Im Hafen der Containerträume
Obwohl sie kaum auffallen, geschweige denn Preise fürs Design gewinnen: Container prägen unser Leben mehr, als wir ahnen. Auf der Suche nach dem Erfolgsrezept des unscheinbaren Objekts, das wir alle, ob auf dem Bau oder im Büro, von innen kennen.
19. Februar 2025 Mark Gasser
Ein Muster-Schulzimmer, bestehend aus zwei Containern. In der Regel werden dafür aber vier bis fünf Stück verwendet.
Vicente Raurich im Hochlager in Winterthur voller Armaturen und Anbauteile für die Container.
«Es gibt keine Grenzen in der Ausgestaltung»: Vicente Raurich in einem Musterbau bestehend aus sechs Containern – hier könnte etwa ein Event stattfinden.
Wie ein kleiner Meereshafen: Containerlandschaft in Winterthur.
«Wo gehst du zur Schule?» «Im Container.» Diese Antwort eines Schulkindes im Kanton Zürich ist gar nicht so abwegig. Denn die Container prägen nicht nur das Bild an Häfen, wenn sie an Kranen hängen, oder beherbergen Bauarbeiter, die vor der Kälte Zuflucht suchen. Das Transportwesen oder der Bau sind bei weitem nicht die einzigen Einsatzbereiche der Metallboxen.
Auf dem Areal von Condecta, dem Schweizer Branchenleader für Büro- und Wohncontainer in Winterthur-Hegi, ist nicht mehr der Stallgeruch der Baustelle präsent. Eher erinnern die gestapelten Containerreihen an einen kleinen Hafen-Terminal. Hier ist die Zukunft der Containernutzung erlebbar. So etwa in Form eines Muster-Klassenzimmers, bestehend aus zwei Containern mit durchbrochener Seitenwand. Standardmässig besteht ein Klassenzimmer gar aus vier bis fünf Containern.
In Schulen werden schon seit rund 15 Jahren vermehrt Container als Zwischenlösung bei Um- und Neubauten verwendet. «Und der Bedarf erweist sich häufig als grösser als ursprünglich gedacht», erklärt Vicente Raurich. Er ist Verkaufsleiter im Bereich Raumsysteme Industrie und Service Public. «Oft dauert der Bau länger, und wenn er dann fertig ist, ist er schon wieder zu klein.» Das ist gut für Condecta: Die Container bleiben in solchen Fällen häufig im Einsatz oder werden gar erweitert. Das Praktische an den Modulen: Sie lassen sich schnell ersetzen, erweitern und umbauen. In Kloten wird ein ganzes Schulhaus mit acht Klassenzimmern zum dritten Mal innert acht Jahren versetzt.
Im Grunde ist die Lebensdauer unbegrenzt. Ferner lassen sie sich mehrmals versetzen. Und wenn man sie gar nicht mehr braucht, lässt sich der Stahl wieder einschmelzen.
Vicente Raurich, Verkaufsleiter Projektgeschäft, Condecta AG
Die Stahlboxen für den Wohnbereich sind bereits isoliert und erfüllen den Minergie-Standard. Auch im Gesundheits- und Asylwesen kommen sie zur Anwendung: Kürzlich wurden 16 Wohnungen mit je 3,5 Zimmern für die Hälfte des veranschlagten Budgets an die Stadt Schlieren verkauft. Der Bau sieht aus wie ein Mehrfamilienhaus. «Und nach 10, 20 Jahren kann die Stadt den Container als Mittagstisch, Kindergarten, Kindertagesstätte, Büroraum, Probenraum, Schulraum umnutzen.» Modulgebäude seien daher für eine Stadt ideal, denn sie liessen sich beliebig versetzen. Nur in der Höhe sei man beschränkt.
Weitere Bereiche, in denen die notorischen Container beliebt sind: nebst der privaten Nutzung auch Events wie Skirennen oder die Biathlon-WM. Und am WEF waren viele Dutzend Stück als Büros, Druckerräume, für Sicherheits- und Blaulichtorganisationen im Einsatz.
Von Arztpraxis bis Tiny House
Der Rundgang auf dem 20 000 m² grossen Gewerbeareal in Winterthur-Hegi bestätigt: Der Container hat sich von der Baustelle und vom Transport- und Frachtwesen emanzipiert. In der Containerlandschaft sind rund 200 bewohnbare oder noch im «Rohbau» befindliche, meist weiss-blaue Boxen seitlich verbunden oder wie Bauklötze gestapelt. Die Mietcontainer stellen einen grossen Teil des Bestands dar, der von sechs Standorten schweizweit einsatzbereit gemacht wird. Raurich schätzt, dass 10 Prozent von insgesamt fast 10’000 Containern umgebaut werden und auf den nächsten Einsatz warten. Ein Grossteil davon wird modular als «Raumsysteme» vermietet. «Unsere Mietflotte wird viel häufiger umgebaut, so verjüngen wir sie alle 8 bis 15 Jahre.» Danach werden sie meist gebraucht verkauft. Nicht mitgezählt sind die verkauften Container.
Dass es ein Wachstumsmarkt ist, zeigt der Umstand, dass der Showroom in Winterthur bald erweitert werden soll: Nebst einer Praxis sollen Wohncontainer den Tiny-House-Trend mit 60 bis 90 m² auf zwei Stockwerken aufgreifen – mit Klapptreppe, Parkettböden, Bad und verputzten Wänden. «Um zu zeigen, dass es keine Grenzen gibt in der Ausgestaltung», sagt Sarah Bertoli, Teamleiterin Marketing.
Auch mit begrüntem, begehbarem Flachdach, Dachterrasse und PV-Anlage sind die Container zu haben. Im Hochlager in Winterthur werden auch Apparaturen und Anbauteile für die komplette Ausstattung der Boxen gelagert: Wer Mietcontainer bestellt, erhält hier alles aus einer Hand.
Geschichte der Container
Die Container für die Raumsysteme haben nur noch äusserlich Ähnlichkeit mit den Transportcontainern: Allesamt weisen sie die üblichen Normlängen und -breiten auf. Diese Standardisierung hatte ihren Ursprung Anfang der 1960er Jahre und war ein Treiber für den globalen Handel: Heute sind praktisch alle Container weltweit rund 2,40 Meter breit und entweder 20 oder 40 Fuss lang (ca. 6 und 12 Meter). Lastwagenpritschen und Frachtschiffe sind heute auf diese Masse ausgelegt. Die langen 40-Fuss-Container haben sich wegen der Regulierungen hierzulande auf der Strasse und im Wohnbereich aber nicht durchgesetzt.
«Das Grundmass mit den Säulen und Tragaugen, um sie mit dem Kran zu heben, ist bei allen gleich. Aber technisch haben die Container sehr unterschiedliche Ausführungen», so Raurich. Die Vereinheitlichung des Containertransports löste auch ein Wettrüsten unter den Reedereien aus – mit dem vorläufigen Höhepunkt 2023, als mit der MSC Irina das grösste Frachtschiff der Welt gebaut wurde. Es kann bei 400 Metern Länge rund 24 000 Stück laden, was in der Höhe etwa einem 22-stöckigen Gebäude entspricht.
Schneller Transport und Aufbau
Zurück nach Winterthur: Die Standardisierung hat auch ihre Vorteile beim Bau von Wohn- und Arbeitsräumen. «Der eine Vorteil: Sie können ein ganzes Haus so sehr einfach und schnell transportieren», sagt Raurich. Ein Schulhaus entsteht so innert drei oder vier Monaten, wobei der grösste Teil davon den Umbau der Container in Winterthur umfasst. So ist am Bauplatz nur für wenige Wochen eine Baustelle sichtbar, Handwerkerverkehr und Lärm sind minim.
Die Container sind ein Europäisches Produkt, doch um- und ausgebaut oder aufgefrischt werden sie in Winterthur. Seit 20 Jahren ist Condecta Marktführerin für die Container-Systeme, nachdem sie die Bauwagen abgelöst haben. Unter Architekten ist die Firma gefragt für Provisorien. «Wir möchten aber gern mehr Festbauten anbieten», so Raurich. Stromer, Bauplaner, Bauberatung bietet Condecta in House an, Böden, Decken, sogar Liftschächte werden eingebaut. Sanitärräumlichkeiten, Küchen – alles wird intern geplant, Möbel und Inneneinrichtungen werden mitvermietet: von Büro- und Konferenzstühlen über Regale, Bürozubehör und Kaffeemaschinen bis hin zu Betten und Matratzen.
Condecta hat zurzeit neue Module im Angebot: Sie bieten mehr Komfort, mehr Kombinationsmöglichkeiten, bessere Isolationswerte und akustische Optimierung. Auf dem Areal findet sich ein entsprechender Prototyp inklusive geschmeidiger Aluminiumfassade. «Und es kostet am Ende 40 Prozent weniger als ein herkömmliches gleich grosses Haus.»
Raurich weist darauf hin, dass der Lebenszyklus eines Containers jedes Holzhaus übertrifft – und weniger wartungsintensiv, zudem nachhaltiger als CO₂-intensive Betonbauten. 15 bis 20 Jahre werden die Container im Schnitt gemietet. «Danach werden sie upcycled oder wiederverwendet und haben so ein zweites Leben. Und im Grunde ist die Lebensdauer unbegrenzt. Ferner lassen sie sich mehrmals versetzen. Und wenn man sie gar nicht mehr braucht, lässt sich der Stahl wieder einschmelzen.»
Wird die Schweiz bald nur noch in Containern wohnen? «Wir denken schon, ja», lacht Raurich. «Nein, aber im Ernst: Unser Wachstum ist massiv», meint er. In den letzten Jahren ist der Umsatz in diesem Segment der Raumsysteme bei Condecta jährlich um 10 Prozent gewachsen. Das betrifft auch den Bürobereich: Vermehrt sieht man Container auch als Raum-in-Raum-Lösungen, etwa als Meeting Room.
Noch heute denken allerdings viele beim Anblick der Boxen an Baucontainer. «Wir sind in der Wahrnehmung noch nicht da, wo wir sein wollen», erklärt Raurich. Man kann aber bereits jetzt sagen: Wie im Frachtwesen ist der «Umschlag» der Boxen – mit einigen Jahrzehnten Verzögerung – bei den Raumlösungen optimiert worden. Und auch hier gilt: Wer die Transport- und Versorgungskette im Griff hat, erschliesst auch hier schnell neue Wachstumsmärkte.
Mark Gasser
Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft
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