Der sogenannte Königsweg? Bildung mit Hand und Fuss

Nun war es wieder soweit. Anfang Monat traten 8500 Schülerinnen und Schüler zur Gymiprüfung des Kantons Zürich an. Hunderte von ihnen hatten seit Monaten kaum noch anderes im Kopf. Ihre Eltern erst recht nicht. Sie büffelten mit ihren Kindern, finanzierten teure Lerntrainings, vielleicht auch ein paar Packungen Ritalin oder andere Hirndopings. Über die Hälfte der Kinder wird beim Test durchfallen. Und bei denen, die bestehen, bleibt in manchen Fällen suspekt, ob sie wirklich geschaffen sind für ein jahrelanges Leben in Lernen und Theorie.

Doch kurioserweise gilt diese Prüfung weiter als Scheideweg fürs Leben. Hier gabeln sich angeblich die Lebensläufe – in den «Königsweg» zum Studieren oder auf den Pfad der Berufslehre. Kurios, weil die Bildung längst kreuz und quer läuft; der gelernte Automatiker kann später immer noch an der ETH in Informatik doktorieren. Kurios, weil die Berufswelt längst aufgemischt ist: Studierte sind kaum noch akademisch drauf, sie praktizieren irgend etwas Spezielles, Kulturmanagement oder so. Während gelernte Informatiker bald theoriefester sind als Literatursoziologinnen.

Wenn aber so dem «Lehrling» jede Zukunft offen steht, dann spricht vieles dafür, mit einer Lehre zu beginnen. Denn Berufsschüler lernen nicht bloss was anderes als Gymnasiasten – sie leben anders. Ihre Bildung hat Hand und Fuss. Sie tun was. Machen sich nützlich. Werden gebraucht. Fallen nicht so rasch in Sinnkrisen. Sie haben einen existenziellen Standortvorteil.

Im Vergleich wirken die Kollegen am Gymi reichlich hors sol. Lernen und lernen (oder auch nicht), ganz ohne Praxisspur, ohne Einbettung in gesellschaftliche Nützlichkeit, abhängig von den Eltern, häufig ohne geklärte Berufsperspektive, viele haben noch bei der Matur keine Ahnung, wozu sie all diese Dinge gelernt haben. Das Gymnasium, für viele eine Art Aufschub des Erwachsenwerdens.

Während Berufsschüler früh Fuss fassen, Akteure ihres Lebens sind, Geld verdienen, selbständig durchs Leben ziehen. Weil sie früh Erfahrungen machen mit der Wirklichkeit. Vor allem die Erfahrung, dass es auf sie ankommt. Erfahrung macht nur, wer etwas tut. Ist kein Zuckerschlecken. Erfahrungen sind praktische Lektionen, die können auch zusammenstauchen. Doch ohne sie bleiben wir lebenslang dieselben Trottel – egal, wieviel Wissen wir in unseren Hirnschalen ablagern. Es gibt ja diese Supergescheiten, die laufen herum wie wandelnde Lexika – und haben doch eine weiche Birne, sobald sie sich praktisch bewähren müssen.

Wenn Berufsschüler mal versagen, passiert etwas – nicht nur eine schlechte Note. Sie merken früh: Es kommt auf sie an, etwa, ob die Energiewende vorankommt. An ihren Werken sollt ihr sie erkennen, sagt die Bibel. Richtig. Der Mensch bildet sich über sein Werk. Bodenleger, stolz auf ihren Parkettboden, gewinnen ihr Selbstbewusstsein, die Arbeit holt das Beste aus ihnen heraus: Charakter, Tatkraft, Verantwortung.

So wird Berufsbildung zur Menschenformung.

Ludwig Hasler

Philosoph, Physiker, Autor und Menschenkenner lhasler@duebinet.ch

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