Resilienz von Mitarbeitenden stärken
Im Zuge von Corona sprachen bei der Krisenbewältigung viele von Resilienz. Diese Widerstandsfähigkeit und die Fähigkeit, auf Krisen zu reagieren, ist auch innerbetrieblich von Mitarbeitenden immer mehr gefragt. Einer, der sich der Resilienz im Betrieb und neu auch von Lernenden widmet, ist Markus Renevey.
25. Oktober 2024 Mark Gasser
Schwächende Gedanken minimieren: Markus Renevey im Gespräch.
Markus Renevey im Shared Work Space gegenüber einer Mitarbeiterin.
Immer mehr Jugendlichen machen psychische Probleme zu schaffen. Eine Mehrheit der jungen Menschen in der Lehre leidet an Stress und Erschöpfung oder an als überlang empfundenen Arbeitszeiten. Und seit Markteinführung des ersten Smartphones haben sich die Zahlen radikal verschlechtert: 37 Prozent der 17- bis 19-Jährigen in der Schweiz geben heute an, unter psychischen Problemen zu leiden.
Diese gesellschaftlichen Trends kennt Markus Renevey alle. Er ist Geschäftsführer von The Talk Company sowie Coach und Trainer für Rhetorik und Leistungsentwicklung. Und seit einigen Jahren trainiert er Firmen und Mitarbeitende auch in Sachen Resilienz mit seinem während Corona gegründeten Swiss Resilience Hub, der in einem Shared Workspace an der Rieterstrasse im Kreis 4 domiziliert ist. Daher spricht Renevey im Zusammenhang mit Problemen in der Arbeitswelt gerne von sieben «Resilienzkompetenzen», die es zu stärken gilt: Selbstführung, Verbundenheit, Gesundheitskompetenz, Sinn- und Lösungsorientierung, Akzeptanz und Adaption, Eigenverantwortung und realistischer Optimismus. Bei allen Dimensionen gilt: Der Fokus liegt immer auf der Stärkung.
Zu Beginn des Gesprächs klärt Markus Renevey, was er beziehungsweise das «Kompetenzzen-trum für Resilienz» unter dem Begriff versteht. Die Kurzvariante: psychische Widerstandsfähigkeit. «Diese unterstützt die Betroffenen dabei, nach Krisen und Rückschlägen wieder aufzustehen. Resilienz heisst also nicht, dass man nie überfordert ist oder alles im Griff hat und immer stark ist. Resilienz zeichnet eine minimale Dauer auf nach einer Krise oder einem Rückschlag, bis man wieder positive Kraft entwickelt oder lösungsorientiert sein kann.»
«Resilienz zeichnet eine minimale Dauer auf nach einer Krise oder einem Rückschlag, bis man wieder positive Kraft entwickelt.»
Markus Renevey, Coach für Resilienz, Swiss Resilience Hub
Profan gesagt: Renevey macht Stehaufmännchen und -weibchen aus seinen Kunden. Er gründete sein Unternehmen in einer scheinbar ungünstigen Zeit: n ämlich im März 2020, also kurz nach dem Lockdown. Nach einer Reise auf den Kilimanjaro «lief ich voll in die Covid-Krise». Schon zuvor hatte er den Gedanken gewälzt, ein Kompetenzzentrum für Resilienz zu gründen. Und so ungünstig war der Moment gar nicht: Plötzlich sprachen alle von Resilienz, wenn auch meist im Kontext von nicht nachhaltiger Finanzplanung, aber auch mental war in dieser Zeit Resilienz gefragt.
Die Welt hat sich stark verändert: Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUKA) nehmen stetig zu. Aus dieser Erkenntnis sowie basierend auf der Forschung der letzten Jahrzehnte, der Praxiserfahrung von rund 30 Coaches des Swiss Resilience Hub und in Zusammenarbeit mit der Kalaidos Fachhochschule entwickelte Renevey mit seinem Team neue Resilienzkompetenzen.
Resilienz anwenden
Resilienztraining als Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements – da drängt sich die Frage auf: Muss man also Kurse besuchen oder einen Coach wie Renevey haben, um erfolgreich intern Resilienz zu trainieren? «Es macht schon Sinn, mit einer Resilienzexpertin oder einer psychologisch geschulten Fachperson zusammenzuarbeiten, die auch Erfahrung im Leiten von Workshops hat.» Resilient wird man aber nicht durch einen einzelnenWorkshop, sondern durch stetes Üben. Das heisst, sich selbst aktiv führen, Achtsamkeit trainieren, tragfähige Beziehungen pflegen und seine Komfortzone auch mal bewusst verlassen.
Genauso wichtig sind Erholung, Bewegung (gerade in Bürojobs), gesundes Essen und «stark zu denken». Das heisst: «Gedanken, die einen schwächen, gilt es zu minimieren und dafür stärkende Gedanken zu fördern.» Und wo Stress entsteht, gilt es diesen wieder abzubauen: Das kann u.a. sehr wirksam beim Yoga, Tai Chi, Pilates und bei Ausdauersportarten erfolgen wie etwa Nordic Walking, Joggen, Velofahren, Schwimmen etc.
Lassen sich aber Extremsituationen an Seminaren oder durch Training simulieren, um ein Burnout zu verhindern? «Nein», sagt der Renevey, «aber wenn wir unsere Lebensbalance stetig austarieren, uns selbst achtsam führen, uns regelmässig bewegen, gesund ernähren, wichtige Beziehungen pflegen und Stress abbauen, so sinkt das Risiko eines Burnouts erheblich. Und wir stärken dadurch die Resilienz.» Sich möglichst schnell nach Krisen oder Rückschlägen zu befreien statt in der Opferfalle stecken zu bleiben, ist der Massstab für Resilienz.
Auch die Verwaltung übt sich in Resilienz
Renevey hat mit dem Swiss Resilience Hub den Zeitgeist getroffen. Heute gehören viele Grossunternehmen zu dessen Stammkundschaft: Industrieunternehmen, Banken wie die ZKB, aber auch kleine KMU wie eine Kosmetikfirma sowie Firmen im Schulungs-bereich. Weiter zählt er allein 30 Trainings im Kanton Zürich für Mitarbeitende der kantonalen Verwaltung. «Die Anforderungen sind gestiegen. Auch beim Kanton, auch wenn es nicht ganz so extrem ist wie bei extremen KMU.» Anwaltsbüros oder Beratungsunternehmen gehörten zu denen Firmen, wo der Druck am höchsten ist.
Branchen, die auffällig viele Burn-outs aufweisen, sind aber jene im sozialen Bereich: Spitäler, NGOs, Pflege. «Überall, wo Menschen arbeiten, die helfen, unterstützen, oder lehren. Vielleicht auch deshalb, weil sie andere heilen oder weiterbringen wollen und ihre Erwartungen an sich und andere zu hoch schrauben. Auch Schulen gehören zu den am meisten von Burn-outs heimgesuchten Institutionen. «Gerade bei sehr engagierten Schulleitern kommen häufig Überforderungssituationen vor.» Beim Verband der Schulleiter stosse er noch auf taube Ohren, ähnlich sehe es bei vielen Spitälern aus.
Die Kunden sind eher grössere Firmen mit 20 bis 500 Mitarbeitenden. Gerne möchte Renevey vermehrt mit KMU arbeiten. Doch Resilienz sei nicht die Folge einer Einmalintervention, die es zum Schnupperpreis gebe, sondern entstehe durch permanentes Training. «Der Denkmuskel muss trainiert werden, um zuverlässig stärker zu denken. Das ist besonders für Führungskräfte sehr wichtig, damit die Organisation mit ihrer Kultur gestärkt wird.» Ein Tageskurs mit bis zu 16 Personen kostet 2500 bis 3000 Franken, Coachings in Einzelsitzungen kosten zwischen 250 und 300 Franken.
Auch online kann man sich mit dem Swiss Resilience Hub auf eine «individuelle Lernreise» begeben. Aber kann man Resilienz wirklich online trainieren? Die Online-Plattform sei als Ergänzung zu drei, vier Workshops pro Jahr gedacht, präzisiert Renevey. Sie umfasst Podcasts, Online-Seminare, eine Resilienz-Selbstevaluation, um sich zu verorten, sowie ein Selbstcoaching-Tool – inspiriert vom Spitzensport.
Achtsamkeit
Das Denken stärken: Das klingt nach Ratgeberliteratur für gestresste Businessleute. Das ist kein Zufall, weiss auch Markus Renevey, der die Achtsamkeitslehre, die Kunst, im Moment zu sein, ganz bei der Sache, im Hier und Jetzt, ohne zu urteilen und ohne zu vergleichen, hochhält – das urteilslose Wahrnehmen. Achtsamkeit beinhaltet auch, den Fokus zu behalten und sich auf etwas konzentrieren zu können – was heute im digitalen Zeitalter vor allem der Generation Z schwerfällt.
«Die Lernenden, die Jugendlichen allgemein, sind der Spiegel der Erwachsenen», sagt Renevey. Viele seien vulnerabel, verunsichert, würden verführt durch unmittelbare (digitale) Befriedigungsangebote. «Gerade Mädchen sind sehr dazu verführbar, sich über die sozialen Medien zu vergleichen und sich abzuwerten.» Belastend wirkten Inhalte, die nicht altersgerecht seien: Mobbing, Gewalt, Pornografie. Hinzu kommt die Ablenkung. Oft lebten die Erwachsenen dieses Verhalten vor und vernachlässigten ihre Kinder oder neigten zur Überbehütung – beides resilienzhemmende Faktoren.
Konzept für Jugendliche
Es häufen sich die Fälle, bei denen unter der permanenten digitalen Ablenkung die Konzentrationsfähigkeit oder die Frustrationstoleranz leidet – was für die Arbeit dysfunktional ist. «Und das merken die Arbeitgeber.» Rene-veys Kompetenzzentrum hat gemeinsam mit einer Grossbank ein Konzept für ein Resilienzprogramm für Lernende entwickelt. Wichtig sei dabei, das Programm auf die Kultur der Firma auszurichten, mit allen Beteiligten (Berufsschule, Ausbildner, Betreuende, Lernende, Eltern) zu überlegen: Wie können Jugendliche in ihrer Resilienz unterstützt werden? Doch vorerst ist es noch ein Konzept.
Die Digitalisierung kann auch bei älteren Mitarbeitenden zum Problem werden: Sie erleben Überforderung z. B. durch die Angst, die Stelle zu verlieren, durch die Einführung von neuen IT-Systemen, bei der Umstellung auf digitale Prozesse. Ob sich Betroffene durch interne (Arbeitskollegen) oder externe Bezugspersonen wie Bekannte oder Coaches wie Renevey Hilfe holen, eo gilt immer: «Es braucht zuerst Vertrauen, damit man Individuen unterstützen kann, ihre Resilienz zu stärken.»
Wie sollen also KMU das Thema angehen, wenn sie nicht in die Burn-out-Falle tappen wollen? «Wenn sie sich in der Lage fühlen, sollten sie mit Betroffenen oder Gefährdeten das Gespräch suchen.» Und wenn das nicht hilft, gibt es das Employer Assistance Program (EAP), eine Mitarbeiterberatung zu Fragen und Problemen rund um Beruf, Gesundheit und Privatleben zur betrieblichen Gesundheitsförderung, oder eine Firma wie der Swiss Resilience Hub unterstützt in der Prävention und bietet Hilfe zur Selbsthilfe. Resilienzfördernde Aktivitäten, etwa durch Interessengruppen, die gemeinsam Sport treiben, sind auch auf privater Basis im Trend.
In absehbarer Zeit scheint Renevey und seinem Team die Arbeit jedenfalls nicht auszugehen – im Gegenteil. «Wenn emotionale und soziale Kompetenz sowie Empathie und Stresskompetenz nicht stark vorhanden sind, dann deutet viel darauf hin, dass auch wenig Resilienz vorhanden ist. Und das führt zu immer mehr Überforderungssituationen und psychischen und physischen Krankheiten.» Diese Fähigkeiten sind stark frühkindlich geprägt, Stresskompetenz sogar pränatal. An der Resilienz arbeiten kann man aber ein Leben lang – ob als KMU, Führungskraft oder Lernende: «Alle haben dasselbe Interesse, dass wir alle gesund und leistungsfähig sind und ein erfülltes Leben führen können.»
Mark Gasser
Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft
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