Berufslehre: Kanton Zürich muss Farbe bekennen
Landauf, landab wird das Hohelied auf die duale Berufslehre gesungen. Schaut man hingegen bei politischen Vorstössen und einzelnen Projekten genauer hin, relativiert sich vieles. Der Kanton Zürich muss Farbe bekennen!
28. Juni 2025 Dieter Kläy
Statt weniger mehr Stress: Ein prüfungsfreier Übertritt in die Kantonsschule schadet dem dualen Bildungssystem – und der Berufskarriere vieler Schüler.
Noch nicht lange ist es her, dass vergangenen März die zentrale Aufnahmeprüfung ins Gymnasium im Fokus des medialen Interesses stand. Es wurde über Chancengerechtigkeit und Objektivität der Prüfung fabuliert und darüber, wie die Maturitätsquote weiter gesteigert werden könnte. Dass akademische, aber auch nichtakademische Ausbildung in erster Linie Arbeitsmarktfähigkeit generieren muss, war in den Printmedien kaum eine Notiz wert.
Gegen 70% der Jugendlichen wählen den Weg in die duale Berufsbildung. Weil die Babyboomer in Pension gehen, verlassen derzeit und in den kommenden Jahren mehr Personen den Arbeitsmarkt, als neue dazukommen. Dadurch wird sich der Fachkräftemangel verschärfen. In einigen handwerklichen Berufen ist die personelle Lage prekär. Vor diesem Hintergrund muss die Maturitätsquote im Kanton Zürich sicher nicht erhöht werden, sollte man meinen.
Prüfungsfreier Eintritt als Irrweg
Doch weit gefehlt. Der Regierungsrat will ein Postulat von AL, Grünen und SP für einen prüfungsfreien Übertritt ins Gymnasium annehmen. Gefordert wird ein Bericht zur Frage, welche Auswirkungen die Einführung eines prüfungsfreien Übertritts ans Gymnasium hätte. Untersucht werden soll, welche Auswirkungen ein prüfungsfreier Übertritt aus der zweiten oder dritten Sekundarschulklasse bei Beibehalten des jetzigen Aufnahmeverfahrens nach der 6. Primarschulklasse hätte und was die Folgen eines prüfungsfreien Übertritts nach der 6. Primarschulklasse, der zweiten oder dritten Sekundarschulklasse wären. Angeknüpft werden soll an die Erfahrungen mit der prüfungsfreien Aufnahme in die BM2 seit Corona.
Begründet wird die Forderung mit den Unterschieden in der Höhe der Übertritte ins Gymnasium zwischen den Zürcher Gemeinden. Sie seien substantiell, schreiben die Postulantinnen, was sich beispielsweise in der Höhe der Übertritte nach der Primarschule zeige. 2023 betrugen diese in Schlieren 5,7%, in Küsnacht 30,7%, in Uitikon sogar 52%. Insbesondere primäre Herkunftseffekte wie mehr Unterstützung der Eltern, eine förderliche Lernumgebung zu Hause, kulturelle Unternehmungen und finanzielle Ressourcen, aber auch sekundäre Herkunftseffekte wie Unterschiede in den Leistungsbeurteilungen durch Lehrpersonen werden als Ursachen vermutet. Argumentiert wird für einen prüfungsfreien Übertritt auch mit dem Stress, den Aufnahmeprüfungen nun mal verursachen.
Nur vermeintlich stressfrei
Stress lässt sich aber durch einen prüfungsfreien Übertritt ins Gymnasium keinesfalls vermeiden. Im Gegenteil. Der Stress bleibt und wird die Schülerinnen und Schüler die ganze Probezeit hindurch belasten. Für eine gymnasiale Ausbildung weniger geeignete Jugendliche werden am Ende einer sehr belastenden Zeit womöglich die Schule verlassen müssen und Frustrationen erleiden.
Unter Druck der Eltern kommen vor allem die Lehrkräfte der Mittelstufe, die aufgrund der von ihnen erteilten Noten entscheiden, ob der Schüler oder die Schülerin ans Gymnasium übertreten kann, oder nicht. Die Einflussnahme der Eltern und der damit verbundene Stress wird für den Lehrkörper gross sein. Ein prüfungsfreier Übertritt, der sich an einem Notenniveau orientiert, kann kaum im Interesse der Lehrerschaft sein. Mit einem prüfungsfreien Übertritt ins Langzeitgymnasium wird zudem die Sekundarstufe abgewertet. Grundsätzlich haben wir eine hohe so-ziale Mobilität im Kanton Zürich und in der Schweiz. Alle haben eine Chance. Die Resultate müssen aber erarbeitet werden. Eine duale Berufslehre ist eine solide Alternative mit vielen Perspektiven. Die Bildungsdirektion sollte sich an diesen Argumenten orientieren. Im Kantonsrat ist die Diskussion zum Postulat verlangt worden. Ob es je zu einem prüfungsfreien Übertritt ins Gymnasium kommen wird, entscheidet sich allenfalls in ein paar Jahren.
Beton nur für das Gymnasium
Bildung statt Beton, lautet eine weit verbreitete Forderung, die finanziellen Mittel zielgerichtet und effizient auf die Schülerinnen und Schüler zu fokussieren. Das rasante Bevölkerungswachstum des Kantons Zürich bedingt allerdings den Neubau von Gymnasien und Berufsfachschulen. Für den Neubau einer Kantonsschule in Uetikon am See auf dem ehemaligen Chemieareal beantragt der Regierungsrat dem Kantonsrat 233 Millionen Franken. Begründet wird die neue Kantonsschule mit dem Bevölkerungswachstum. Ein ursprünglich geplantes Berufsfachschulhaus mit Aula und Mediathek für die Lernenden im Umfang von 80 Millionen, das neben der Kantonsschule hätte realisiert werden sollen, schiebt der Regierungsrat auf die lange Bank. Dabei wäre angesichts des Zustandes der Berufsfachschule im benachbarten Stäfa der Bedarf für einen Neubau in Uetikon ebenfalls gegeben.
Gemessen wird aber mit zweierlei Ellen. Dass der damalige Projektierungskredit in der Grössenordnung von 24 Millionen am Standort Uetikon sowohl für das Gymnasium als auch für die Berufsfachschule gesprochen wurde, spielt heute keine Rolle mehr. Im Gegenteil: Der Bedarf nach einer Berufsfachschule solle nochmals überprüft werden, lässt der Regierungsrat in seiner Weisung an den Kantonsrat verlauten. Am 11. März 2024 hat der Kantonsrat einstimmig die Teilrevision 2020 der Kapitel 1 «Raumordnungskonzept», Kapitel 2 «Siedlung» und Kapitel 6 «Öffentliche Bauten und Anlagen» des kantonalen Richtplans und damit das «Bildungszentrum Zürichsee Filiale Uetikon» als kurzfristig im Richtplan festgesetzt. Man darf gespannt sein, wie sich der Regierungsrat aus der Affäre ziehen wird.
Dieter Kläy
Kantonsrat FDP, Ressortleiter Arbeitsmarkt beim sgv und Ausschussmitglied des KGV.
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