Keine Macht den Fehlern
Wer sich in seiner Firma bei der Arbeit einen Fehler leisten kann, ist in einer privilegierten Position. Denn: In Schweizer KMU ist eine intakte Fehlerkultur eher die Ausnahme. Ein Experte berichtet von haarsträubenden Fällen und zeigt auf, weshalb diese drastische Konsequenzen fürs Unternehmen selbst haben können.
2. September 2023 Nicolas Brütsch
Eine intakte Fehlerkultur ist in Schweizer KMU nur bedingt vorhanden.
Sie sind menschlich, kommen überall da vor, wo gearbeitet wird – und können je nach Schweregrad für die Verursacherin oder den Verursacher ganz schön unangenehm sein: Fehler. Im Privaten mögen sie verzeihbar sein, oder eben auch nicht. Im beruflichen Umfeld hingegen bleibt oft keine Wahl, als Fehler in Kauf zu nehmen. Hier stellt sich deshalb die Frage, wie damit umzugehen ist. An dieser Stelle kommt die Fehlerkultur ins Spiel, die laut Pascal von Gunten, Partner für Unternehmensentwicklung, in den Schweizer KMU nur bedingt vorhanden ist: «Viele haben das Gefühl, sie machen es richtig. In Tat und Wahrheit sieht es aber oftmals anders aus», berichtet er aus der Praxis.
Fehlende Fehlerkultur
Um den Ursachen einer fehlenden Fehlerkultur und dessen Konsequenzen auf den Grund zu gehen, bedarf es einer Schärfung des Begriffs. «Fehlerkultur» kommt aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und beschreibt, grob ausgedrückt, das Verhalten bei Eintritt von Fehlern. Oder anders ausgedrückt: Ist die Fehlerkultur intakt, können Mitarbeitende Fehler begehen, ohne persönliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Pascal von Gunten formuliert es sogar noch positiver: «Mitarbeitende haben die Möglichkeit, Fehler zu machen. Nur so probieren sie auch mal etwas Neues und verlassen ihre Komfortzone.» Es sei deshalb grundlegend falsch, nach einem begangenen Fehler nach Schuldigen zu suchen. Im Gegenteil, Symptome seien zweitrangig, es müsse der Grund des Fehlers ausgemacht werden. «Nur so übernehmen Angestellte Verantwortung.»
Unnötiger Perfektionismus
Dass der Umgang mit Fehlern nicht etwa unter die «Soft Skills» eines guten Führungsstils fällt, sondern bei schlechter Handhabung weitreichende Konsequenzen haben kann, zeigt Pascal von Gunten eindrücklich auf. «Wer sich bei der Arbeit keine Fehler erlauben darf, hat mehr Stress.» So sei die Krankheitsrate und Personalfluktuation in Firmen, in denen eine schlechte Fehlerkultur herrsche, massiv höher. Ausserdem entstehe ein unnötiger Perfektionismus. Das brauche Ressourcen und Kapazität – bei vielen KMU ohnehin schon Mangelware. Nicht zuletzt führe eine schlechte Fehlerkultur zu einer kleineren Risikofreudigkeit und zu fehlender Innovation.
Verbaler Hammer von oben
Pascal von Gunten kennt aus seiner Tätigkeit als Partner für Unternehmensentwicklung etliche Praxisbeispiele, die aufzeigen, dass eine gesunde Fehlerkultur entscheidend für den Erfolg eines KMU sein kann. «Ich sass mit einer Geschäftsleitung zusammen, die sich darüber ausliess, dass ihre Mitarbeitenden dumm seien. Ihre Angestellten würden nicht mitdenken und hätten ihr Gehirn bei der Arbeit ausgeschaltet», so der O-Ton. In Gesprächen mit den als dümmlich bezeichneten Mitarbeitenden selbst sollte sich herausstellen, dass diese beim kleinsten Fehler den Hammer von oben fürchten müssen, verbal und unter Androhung von Konsequenzen. «Wer hier arbeitet, wird sich hüten, jemals irgendetwas auszuprobieren. Nichts ist logischer, dass hier Dienst nach Vorschrift geleistet und scheinbar nicht mitgedacht wird.»
Menschliches Versagen
Fehler, besser gesagt der schlechte Umgang damit, können also weitreichende Folgen für Firmen haben. Pascal von Gunten möchte aber betonen, dass es meist nicht «gesamte Unternehmen sind, die eine schlechte Fehlerkultur hegen.» Vielmehr seien das einzelne Abteilungen und deren Führungspersonen, also – ironischerweise wie bei den Fehlern selbst – menschliches Versagen. Und hier liege auch das Problem: «Wenn die Geschäftsleitung die Führungskräfte selbst einstellt, dauert es in der Regel relativ lange, bis sie sich eingestehen kann, dass diese Defizite in der Führung von Mitarbeitenden haben.» So berichtet er beispielsweise von einem Geschäftsführer, der seine Mitarbeitenden, nachdem etwas schief gegangen ist, im Grossraumbüro vor versammelter Mannschaft regelmässig blossstellt. «Das ist natürlich verheerend und schwappt auf alle anderen Angestellten über.»
Und wie handhabt man die Fehlerkultur in kleinen Firmen, in denen sich jeder bestens kennt und auch die Fehlerquelle in der Regel relativ leicht zu eruieren ist? «In solchen Fällen ist es noch wichtiger, sich aktiv mit dem Umgang mit Fehlern zu beschäftigen», so von Gunten. Denn Fehler kosten zwar Aufwand, Nerven und in den meisten Fällen auch Geld. Der mangelnde Umgang damit aber Innovationskraft, Leerläufe bei der Aufgabenbewältigung – und nicht zuletzt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Nicolas Brütsch
Redaktioneller Mitarbeiter Zürcher Wirtschaft
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