Was der US-Zollhammer für den Kanton Zürich bedeutet

Direkt betroffen vom 39 %-Zollsatz, den die USA über Güter aus der Schweiz verhängte, sind Exporte aus dem Kanton Zürich von jährlich rund 2 Milliarden Franken. Die Zürcher Regierung setzt eine Arbeitsgruppe ein, um die Auswirkungen auf die Zürcher Wirtschaft zu analysieren. Für exportorientierte KMU – etwa in der MEM-Branche – könnten die US-Zölle das berühmte Fass zum Überlaufen und die KMU an den Rand des Ruins bringen.

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Das Weisse Haus – wo derzeit wegen des Zollschocks viele Diplomaten und Spitzenpolitiker um Audienz bei Präsident Donald Trump bitten.

Es kam schlimmer als ursprünglich angedroht: US-Präsident Donald Trump hat auf Importen aus der Schweiz am 7. August Zölle von 39% verhängt. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter sagte in ihrem ersten Interview nach dem Telefongespräch mit Trump gegenüber Tele Züri, sein Verdikt sei «weit weg von der Abmachung gewesen – und nicht im Interesse der Schweiz.» Bereits würden weitere Verhandlungen mit dem Ziel, eine Senkung zu erlangen, folgen, versprach sie. Wirtschaftsminister Guy Parmelin soll nun bis Ende August dem Bundesrat konkrete Vorschläge für Massnahmen vorzulegen. US-Finanzminister Scott Bessent hatte angekündigt, die Zollgespräche mit betroffenen Ländern bis Ende Oktober abzuschliessen.

Auch die Zürcher Politik reagierte zunächst perplex. Seitens der Kantonsregierung kamen dann beschwichtigende Töne: Die Zürcher Wirtschaft sei dank ihres Branchenmixes weniger exponiert gegenüber Handelsrestriktionen aus den USA als andere Kantone oder die Gesamtschweiz. Dienstleistungen sind überdies von den Zollsätzen nicht betroffen. Damit sind 84 % der Arbeitsplätze im Kanton Zürich von direkten Auswirkungen verschont. Hingegen treffen die Zölle die Zürcher Industrie stark. Während aber 13 % des Zürcher Bruttoinlandprodukts (BIP) im Produktionssektor erwirtschaftet wird, sind es in der Schweiz 25 %. Analog werden 87 % des Zürcher BIP somit im Dienstleistungssektor erwirtschaftet (Schweiz: 74 %). Eine neu geschaffene Arbeitsgruppe mit Vertretern der Volkswirtschafts- und der Finanzdirektion soll nun in engem Austausch mit betroffenen Zürcher Unternehmen und Verbänden laufend die möglichen Auswirkungen auf den Kanton analysieren.

Zürich: Betroffene Branchen

Am stärksten betroffen von der aktuellen US-Handelspolitik sind die Uhrenindustrie, Hersteller von Präzisionsinstrumenten und die Metall- und Maschinenindustrie. Diese Industriezweige stellten 42 100 Arbeitsplätze zur Verfügung und machten 5 % der Wirtschaft im Kanton und 55 % der Zürcher Industrie aus. Diese Firmen werden den Export möglicherweise ganz einstellen – sofern sie keine Marktmacht haben.

Da die Zürcher Wirtschaft aufgrund ihres Branchenmixes gegenüber den US-Zöllen weniger exponiert ist als die Gesamtschweiz, dürften die Auswirkungen jedoch in der Tendenz tiefer ausfallen. Gemessen am Zürcher BIP machen die Güterexporte 10 % aus (Schweiz: 34 %). 12,5 % der Zürcher Exporte fliessen in die USA. «Für manche Zürcher Exportunternehmen sind die Zölle existenzbedrohend, vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen. Grössere Unternehmen können sie besser abfedern oder umgehen – etwa mit anderen Standorten ausserhalb der Schweiz», sagt Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh in einer Mitteilung. Marktposition, Diversifikation und Standortstrategie seien in der unsicheren geopolitischen Lage entscheidend.

«Wir haben Wettbewerbsbedingungen und Handelshemmnisse geschaffen, die uns die Konkurrenzfähigkeit entziehen.»

Jann Dössekker, Abtretender Geschäftsführer Swissmechanic Sektion Zürich

Das würden sich gern viele KMU zu Herzen nehmen – ist jedoch einfacher gesagt als getan. Alarmiert ist naturgemäss der Branchenverband Swissmechanic Sektion Zürich. Laut Jann Dössekker, abtretender Geschäftsführer des Verbands, sind die Auswirkungen noch schwer abschätzbar: «Unsere Mitglieder sind meist Zulieferer. Wir wissen oft nicht, wie viel Swissness in den Endprodukten steckt, die in die USA gehen.» So enthalten nicht nur Fahrzeuge grosser Automarken aus der EU, sondern als Beispiel auch Schiffsmotoren aus Finnland Teile aus der Schweiz. «Bestellen die Hersteller die Hochdruck-Dieselleitungen dann einfach anderswo? Oder kann der Motor ganz als finnischer oder EU-Motor deklariert werden? Dann würden nur die für die EU geltenden Zölle von 15 % erhoben. Aber wir wissen es einfach nicht», sagt Dössekker.

Unsicherheit auf allen Ebenen

Ob Teile neu deklariert, umgangen oder ausgelagert werden, sei unklar – auch die Chefeinkäufer der Grosskonzerne hätten sich dazu noch nicht positioniert. Hinzu kommen zusätzliche Handelshemmnisse wie das EU-Lieferkettengesetz, das Importe etwa aus Russland oder dem Iran verbietet – mit bisher unbekannten Folgen auch auf Zoll-Deklarationsoptionen für den Import in den US-Markt. Der tiefe Eurokurs, Auftragsverluste, Lieferengpässe während Corona, Energiekrise (Ukraine-Russland-Konflikt), die Deindustrialisierung Deutschlands, und Unsicherheiten im Stromnetz bzw. Schwankungen im Strompreis seien schwer zu verkraften – alles Krisen in nie dagewesenen kurzen Abständen. «Früher gab es alle 10 Jahre eine solche Krise – Stichwort Ölkrise, Rezession und Immobilienkrise», so Dössekker. «Nach einer Kaskade disruptiver Ereignisse der letzten 10 Jahre sind bei den KMU keine Reserven mehr da, sich neu zu orientieren und neu zu investieren.»

Akute Liquiditätsprobleme

Was bleibe, sei oft nur noch die Verlagerung ins Ausland. «Unsere Mitglieder sind Energie-, Kapital- und knowhowintensiv.» Die strukturelle Veränderung sei vergleichbar mit dem Niedergang der (transportintensiven) Textilindustrie und ihre Zulieferer vor Jahrzehnten. Besonders selbst auferlegte Produktions- und Handelshemmnisse wie zum Beispiel das strenge Schweizer Kriegsmaterialgesetz führten zu verlorenen Aufträgen und Vertrauensverlusten bei internationalen Kunden. So stünden viele Mitglieder vor dem finanziellen Ruin. «Bei einem Menschen spricht man von multiplem Organversagen, wenn der Organismus vor derart vielen Herausforderungen steht. Vor einem solchen stehen viele KMU in der MEM-Branche, es ist einfach ein Problem zu viel.»

Was bislang ein Segen war, könnte zum Fluch werden angesichts so vieler Unwägbarkeiten: Die hoch spezialisierten Schweizer Betriebe müssten grosse Investitionen in Kauf nehmen, um auf neue Spezialitäten umzusatteln. «Wir stehen an einem Scheideweg», warnt Dössekker. «Wir haben Wettbewerbsbedingungen und Handelshemmnisse geschaffen, die uns die Konkurrenzfähigkeit entziehen. Wenn ein Auftrag für einen Industriebetrieb mal weg ist und im Ausland, kommt er in der Regel nicht mehr zurück.»

Verbände: Rasches Handeln gefordert

Gemäss dem Schweizerischen Gewerbeverband sgv betragen die Kosten von Regulierungen und Bürokratie etwa 10 Prozent des BIP, also 70–80 Milliarden Franken. Mit der immer mehr ausufernden Bürokratie – aktuelles Beispiel: die vom EJPD vorgeschlagene Ausdehnung der Nachhaltigkeitsberichterstattungspflicht auf weitere Unternehmen – würden insbesondere KMU überbelastet. Weiterer Kostentreiber sind etwa steigende Lohnnebenkosten, die auch der fortschreitende Ausbau des Sozialstaats erhöhe.

Daher verlangt der sgv von der Politik ein umfassendes KMU-Entlastungs- und Revitalisierungsprogramm und untermauert dies mit einer Petition «Ohne KMU keine Schweiz – jetzt handeln!» (www.sgv-usam.ch/revitalisierung). Darin fordert der Gewerbeverband konkret ein Massnahmenpaket mit drei Punkten: 1. Weniger Bürokratie und Abgaben, 2. Schlankheitskur für den Staat, 3. Diversifizierung von KMU-tauglichen Handelsbeziehungen. Mit letzerer Forderung sind Neue Freihandelsabkommen (FHA) mit wachstumsstarken Regionen (vor allem Indien, Mercosur) gemeint – sie müssten «rasch ratifiziert und in Kraft gesetzt werden.» Bestehende Abkommen müssten modernisiert werden. Ausserdem brauche es für KMU eine Plattform zur Erleichterung der Anwendung der FHA-Regelungen.

Die Zürcher Handelskammer (ZHK) schlägt in dieselbe Kerbe und fordert von der kantonalen Politik in einem Massnahmenplan «umgehend» die Umsetzung von fünf Massnahmen: eine verschlankte «Netto-Null-Bürokratie» gegenüber den Unternehmen (dazu gehören eine Regulierungsbremse und ein «Absenkpfad für Bürokratie»); weiter soll die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse vorangetrieben werden; eine Steuersenkung um zwei Prozentpunkte sei ferner anzustreben; weiter fordert die ZHK eine Senkung und Überprüfung der Gebühren. Zuletzt gelte es, die Konkurrenz der Privatwirtschaft durch den Staat aufzudecken und einzudämmen.

Die Wirtschaftsdachverbände economiesuisse, Arbeitgeberverband SAV und sgv sowie der Branchenverband Swissmem lancierten zudem eine neue digitale Infrastruktur «civic»: Der eigenständige Verein betreibt die Plattform zur Unterstützung der Unterschriftensammlung für liberale, wirtschaftsfreundliche Initiativen, Referenden und Petitionen.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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