltung auch den Titel gab – wie der Standort Zürich attraktiver und wie er regiert werden soll – waren sich die Bisherigen weitestgehend einig. Ernst Stocker trat bezüglich «liberaler Ideen» gleich auf die Euphoriebremse: «Wenn es um die Wurst geht, spüre ich herzlich wenig vom liberalen Geist.» Er meinte damit insbesondere jüngste Forderungen aus dem Gewerbe nach Entschädigungen für die horrenden Strompreise. Abgesehen davon, stehe der Kanton Zürich gut da mit geringer Arbeitslosigkeit. Und in den letzten vier Jahren seien 5 Milliarden in notwendige Infrastrukturen bei Bildung, Verkehr und Gesundheit investiert worden. Und trotz dieser Investitionen und nach Corona stehe der Haushalt stabil da, mit einer Triple-A-Bewertung: Der Kanton habe sogar eine Milliarde Schulden abgebaut. «Das ist das Fundament für den starken Standort. Und was man immer wieder vergisst: Zürich hat eine unheimliche Sogwirkung.» Rund die Hälfte der 25 000 ETH-Studenten blieben nach dem Studium im Kanton. Die Nebenwirkung: Zürich ist der jüngste Kanton «und hat mit Abstand die meisten Schulkinder pro Kopf. Das belastet uns natürlich und nimmt uns ein Stück weit die Flexibilität.»

Das Wahlkampfmotto Grünenfelders, «Zeit für den liberalen Aufbruch», decke sich mit Stockers Motto «Wir müssen den Kanton attraktiver machen». «Reicht das Bisherige denn nicht?», fragte Moderator Brennwald Peter Grünenfelder. Angesichts der drohenden OECD-Steuerreform bewegten sich andere Kantone nicht nur um die Jungen, sondern auch darum, die Vermögenden im Kanton zu behalten – und dies schneller und mit konsequenter Steuerpolitik. Das zeige der Abfluss von Firmen aus dem Kanton – vor allem in Richtung Kanton Zug. Darum brauche es den liberalen Umbruch.

Grünenfelder nannte notwendige politische Schritte für besagten Aufbruch wie die Initiative zur Individualbesteuerung oder die Flexibilisierung des Rentenalters und die Eindämmung des Verwaltungswachstum. Dieses sorge dafür, dass Fachkräfte im Privatsektor fehlten. Ferner seien Teilzeitarbeit, hohe Fluktuation im Bildungsbereich und Herausforderungen in der Volksschule (Stichwort integrative Schulung) weitere Baustellen.

Silvia Steiner verteidigte ihre Schulpolitik und meinte, vieles am Schulsystem sei durch Regulierungen vorgegeben: Lehrerlöhne, Klassengrösse, Anzahl Stunden. Im Bildungsbereich müsse man junge Leute zu selbständigen Menschen erziehen. Aber während Grünenfelder die Regierungs- und Verwaltungsstruktur als «aus dem letzten Jahrhundert» kritisierte, nannte Steiner gerade das Bildungssystem einen «extrem langsamen Tanker». Einen so trägen Apparat könne man auch nur langsam steuern.

Digitalen Anschluss verpasst?

Auf eine Kritik Brennwalder zum digitalen Unterricht und den «schlecht vorbereiteten Lehrpersonen» bezeichnete Steiner den harzigen Start während Corona als Überbrückungsmassnahme. Der Lehrplan 21 sehe vor, ab der 5. Klasse digitalen Unterricht einzuführen. Nun brauche es einheitliche pädagogische Konzepten gearbeitet, unter anderem in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Regierungspräsident und Finanzdirektor Stocker fand, die sieben Direktionen gäben das Geld «adäquat» aus. Er nannte auch die Grundversorgung der Digitalisierung in der Finanzdirektion und die Verschmelzung von bislang zwei Abteilungen einen Effizienzgewinn. Volkswirtschaftsdirektorin Walker Späh sieht die Digitalisierung auch als grosse Herausforderung mit dem klaren Ziel, effizienter und beschleunigter zu werden. Doch einiges hinkt noch, etwa E-Voting, digitale Unterschriften, digitale Patientendossiers. Als positives Beispiel für die Flexibilität ihrer eigenen Direktion nannte sie hingegen die Schaffung einer digitalen, automatisierten Lösung für die 30 000 Kurzarbeitsgesuche von 380 000 Arbeitnehmenden, die beim AWA landeten. «Wenn man will, kann man. Aber es braucht auch einen Effort.»

Energie und Förderstaat

Der Kanton sei ein Top-Standort für Unternehmen – trotz der hohen Steuern. Die 1,6 Prozent Stellenlose bedeuteten «ökonomisch gesehen Vollbeschäftigung». Die Kehrseite der Beschäftigung: Unternehmen klagten stets über Arbeitskräftemangel. Walker Späh klagte darauf ihrerseits über eine schleichende Entwicklung, die Covid befeuert habe: Die Exekutiven hätten Bürgerinnen in hohem Masse bevormundet. Sie selber habe darauf achten müssen, «dass es genug Plexigläser in den Restaurants hat». Die Kehrseite dieser Bevormundung: Die Anspruchshaltung gegenüber dem Staat sei gefördert worden, das zeigten die Forderungen nach Staatshilfe beim Thema Energie. «Ich glaube daher, der liberale Aufbruch, das liberale Bekenntnis, das Unternehmertum zu leben, ist nicht mehr selbstverständlich.»

Natalie Rickli erwähnte die vielen Anspruchsgruppen in der Bevölkerung und in der Politik. Eine Erkenntnis, die sie nach Amtsantritt gemacht habe: Alleine lässt sich nicht alles ändern. Anspruchsvolle Prozesse wie die Digitalisierung über sieben Direktionen hinweg seien schwierig umzusetzen. «Nebst Kollegen gibt es Mitarbeitende und ein Kantonsparlament, das mitredet.» So sei jedes Regierungsmitglied verantwortlich für seine Direktion – jeweils ein Riesenapparat. Sie habe zudem während Corona ihre Verwaltung mit rund 450 Mitarbeitenden reorganisiert – «ein riesiger Hosenlupf».

Das liberale Bekenntnis, Unternehmertum zu leben, ist nicht mehr selbstverständlich.

Carmen Walker Späh, Volkswirtschaftsdirektorin (FDP)

«Ist es aus liberaler Sicht aber Aufgabe des Staates, auch Innovation zu fördern?», fragte Moderator Brennwald mit Blick auf den Innovationspark Dübendorf. Carmen Walker Späh präzisierte: «Wir schaffen da nur Rahmenbedingungen, damit Innovation entsteht.» Es handle sich beim Innovationspark um ein Flugfeld ohne Infrastruktur, Bedingung für den Einzug sei eine Forschungskooperation. Da müsse der Staat die Planung vorantreiben und der Kanton die Baurechtsverpflichtungen regeln. Das Ganze involviere «nicht mehr Staat, als es muss».

Auf die Frage aus dem Publikum, was der Kanton für die Energieversorgung unternehme, meinte Stocker, dass der Kanton mit der Tochter EKZ eine ausgezeichnete Versorgung habe, deren Produktionsanlagen allerdings in der Axpo eingebettet seien. Die Axpo wiederum gehöre zu einem Drittel dem Kanton. Die Herausforderung sei, dass die Axpo nicht – von Bergkantonen notabene – im Heimfallrecht zugrunde gerichtet werde. Vorbilder sind für Stocker Städte wie Zürich, die auf eigene Energieproduktion setzen – dieses Modell werde sich längerfristig durchsetzen. Mittel- und langfristig müsse der Kanton energiemässig eigenständiger werden. Auch die Verfahren für den Ausbau der Energieproduktion müssten einfacher und schneller werden, «und es muss sich lohnen», sekundierte ihn Walker Späh. Kurzfristig könne man bei der Versorgungssicherheit nichts machen ausser «weniger heizen, Licht löschen, näher beim Schatz liegen».

FDP-Nationalrätin und Ständeratskandidatin Regine Sauter bedankte sich im Namen des Forum Zürich, das sie als «Round Table aller Wirtschaftsverbände im Kanton» bezeichnete, bei der Zurich Versicherung und bei CEO Juan Beer. «Es ist wichtig, dass es diesen Round Table gibt. Gemeinsam einigen wir uns auch darauf, wen wir bei kantonalen Wahlen unterstützen wollen.» Das müssten insbesondere Köpfe sein, die ein Sensorium hätten für den Wirtschaftsstandort Zürich.

Nebst den Kolleginnen und Kollegen gibt es viele Mitarbeitende und ein Kantonsparlament, das auch mitredet.

Natalie Rickli, Gesundheitsdirektorin (SVP)Autor/Testimonial

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