Machen mehr Ferien für Lernende Sinn?
Acht Wochen Ferien für Lernende – für viele KMU wäre das kaum zu stemmen. Schon heute können Betriebe freiwillig mehr Ferien bieten, eine nationale Vorgabe ginge jedoch zu weit. Dabei könnte mehr Freizeit die Lehre durchaus attraktiver machen.
20. August 2025
Dürfen sich diese Lernenden bald über mehr Ferien freuen?
«Acht Wochen Ferien? Ja dann hätte ich mir schon überlegt, eine Lehre zu machen.» Diese Aussage stammt von einem angehenden Gymnasiasten, der nach den Sommerferien ins Gymi startet. Tatsächlich sei für ihn auch die Option einer Lehre im Raum gestanden, «Schreiner hätte mich interessiert», sagt er. Doch fünf Wochen Ferien, das konnte er sich absolut nicht vorstellen. Nach den bestandenen Prüfungen für das Gymnasium war die Entscheidung dann eh klar. Zum Vergleich: Am Gymi wird er künftig ganze 13 Wochen Ferien haben. Die Frage, ob mehr Ferien die Berufslehre in der Schweiz wieder attraktiver machen könnten und die Entscheidung mancher Schüler beeinflussen, steht im Mittelpunkt einer aktuellen Petition.
«Es wäre
Niklaus Schatzmann
vermessen, wenn
wir als Kanton hier
voreilige Vorschläge
machen würden.»
Amtschef MBA
Diese fordert acht Wochen Ferien für Lernende und hat bislang rund 170’500 Unterschriften gesammelt. Ende Juni richteten Lernende aus der ganzen Schweiz einen offenen Brief an den Bundesrat und verbreiteten ihn medienwirksam. Initiator dieser Aktion ist der Schweizerische Gewerkschaftsbund. Ihr Argument: Immer mehr Jugendliche bevorzugen den Weg ans Gymnasium oder an eine Fachmittelschule, auch weil diese allgemeinbildenden Schulwege bessere Ausbildungsbedingungen, Arbeitsmöglichkeiten und vor allem mehr Erholungszeit bieten. «Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Unterschied an Ferien zwischen Jugendlichen in der Lehre und in einer allgemeinbildenden Schule aus der Perspektive der Jugendlichen aktuell sehr gross ist, vor allem am Anfang der Ausbildung», sagt Niklaus Schatzmann, Amtschef des Mittelschul-und Berufsbildungsamtes. Eine Lösung könne er zwar nicht anbieten, jedoch gebe es einen Konsens in der Verbundpartnerschaft– also zwischen Bund, Wirtschaftsverbänden, Sozialpartnern und den Kantonen, dass man sich mit diesem Thema befassen müsse.
Wer soll entscheiden?
Schatzmann betont jedoch, dass die Verantwortung für solche Diskussionen zunächst bei den Ausbildungsbetrieben und den Wirtschafts-verbänden liege. «Es wäre vermessen, wenn wir als Kanton hier voreilige Vorschläge machen würden», sagt er. Das Spitzentreffen der Berufsbildung hat bereits im November 2024 beschlossen, der Frage «Attraktivität der Berufsbildung» eine erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Bundesrat Guy Parmelin hat dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation in der Folge den Auftrag erteilt, eine Auslegeordnung im Hinblick auf das nächste Spitzentreffen im November 2025 zu erstellen. Diese befindet sich im Moment in Erarbeitung. «Wir gehen davon aus, dass es auch Vorschläge dazu geben wird, wie man mit der Ferienfrage weiter vorgehen will», zeigt sich Niklaus Schatzmann überzeugt.
Betriebe: Gemischte Gefühle
Die Forderungen der Lernenden stossen bei den Betrieben auf gemischte Reaktionen. Die Gegner, insbesondere die Arbeitgeberverbände, warnen vor den hohen Kosten und sehen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gefährdet. Eine nicht repräsentative Umfrage zeigt jedoch, dass viele kleine und mittlere Unternehmen auch Verständnis für den Wunsch ihrer Lernenden nach mehr Ferien haben. «Mir ging es damals ähnlich, als ich in der Lehre war», sagt der Coiffeur Mauro Pera, der in seinen Zürcher Salons mehrere Lernende ausbildet. Er merkt, dass die Belastung für junge Erwachsene in der Lehre hoch ist, besonders in einer intensiven Entwicklungsphase, in der sie sich an das Arbeiten gewöhnen müssen. «Gundsätzlich finde ich es wichtig, dass Lernende genügend Zeit zur Erholung haben – schliesslich leisten sie in ihrer Ausbildung viel und stehen
oft unter Druck», sagt er. Aus dieser Sicht würde ein Mehr an Ferien sicherlich Sinn machen.
«Auf gar keinen Fall braucht es eine gesamtschweizerische Vorgabe von acht Wochen! Jedes Unternehmen kann bei seiner Suche nach Talenten auch freiwillig schon heute mehr Ferien
Thomas Hess, Geschäftsleiter des KMU- und Gewerbeverbandes Kanton Zürich (KGV)
anbieten.»
Das grosse Aber: «Acht Wochen Ferien erscheinen mir allerdings recht viel, vor allem im Hinblick auf die betriebliche Organisation und die Ausbildungsziele, die in einem begrenzten Zeitraum erreicht werden müssen», sagt Pera. Auch Thomas Hess, Geschäftsleiter des KMU- und Gewerbeverbandes Kanton Zürich (KGV) befürchtet, dass die vielen Abwesenheiten durch Berufsschule, Berufsmaturität und zusätzliche Ferien die Ausbildung von Lernenden für viele Unternehmen unattraktiv machen könnten. Trotzdem versteht er die Forderung nach mehr Ferien: «Für einen Schüler kann es das Zünglein an der Waage sein, ob er eine Lehre macht oder in eine weiterführende Schule geht.» Er selbst plädiert für die Flexibilität der Unternehmen: «Auf gar keinen Fall braucht es eine gesamtschweizerische Vorgabe von acht Wochen! Jedes Unternehmen kann bei seiner Suche nach Talenten auch freiwillig schon heute mehr Ferien anbieten.» Auch individuelle Branchenlösungen kann sich Hess durchaus vorstellen.
Branchenlösungen und Zukunft
Tatsächlich gibt es Betriebe, die freiwillig über die gesamte Ausbildungsdauer hinweg mehr Ferien gewähren. Schatzmann verweist auf Unternehmen, die mit degressiven Ferienmodellen arbeiten. Das bedeutet, dass zu Beginn der Ausbildung mehr Ferien gewährt werden, die sich im Verlauf der Lehre reduzieren. Doch ob solche Modelle flächendeckend umsetzbar, praktikabel und finanziell tragbar sind, bleibt zu diskutieren. Mauro Pera könnte sich vorstellen, in einzelnen Fällen flexibel auf zusätzliche Ferienwünsche einzugehen – etwa bei besonders intensiven Phasen
oder in Absprache mit dem Team. «Eine generelle Ausweitung auf acht Wochen würde aber sicher einige Herausforderungen mit sich bringen, vor allem in kleinen Betrieben wie unserem», sagt er.
Was macht die Lehre attraktiv?
Sind es tatsächlich zusätzliche Ferien, die die Lehre für die junge Generation attraktiver machen? Mia, eine Fachangestellte Gesundheit an einem Zürcher Spital, hat bei der Wahl ihres Ausbildungsbetriebs nicht auf die Anzahl der Ferientage geachtet. «Viel wichtiger waren für mich Faktoren wie die Arbeitsumgebung, der Standort und das Arbeitsklima», sagt sie. Auf die Frage, ob sie mehr Ferien begrüssen würde, lacht sie: «Natürlich, aber primär geht es mir jetzt ums Lernen. Ich möchte möglichst viel aus meiner Ausbildung mitnehmen, und dafür sind zusätzliche Ferientage
eher kontraproduktiv.»
Der Schlüssel zu einer attraktiven Lehre liege, so Mia, vielmehr in der Qualität der Ausbildung – sowohl im Betrieb als auch in der Schule. Eine kürzlich veröffentlichte Studie von WorkMed, basierend auf den Antworten von über 44’000 Jugendlichen in der Schweiz, unterstreicht diesen Punkt: 80 Prozent der Befragten sind mit ihrer Ausbildung zufrieden oder sehr zufrieden. Besonders schätzen sie es, ernst genommen zu werden und das Gefühl zu haben, in ihrer Entwicklung unterstützt zu werden. Demnach ist der wohl wichtigste Ansatzpunkt für eine attraktive Lehre eine hohe Ausbildungsqualität im Betrieb kombiniert mit guten Arbeitsbedingungen.
Anna Birkenmeier
Redaktion Zürcher Wirtschaft
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