Die Gamification des Strassenraums
Die Stadt lädt zur Party und niemand geht hin. Gähnende Leere herrschte in zwei Quartierstrassen in Zürich jeweils im Sommer 2023. Das wäre nicht weiter verwunderlich, würde es sich nicht um die Cramer- und die Gartenhofstrasse handeln – jene beiden Strassen, in denen mit der Aktion der Stadt «Brings uf d Strass» der Strassenraum belebt werden sollte. Ursprünglich sollten fünf Strassen während fast zweier Monate gesperrt und für die Bevölkerung «bespielbar» gemacht werden, am Ende waren es noch zwei. So etwas wie eine Gamification hatte sich der Dirigent der orchestrierten Spielfreude, der Tiefbauvorsteher Richard Wolff, beim Start dieser Sommer-Strassenaktionen 2021 wohl vorgestellt. Spieltypische Elemente wie Pingpongtische, aber auch Blumentöpfe sollten das Leben auf der Strasse zum Gaudi machen und für so etwas wie eine Rückeroberung der Strasse vom motorisierten Verkehr sorgen. Ein Spielplatz für gelangweilte Stadtkinder und deren Eltern. Doch gerade mal zwischen vier und einer Person wurden pro Stunde auf der Cramerstrasse gezählt.
Die Ausgangslage: In der warmen Jahreszeit bestehe das Bedürfnis nach zusätzlichen Freiräumen in der Nähe des eigenen Wohnorts, so die Annahme das Tiefbauamts. Die Ansprüche an die Gestaltung und Nutzung von Strassen seien im Wandel, dazu gehörten temporäre Umnutzungen.
Auch wenn Wolff, dessen Verkehrspiloten beim Gewerbe berüchtigt sind, zuletzt nicht mehr am Ruder war: Das zwölfköpfige Projektteam der Stadt wurde bei «Brings uf d’Strass!» stets eng begleitet von sich abwechselnden externen Planungsbüros – von Spielraum- über Dialogprozess- zu Verkehrsberuhigungsspezialisten. Da wundert es nicht, dass die Übung letztlich stolze 630 000 Franken gekostet hat. Nach Einsprachen an anderen Strassen grenzte die Stadt im vergangenen Jahr den Versuch auf die beiden erwähnten Strassen ein. Was bleibt nach drei Sommern und der Begrabung des Projekts? Nebst tiefen Furchen in den Strassen, Zeugen der mittels Fräse entfernten Farbstreifen, ist es ein Schlussbericht, der vieles schönzureden scheint.
So erstaunt es, dass als Fazit konstatiert wird, das lokale Gewerbe habe die Aktion mehrheitlich positiv bewertet. Das «Sommerfest» vertrieb zwar den Verkehr zu rund 80 Prozent aus den betroffenen Strassen. Doch es sorgte auch für Umsatzverluste bei den betroffenen Geschäften statt für eine «Belebung», wie eine Umfrage unter zwölf Gewerbetreibenden in der Rotwandstrasse 2021 ergab. Sogar 34% der Nutzenden waren mit dem Pilot «unzufrieden».
Man fragt sich: Müssen diese «neuen Bilder von Zürcher Strassenräumen», die das Projekt gemäss dem Tiefbauamt vermittelt, tatsächlich von oben herab durch Planungs- und Beratungsbüros geschaffen werden? Und: Wenn schon partizipative Ansätze als Mittel zur Aufwertung von Strassenräumen hochgejubelt werden, so müsste eine «umfassende Einbindung der Bevölkerung und des Gewerbes» sicher anders aussehen.
Wadenbeisser
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