Politik trifft Zukunftstechnologie
Der vom KGV organisierte Plenaranlass der Gewerbegruppe Kantonsrat (GGKR) stand ganz im Zeichen von Wandel und Zukunft, von Abschied und Aufbruch: Neben den Neuwahlen im Ausschuss rückte vor allem ein hochaktuelles Thema in den Mittelpunkt: die Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz für KMU.
22. September 2025 Mark Gasser
Von links: KGV-Präsident Werner Scherrer, Marcel Suter (neu Präsident Gewerbegruppe im Kantonsrat GGKR), Jürg Sulser (alt) und KGV-Geschäftsführer Thomas Hess.
Es war ein Abend zwischen Abschied und Aufbruch. Die Gewerbegruppe im Kantonsrat (GGKR) versammelte sich am 18. August zu ihrem Plenaranlass, der vom KGV organisiert wird – und erlebte nicht nur einen Wechsel an der Spitze, sondern auch einen faszinierenden Blick in die Zukunft der Arbeitswelt. Passend zum Anlass war das Setting: Im Besucherraum der Zuschauerterrasse im Flughafen Zürich – da, wo Abschied und Aufbruch in der Luft wabert wie das Kerosin der Triebwerke. Nach sechs Jahren übergab Jürg Sulser sein Amt als Obmann der GGKR. Der profilierte SVP-Kantonsrat, zuletzt Präsident des Rats, zieht sich auch aus der Politik zurück. In einer würdigen Verabschiedung dankte KGV-Präsident Werner Scherrer für sein Engagement, zuletzt als «magistraler Kantonsratspräsident» – nicht ohne humorvolle Spitze: Sulser wies Scherrer darauf hin, dass ersterer ihm auch noch sechs Flaschen Wein schulde, zumal Scherrers Ansage, Sulser sorge als kantiger SVPPolitiker in seinem Präsidialjahr auf dem «Bock» mindestens für einen Skandal, nicht eingetreten sei. Sulser selber meinte, er werde sich zwar offiziell zurückziehen, aber die Politik und seine Kollegen weiterhin mit Interesse verfolgen. Nachfolger wird Marcel Suter (SVP), der per Akklamation gewählt wurde.
KI: Chancen, aber auch neue Abhängigkeiten
Neu in den Ausschuss rückte Stephan Weber für Christian Müller (beide FDP) nach, während Marc Bourgeois, Priska Hänni und Paul Mayer bestätigt wurden. KI als Gamechanger für KMU «Ich persönlich habe auch Angst, dass die KI dereinst über uns herrscht», gestand Sulser – und leitete damit elegant zum Hauptthema des Abends über. Den inhaltlichen Höhepunkt bildete das Referat von Dr. Alexander Fust, Forscher an der Universität St. Gallen (KMU-HSG). Unter dem Titel «KI für KMU – Wissenswertes und Anwendungsfälle» zeigte er auf, wie rasant künstliche Intelligenz die Unternehmenswelt verändert – oder verändern könnte. Fust betonte, dass KI nicht nur Chancen, sondern auch neue Abhängigkeiten schafft. Milliardeninvestitionen fliessen in riesige Sprachmodelle wie ChatGPT, Gemini oder Copilot – entwickelt von Tech-Giganten, auf die kleinere Unternehmen zunehmend angewiesen sind.
«Ich persönlich habe auch Angst, dass die KI dereinst über uns herrscht.»
Jürg Sulser, Abtretender GGKR-Präsident
Doch gerade für KMU eröffnen diese Werkzeuge auch ungeahnte Möglichkeiten: Marketing, Personalwesen, Buchhaltung, IT-Sicherheit oder Kundenservice können effizienter und günstiger gestaltet werden.
Zwischen Euphorie und Skepsis
Google-Chef Sundar Pichai bezeichnet KI als «wichtigste Entwicklung der Menschheitsgeschichte». Visionäre Firmen wie figure.ai sehen KI – in diesem Fall in humanoiden Robotern verbaut – gar als Mittel, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und Routinejobs überflüssig zu machen und so «einen beispiellosen Einfluss auf die Menschheit zu nehmen» und zukünftigen Generationen «ein glücklicheres und sinnvolleres Leben» zu ermöglichen. Fust teilte diesen Optimismus – mahnte aber zur Vorsicht. Sprachmodelle wie ChatGPT, Gemini oder Copilot seien längst fester Bestandteil vieler Unternehmen, könnten Texte, Bilder, Videos oder sogar Code generieren. Freilich sei heute nicht alles, was diese Systeme produzierten, zuverlässig: «Die KI halluziniert gern – und das kann im Ernstfall fatal sein.» Fust unterschied klar zwischen Kernleistungsprozessen – also der eigentlichen Produkt- und Dienstleistungserstellung – und Unterstützungsprozessen.
Während KI bei ersteren noch selten eingesetzt wird, zeigt sie im Backoffice bereits ihre Stärke: Bewerbungen vorsortieren, Onboarding automatisieren, Finanzflüsse überwachen, Finanzberichte erstellen oder SocialMedia-Posts verfassen, Verträge prüfen oder Marketingkampagnen optimieren. Selbst kleinere KMU könnten mit Chatbots, personalisierten Kundenansprachen oder automatisierten Reportings erheblich profitieren. Dennoch: Fast die Hälfte der Schweizer Unternehmen verzichtet laut einer AXA-Studie von 2024 noch komplett auf KI. Gründe sind mangelnde Kompetenzen, rechtliche Unsicherheiten, Datenschutzfragen und die Sorge vor unausgereifter Technik. Doch diese Vorbehalte bröckeln schnell.
Stimmen aus dem Publikum
Eine spontane Umfrage unter den Kantonsräten zeigte: Viele experimentieren längst mit KI. Eine Parlamentarierin nutzt sie, um Bewerbungsschreiben zu beantworten. Andere setzen sie für internationale Kundenpräsentationen oder LinkedIn-Verkaufsprozesse ein. Paul Mayer, Metallbauunternehmer und SVP-Kantonsrat, berichtete von KI-gestützten Konstruktionen in seiner Firma. KI biete gerade in der Verwaltung viele Chancen, etwa bei der Recherche nach juristischen Texten, bei Chatbots für den Kundenkontakt, in Baubewilligungsprozessen oder bei Steuerveranlagungen. In Pilotprojekten werden LLM bereits auf Verwaltungen eingesetzt. «Gerade da hätten sie mehr Effizienz nötig», meinte eine Zuhörerin im Saal. Mit Legal-Tech-Software können mittlerweile Werkverträge nach wichtigen Aspekten durchsucht, Dokumente verglichen, Risikobewertungen vorgenommen, und juristische Texte in verständliche Sprache übersetzt werden, Vertragsentwürfe verfasst und allgemein Prozesse vereinfacht werden.
Chancen, Risiken, Verantwortung
Anschaulich demonstrierte Fust die rasante Entwicklung anhand von KI-generierten Avataren und Deepfake-Beispielen. Auch Schulungsvideos etwa für Neubewerber (inklusive Übersetzungen), oder Buchpräsentationen werden vermehrt mit KITools gänzlich und fast ohne menschliches Zutun erstellt. Die Vorteile: Prozessoptimierung, Kreativitätsschub, Wissensaggregation und Kostensenkung. Die Gefahren: Fehlinformationen, Datenschutzverletzungen, Fake News, hoher Energieverbrauch, Cyberkriminalität oder der Verlust menschlicher Fähigkeiten. Auch die Bildung sei betroffen: «Wer gleich mit ChatGPT beginnt, lernt weniger. Junge Leute sollten nicht die Abkürzung nehmen.» Das fand auch ein Kantonsrat, der sich besorgt zeigte, dass den Kindern vermehrt «die Kreativität abtrainiert» werde. Trotz europäischer (DSGVO) und Schweizer Datenschutzgesetzgebung, warnte Fust vor der Eingabe allzu vertraulicher Inhalte. Einzelne Firmen haben aus solchen Gründen LLM-Tools wie ChatGPT bereits verboten. Gerade Deepfake-Videos erleben dank zunehmender Qualität einen Boom. Um die Sicherheit zu erhöhen, werden für Videokonferenzen mittlerweile auch «Safe Words» ausgemacht. Auch die Spesenrechnung lässt sich mit KI glaubhaft «aufhübschen».
Kurzum: Cyber-Kriminalität durch KI-Unterstützung ist kaum aufhaltbar. Deshalb hat die KMU-HSG auch ein Merkblatt für Mitarbeiter (Uni SG) herausgegeben.
Klare Spielregeln gefordert
Damit Unternehmen nicht von der Wucht der Entwicklung überrollt werden, empfiehlt Fust konkrete Massnahmen: Merkblätter, interdisziplinäre «KI-Champions» und KI-Teams sowie die Förderung eines «KI-Mindset» im Betrieb – andernfalls würde sich unkontrolliert eine interne «Schatten-KI» entwickeln. Die Geschwindigkeit der Entwicklung erfordere Wachsamkeit, aber auch Mut zum Experimentieren. Die GGKR-Tagung war so mehr als ein politisches Pflichtprogramm. Sie wurde zu einem Schaufenster, wie nah Zukunft und Gegenwart beieinanderliegen. Denn für KMU hat der Wettlauf mit der KI gerade erst begonnen. Wer jetzt mutig ausprobiert, kann gewinnen – wer zaudert, droht abgehängt zu werden. Oder in Jürg Sulsers Worten: «Man sollte etwas die Hemmungen abbauen, aber auch die Gefahren und Risiken erkennen.»
Als Orientierung für KMU hat die HSG die Plattform KMUmeetKI.ch (https://www.kmumeetki.ch/) geschaffen.
Mark Gasser
Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft
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