Vom Bestattungswesen bis zum Bau: Welche Faktoren den Nachwuchs anziehen

Viele Branchen kämpfen händeringend um Nachwuchs, doch das Bestattungswesen erlebt einen regelrechten Bewerbungsboom – schliesslich sterben in der Schweiz jedes Jahr rund 72’000 Menschen. Auch im Bau zieht die Nachfrage wieder an, nicht zuletzt dank Social Media, und Unternehmen wie Planzer bieten Lernenden inzwischen sogar acht Wochen Ferien.

Bild: zvg

Berto Biaggi war zuerst Lehrer bevor er das Bestattungsunternehmen seiner Eltern übernahm. Fachkräftemangel kennt er in seiner Branche nicht.

Viele Branchen kämpfen händeringend um Nachwuchs, doch das Bestattungswesen erlebt einen regelrechten Bewerbungsboom – schliesslich sterben in der Schweiz jedes Jahr rund 72’000 Menschen. Auch im Bau zieht die Nachfrage wieder an, nicht zuletzt dank Social Media, und Unternehmen wie Planzer bieten Lernenden inzwischen sogar acht Wochen Ferien.

Während Lehrstellen in beliebten Berufen wie Kauffrau oder Kaufmann, Mediamatikerin oder Informatiker meist rasch vergeben sind, zeigt sich in anderen Branchen ein differenziertes Bild: Im Detailhandel, in der Gastronomie oder in der Pflege sind derzeit rund 8000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Der Fachkräftemangel macht sich damit schon beim Berufseinstieg bemerkbar. Doch anstatt zu resignieren, setzen viele Unternehmen auf neue Wege, um Nachwuchstalente zu gewinnen – mit kreativen Kampagnen auf TikTok, Lernenden als Markenbotschafter oder attraktiven Benefits wie acht Wochen Ferien.

Erfolgsbeispiel Baubranche

Ein eindrückliches Beispiel liefert die Baubranche. Noch vor wenigen Jahren galt sie als Sorgenkind – heute zeigen die Zahlen ein anderes Bild: Laut Schweizerischem Baumeisterverband (SBV) haben 2024 insgesamt 878 Lernende eine Maurerausbildung begonnen, rund zehn Prozent mehr als in den Vorjahren. Besonders auffällig: Fast 18 Prozent der Neueintritte stammen aus verkürzten oder nachgeholten Berufslehren. «Diese alternativen Zugangswege sind ein wichtiger Beitrag, um genügend qualifiziertes Fachpersonal sicherzustellen – und sie bergen grosses Potenzial, zusätzliche Zielgruppen für den Bau zu begeistern», sagt Matthias Engel, Sprecher des SBV.

«Heute lernen unsere Maurerinnen und Maurer mit Drohnen und KI. Gleichzeitig bieten wir finanzierte Weiterbildungen bis hin zum Baumeister. Und: Die Löhne sind konkurrenzfähig – das hebt die wahrgenommene Wertigkeit einer Baulehre deutlich»

Matthias Engel, Sprecher des SBV

Auch im Strassenbau geht es aufwärts. «Wir beobachten einen leichten, aber kontinuierlichen Aufwärtstrend», sagt Eva Keller, Leiterin Kommunikation bei Infra Suisse. An der Berufsschule BFS Verkehrswegbau sind aktuell 1022 Lernende registriert – ein Rekordwert. Über 450 neue Lernende bedeuten ein Allzeithoch.

Dass der Bau wieder an Attraktivität gewinnt, liegt nicht nur an besseren Rahmenbedingungen. Die Branche hat ihr Image gezielt modernisiert – mit digitalen Tools, Nachhaltigkeitsthemen und klaren Karrierepfaden. «Heute lernen unsere Maurerinnen und Maurer mit Drohnen und KI. Gleichzeitig bieten wir finanzierte Weiterbildungen bis hin zum Baumeister», erklärt Engel. «Und: Die Löhne sind konkurrenzfähig – das hebt die wahrgenommene Wertigkeit einer Baulehre deutlich.»

Social Media als Treiber

Ein weiterer Grund für den Aufschwung liegt auch in der Art, wie der Bau um Nachwuchs wirbt. Der Verband hat seine Berufswerbung konsequent visualisiert und auf Social Media verlagert. «Wir versuchen, die Jugendlichen dort zu erreichen, wo sie viel Zeit verbringen», sagt Engel. Auf YouTube erzielen einzelne Kampagnen fast eine Million Impressionen pro Monat, dazu kommen Formate auf Instagram und TikTok. Besonders erfolgreich: kurze Videos, in denen Lehrlinge aus der Region in Alltagssprache von ihrem Job erzählen.

 «Wenn eine 17-jährige Strassenbauerin erzählt, wie sie morgens auf der Baustelle steht und abends stolz ihr Werk betrachtet, wird der Beruf greifbar», sagt Keller. «Authentizität ist der Schlüssel. Unsere Lehrlinge sind die besten Botschafter – sie zeigen, dass der Bau ein cooler Arbeitsplatz mit echten Perspektiven ist.»

Mehr Ferien bei Planzer

Beim Logistikunternehmen Planzer reagiert man auf die Bedürfnisse der jungen Generation mit acht Wochen Ferien für Lernende. «Viele Jugendliche kommen aus einem Umfeld mit 13 Wochen Schulferien und erleben den Übergang in die Lehre als grosse Umstellung», sagt Patrizia Manduca, Leiterin Berufliche Grundbildung. «Mit den zusätzlichen Ferien möchten wir diesen Schritt abfedern und gleichzeitig zeigen, dass uns Work-Life-Balance wichtig ist.»

Die Reaktionen der Lernenden seien durchwegs positiv. «Sie fühlen sich ernst genommen und wertgeschätzt», sagt Manduca. Gleichzeitig betont sie: Ferien allein machen eine Lehre nicht attraktiv. Entscheidend seien spannende Inhalte, ein unterstützendes Umfeld und echte Entwicklungsperspektiven. Wer diese Punkte kombiniert, erhöhe die Attraktivität eines Lehrberufs und binde Talente langfristig.

«Romantisierte Vorstellungen vom Bestattungswesen»

Eine Branche die Bewerber ablehnen statt anwerben muss, ist hingegen die Bestattungsbranche. Hier ist die Nachfrage deutlich höher als das Angebot an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. «Ich bekomme viele Blindbewerbungen, oft mit falschen Vorstellungen. TV-Serien wie ‹Six Feet Under› oder ‹Der Bestatter› haben da sicher ihren Anteil. Viele schnuppern zunächst, meist Menschen, die selbst einen Verlust erlebt haben», erklärt Bestatter Berto Biaggi. Dass der Alltag dann doch anders aussieht, merken die meisten schnell. «Manche haben romantisierte Vorstellungen vom Bestattungswesen», so Biaggi.

Biaggi selbst war zuerst Lehrer, bevor er das Bestattungsunternehmen seiner Eltern übernahm. Grundsätzlich ist der Bestatter kein geschützter Beruf. «Überspitzt gesagt, könnte man einen Sarg kaufen, ein Inserat schalten und loslegen», sagt er. In Deutschland gibt es hingegen eine klassische Berufslehre. In der Schweiz besteht die Möglichkeit einer EFZ-Ausbildung, aufgeteilt in drei Module an zwei Tagen – immer als Zweitausbildung.

«Ich bekomme viele Blindbewerbungen, oft mit falschen Vorstellungen. TV-Serien wie ‹Six Feet Under› oder ‹Der Bestatter› haben da sicher ihren Anteil. Viele schnuppern zunächst, meist Menschen, die selbst einen Verlust erlebt haben.»

Berto Biaggi, Bestatter

Was Biaggi an seiner Arbeit besonders mag? «Es ist die Dankbarkeit der Menschen in Extremsituationen», sagt er. Der Beruf sei technisch, handwerklich und gestalterisch vielseitig und ermögliche zugleich intensiven Kontakt zu Menschen. Herausfordernd sei die ständige Erreichbarkeit, 365 Tage im Jahr. «Zudem muss man damit umgehen, dass manchmal gar nichts läuft.» Am schwierigsten für ihn? «Verwesungsleichen. Den Geruch bekommt man nicht mehr aus dem Kopf. Das ist schlimmer, als jemanden auf dem Zuggleis einsammeln zu müssen», erzählt Biaggi. Pro Jahr betreut er knapp 400 Todesfälle.

Anna Birkenmeier

Redaktion Zürcher Wirtschaft

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