Die Highlights der 18. Berufsmesse Zürich

Die Berufsmesse Zürich zog wieder Zehntausende Jugendliche, Eltern und Lehrpersonen an. Das zeigt: Der Hunger nach Tuchfühlung mit der Berufswelt ist ungebrochen gross.

Bild Mark Gasser

Selbermachen statt bloss konsumieren: Ein Credo vieler Aussteller an der Berufsmesse, um Stärken und Schwächen gleich vor Ort kennen zu lernen – und spielerisch neue Berufe zu erkunden.

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Angehende Schneiderinnen von der Fachschule für Mode und Gestaltung (modeco) in Zürich demonstrierten ihr Handwerk.

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Auch die Landwirtschaft arbeitet mittlerweile mit Simulatoren und Digitaltechnologie.

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Angehende Techniker der Swiss prüfen virtuell am Simulator die Funktionstüchtigkeit eines A-340.

Die Berufsmesse Zürich hat ihren festen Platz in der Agenda der Zürcher Sekundarschulen und Lehrstellenanbieter. Sie ist schweizweit die wohl grösste Plattform für Nachwuchsmarketing. Selbst die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner sagte an der Eröffnung der 18. Berufsmesse vom 21. November, dass sie immer wieder gern den Anlass mit über 250 Lehrberufen besuche. Und sie brach eine Lanze für die Berufslehre: Noch immer – und das widerspreche der These von der Akademisierung – absolvierten drei Viertel der Jugendlichen im Kanton Zürich eine Berufslehre. Mit einer Lehre stünden den Jugendlichen riesige Karrieremöglichkeiten offen. «Eine Berufswahl führt nie in eine Sackgasse.» Aber es brauche auch Vorbilder. Erfahrene Berufsleute erzählten an der Messe über ihren Alltag, über die Freuden und Leiden im Beruf. Im direkten Gespräch liessen sich Vorstellungen über Berufe, Anschluss- und Weiterbildungsmöglichkeiten erörtern.

«Denn wenn alle 4 bis 5 Jahre 3 oder 4 Prozent der Berufslehren verschwinden, kann man sich ausrechnen, wie lange es geht, bis die Berufsbildung nicht mehr existiert.»

Stefan Wolter, Bildungsforscher und Ökonom

Und so standen auch junge Berufsleute an der Eröffnung im Zentrum, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Berufslehre zu zementieren. KGV-Präsident Werner Scherrer interviewte die fünf Zürcher Medaillengewinner an den EuroSkills in Danzig vom September 2023. Authentisch und inspirierend machten die fünf Ambassadeure beste Werbung für die Lehre, welche die Basis für ihren Beruf, ihre Berufung legte – mit dem sie sich auch stolz identifizierten: Marlena Senne holte Gold als Steinmetzin und erzählte, wie sie von ihrer Faszination für Eisskulpturen zu ihrem Beruf kam. «Eisskulpturen halten nicht sehr lange, Steine dafür ewig.» Sie zeichnete gern in der Schule und hatte ein Flair fürs Kreative. Die ganze Schönheit ihrer Arbeit zeige sich etwa bei der Sanierung alter Gebäudefassaden. Und wer schon einmal von einem Turmspitz die Welt gesehen habe, der verstehe: «Das ist eine ganz einmalige Sache.»

Spitze in Büro und auf Baustelle

Die zwei EuroSkills-Sieger im Skill «Entrepreneurship und Business Development» Ralf Boltshauser und Raymond Tea erklärten KGV-Präsident Scherrer zunächst, was man unter dem branchenübergreifenden Skill (der nicht an eine Lehre gebunden ist) versteht und was gefordert wird: Sie hatten drei Tage Zeit, zu einem der «Sustainability Development Goals» (SDG), also Nachhaltigkeitszielen, ein Problem zu lösen und daraus einen Business Case zu machen – vom Businesskonzept über ein Businessmarketing, dem Definieren von Target Groups bis hin zur Präsentation. Die beiden Informatiker kamen zum erstmals durch SwissSkills angebotenen Skill, weil sie unternehmerisches Denken und Handeln anwenden wollten.

Gold-Gewinner Elektroinstallateur Michael Schmucki erklärte, was ihn an seinem Beruf fasziniert: «Es ist jeden Tag etwas anderes – man ist draussen und drinnen, kann auf dem Bau sein oder auch bei Kunden zuhause.» Trotz vergleichsweise wenig Digitalisierung und Automatisierung im Beruf: Auch Kenntnisse der Gebäudeautomation gehörten mittlerweile zu seinem Berufsprofil.

Ganz traditionell ist das Handwerk von Malerin und Silber-Gewinnerin Sabrina Bosshard – jenes mit der höchsten Frauenquote. «Vermutlich, weil auch eher Frauen das Feingefühl bei dekorativen Techniken haben. Und weil es viel mit Farben und Einrichtungen zu tun hat, kommen wohl auch viele Frauen auf den Beruf.»

Baustellen im Bildungswesen

Bildungsforscher und Ökonom Stefan Wolter, Direktor der schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung in Aarau, bot handfeste Zahlen und Statistiken zur Schweizer Bildungslandschaft. Unter dem Referatstitel «Berufsbildung Schweiz – Leuchttürme und Baustellen» distanzier-te auch er sich zunächst vom Schlagwort Akademisierung. «Die Schweiz hat in den letzten 30 Jahren nicht eine Akademisierung, sondern eine Tertiarisierung geprägt», so Wolter. Letztere bezeichnet die Abschlüsse auf Tertiärstufe – gemeinsam also einerseits die Höhere Berufsbildung (höhere Fachschulen, Berufsprüfungen und höhere Fachprüfungen) und anderseits die Hochschulen. So zeigte Wolter auf, wie sich die Tertiarisierung nicht etwa durch eine stark ansteigende Gymnasialquote (Faktor 1.6 seit 1991), sondern insbesondere durch den Anstieg der Quote höherer Bildungsabschlüsse (bei den Frauen um den Faktor 5 seit 1991, bei den Männern um 2.5) auszeichnete. Heute kommt auf eine Frau mit Berufslehre oder Gymnasium eine mit höherem Bildungsabschluss.

Mit der Lehre verkaufe man somit auch «eine Option für die Zukunft». Nur leider bewege sich die Schweiz nicht in die richtige Richtung. Wolter zeigte sich über einen Trend besorgt: In nur 5 Jahren nahm vor der Pandemie zwischen 2014 und 2019 der Marktanteil der Berufsbildung um 3,5 Prozent ab – in einigen Kantonen sanken die Lehrabschlüsse sogar um bis zu 9 Prozent, insbesondere in der Westschweiz und in urbanen Kantonen. Das spürten auch die Betriebe: Die Konkurrenz zu Gymnasien und Fachmittelschulen werde von der Mehrheit der befragten Firmen als Konkurrenz empfunden. So versuchten Betriebe, die ihre Lernenden an die Gymnasien verlören, dort Schüler zu holen, wo sie vor einigen Jahren noch nicht suchten. So werde der Druck «nach unten» weitergegeben. «Den Letzten beissen die Hunde.» Gerade bei den Berufen, in denen die schulischen Anforderungen nicht tief seien, sei der Druck am höchsten.

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Auch bei den Chemielaborantinnen ging es gleich zur Sache.

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Am Wursten: Nichts für Vegetarier, aber dafür ist Metzger ein Beruf, der viele Ausbildungsplätze zu bieten hätte.

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Auch das SRF warb trotz drohender Halbierungsinitiative um Lernende.

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Nach der Eröffnung der Berufsmesse Zürich im Foyer.

Doch es gibt Hoffnung. Die heisst: Imagepflege. Gerade bei Berufen, die «keine Begeisterungsstürme» auslösten, bei denen aber Schweizer Lernende bei EuroSkills und WorldSkills Medaillen holten, zeigte sich Erstaunliches auf dem Lehrstellenmarkt. Durch die mediale Berichterstattung steige die Anfrage nach offenen Lehrstellen innert wenigen Wochen um 7,5 Prozent. Die unterzeichneten Lehrverträge stiegen im gesamten Jahr nach einer Goldmedaille jeweils um 2,5 Prozent. «Wenn Sie also das Renommee der Berufe fördern wollten, unterstützen Sie Jugendliche, welche an diesen Meisterschaften teilnehmen.»

Die Suchanfragen Jugendlicher auf Lehrstellenplattformen zeigten nach Einführung von Chat GPT einen überraschenden «Knick»: Plötzlich wurde nicht mehr nach Berufen mit hohen kognitiven Anforderungen gesucht – allen voran sprachlichen kognitiven Fähigkeiten. Ganz im Gegensatz zu manuellen Berufen, wo die Nachfrage nicht sank. Wolters Fazit: Technologische Veränderungen wie die neuen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI) könnten sich zum Vor-, aber auch zum Nachteil der Berufsbildung auswirken. Die Berufsbildung habe in der Schweiz noch eine sehr starke Stellung. Aber die dagegenwirkenden Tendenzen müsste man im Auge behalten. «Denn wenn alle 4 bis 5 Jahre 3 oder 4 Prozent der Berufslehren verschwinden, kann man sich ausrechnen, wie lange es geht, bis die Berufsbildung nicht mehr existiert.»

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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