Arbeitsrecht: Rachekündigung

Im Schweizer Arbeitsrecht gilt der Grundsatz der Kündigungsfreiheit. Spricht die Arbeitgeberin aber eine Kündigung als Strafe für vom Arbeitnehmer nach Treu und Glauben geltend gemachte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis aus, so kann diese missbräuchlich sein und zu Entschädigungsfolgen führen.

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Rachekündigungen können rechtliche Konsequenzen haben.

von Miryam Meile, Rechtsanwältin

Im Schweizer Arbeitsrecht kennen wir den Grundsatz der Kündigungsfreiheit. Das bedeutet, dass sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis jederzeit ordentlich, unter Einhaltung der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist, beenden können, ohne dass es dafür einen besonderen Grund braucht. Der Grundsatz der Kündigungsfreiheit gilt aber nicht absolut. Das Obligationenrecht (OR) sieht neben dem zeitlichen Kündigungsschutz (Art. 336c OR) insbesondere auch einen sachlichen Kündigungsschutz (Art. 336 OR) vor, welcher die Kündigungsfreiheit massgeblich einschränkt.

Währenddessen der zeitliche Kündigungsschutz den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin vor einer Kündigung während bestimmten Zeiten (z.B. bei Krankheit und während einer Schwangerschaft) schützt, kommt der sachliche Kündigungsschutz dann ins Spiel, wenn es um eine Kündigung geht, welche aus missbräuchlichen Beweggründen ausgesprochen wurde.

Missbräuchlich ist eine Kündigung nur, wenn sie aus bestimmten unzulässigen Gründen ausgesprochen wird, die in Art. 336 OR aufgeführt werden, wobei diese Aufzählung nicht abschliessend ist. Auch weitere Kündigungsgründe können missbräuchlich sein, wenn sie ähnlich schwerwiegend sind wie die im Gesetz aufgeführten Gründe.

In der Praxis häufig wird von entlassenen Arbeitnehmenden der Vorwurf einer missbräuchlichen «Rachekündigung» erhoben.

Was ist eine Rachekündigung?

Von einer sogenannten Rachekündigung spricht man dann, wenn ein Arbeitgeber eine Kündigung ausspricht, weil der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nach Treu und Glauben Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht hat (Art. 336 Abs. 1 lit. d OR). Ein Arbeitnehmer kann sich zum Beispiel bei seiner Vorgesetzten beschweren, dass sein Lohn zu spät ausbezahlt wurde. Wenn seine Beschwerde der Grund für die Entlassung ist, so wäre dies ein klassischer Fall einer Rachekündigung. Ein weiteres Beispiel ist, wenn sich eine Arbeitnehmerin weigert, Nachtarbeit zu leisten, weil dies in ihrem Arbeitsvertrag nicht vorgesehen ist. Wird sie aufgrund ihrer Weigerung entlassen, so kann auch dies eine Rachekündigung sein.

Rachekündigung: Definition

Damit eine Kündigung vom Gericht als missbräuchliche Rachekündigung anerkannt wird, müssen kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst muss der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin Ansprüche gegen die Arbeitgeberin geltend machen (und nicht etwa gegen eine Versicherung). Zweitens müssen sich diese Ansprüche auf den Arbeitsvertrag beziehen, z.B. auf Lohnansprüche, Ferien, Persönlichkeitsschutz, Gesundheitsschutz etc. Drittens wird der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nur geschützt, wenn er oder sie diese Ansprüche nach Treu und Glauben geltend macht. Dabei ist nicht nur die Geltendmachung tatsächlich bestehender Ansprüche gemeint, sondern auch jene vermeintlicher Ansprüche. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer aber in guten Treuen geglaubt haben, dass seine Ansprüche bestehen. Viertens setzt eine missbräuchliche Rachekündigung einen Kausalzusammenhang zwischen dem verpönten Motiv und der Kündigung voraus. Das heisst, dass der als missbräuchlich angefochtene Kündigungsgrund bei der Entscheidung der Arbeitgeberin, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, eine entscheidende Rolle gespielt hat.

Folgen einer Rachekündigung

Liegt eine missbräuchliche Rachekündigung vor, so ist die Kündigung zwar wirksam, der Arbeitnehmer hat aber Anspruch auf eine Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen. Die Höhe der Entschädigung wird vom Gericht nach freiem Ermessen und unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falls festgelegt.

Keine Rachekündigung

Wie erwähnt, schützt Art. 336 Abs. 1 lit. d OR nur Arbeitnehmende, die nach Treu und Glauben Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gegen ihre Arbeitgeberin geltend machen. Der Arbeitnehmer kann also eine zulässige Kündigung nicht dadurch abwenden, dass er offensichtlich ungerechtfertigte Ansprüche erhebt. So wird der Arbeitnehmer beispielsweise nicht geschützt, wenn er seiner Vorgesetzten wider besseres Wissen Mobbing vorwirft, kurz
nachdem er eine Verwarnung mit Kündigungsandrohung wegen schlechter Leistungen und Fehlverhalten erhalten hat und die Arbeitgeberin ihm in der Folge kündigt, weil sich Leistungen und Verhalten nicht gebessert haben.

Ebenso wenig liegt eine missbräuchliche Rachekündigung vor, wenn die Arbeitgeberin eine Kündigung aus Gründen ausspricht, welche nicht im Zusammenhang mit vom Arbeitnehmer geltend gemachten Ansprüchen stehen, bzw. die Geltendmachung von Ansprüchen beim Entscheid zur Kündigung keine kausal ausschlaggebende Rolle spielte. Wenn der Arbeitnehmer zum Beispiel in gutem Glauben einen Anspruch auf Überstundenentschädigung geltend macht, die Arbeitgeberin daraufhin das Arbeitsverhältnis wegen nachgewiesener schlechter Leistungen kündigt, ist die Kündigung nicht missbräuchlich, da für den Kündigungsentscheid der Arbeitgeberin die schlechten Leistungen und nicht der geltend gemachte Anspruch auf Überstundenentschädigung massgebend war.

Die Arbeitgeberin ist deshalb gut beraten, vor Aussprache einer Kündigung zu prüfen, ob Gründe für eine Kündigung vorliegen, welche nicht im Zusammenhang mit vom Arbeitnehmer erhobenen Ansprüchen stehen.

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