Gewerbe zittert vor Mindestlohn-Initiativen

In der Stadt Kloten wurde eine Mindestlohn-Initiative knapp abgelehnt. Doch in Zürich und Winterthur, wo identische Vorlagen an die Urne kommen dürften, wird mit einer Annahme gerechnet. Nicole Barandun, Präsidentin des Gewerbeverbands Stadt Zürich, hofft auf den Gegenvorschlag als kleineres Übel.

Bild zvg

Nicole Barandun ist Rechtsanwältin und Präsidentin des Gewerbeverbands der Stadt Zürich sowie KGV-Vizepräsidentin.

Nicole Barandun, in Kloten scheiterte die Einführung eines kommunalen Mindestlohns am 28. November an der Urne knapp. Doch in Zürich und Winterthur dürfte ein klares «Ja» zur Volksinitiative «Ein Lohn zum Leben» resultieren. Trotzdem engagieren Sie sich dagegen. Warum?
Nicole Barandun: In der Schweiz haben wir eine lange Tradition der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen. Es ist eine ihrer zentralen Aufgabe, sich über Mindestlöhne zu einigen, was sehr gut funktioniert. Die Sozialpartner machen aber noch viel mehr. Sie sorgen zum Beispiel dafür, dass schlecht ausgebildete Arbeitnehmer nachqualifiziert werden können und so langfristig im Berufsleben integriert bleiben. Diese bewährte Zusammenarbeit sollte man nicht leichtfertig durch einen staatlichen Eingriff gefährden und entwerten.

Anders als viele EU-Länder kennt die Schweiz keinen Mindestlohn für alle Arbeitnehmenden. Doch gibt es solche in zahlreichen Branchen und einzelnen Kantonen. Welche Branchen wären am stärksten von einem Mindestlohn betroffen?
Barandun: Es betrifft natürlich vor allem Tieflohnbranchen. Gerade in diesen Branchen funktionieren aber auch die Sozialpartnerschaften gut. In der Reinigung, dem Gastgewerbe oder auch in der Hotellerie gibt es Gesamtarbeitsverträge, die Mindestlöhne regeln. Für einzelne Tätigkeiten sind diese tiefer als der verlangte Mindestlohn, dafür erhalten die Arbeitnehmer eine Ausbildung mit Aussicht auf langfristiges besseres Fortkommen. Klar gibt es schwarze Schafe, die sich der Sozialpartnerschaft entziehen. Diese sind aber die Ausnahme. Regelungen, die auf ein paar wenige abzielen, aber alle treffen, sind meistens eine schlechte Idee. Allerdings möchte ich daran erinnern, dass die meisten schwarzen Schafe nicht im Gewerbe, sondern wohl in der Reinigung von Privathaushalten oder auch in der privaten Kinder- oder Betagtenbetreuung zu finden sind.

Welches wären die Auswirkungen eines kommunal festgelegten Mindestlohnes, der ja national bereits 2014 klar abgelehnt wurde, fürs Gewerbe allgemein?
Barandun: Das Gewerbe bildet seinen eigenen Nachwuchs aus, schafft Lehrstellen und sorgt gerade in Tieflohnbranchen oft auch für einen Start von schulisch schwächeren Jugendlichen in ein erfolgreiches Berufsleben. Wie würden sich denn Jugendliche entscheiden, wenn man ihnen die Wahl lässt: für einen relativ hohen Mindestlohn zu arbeiten, oder zuerst einmal zu einem tieferen Lohn eine Ausbildung zu absolvieren? Die Lehre auf diese Weise abzuwerten, wäre gefährlich.

Konkret: Würde ein Mindestlohn also am meisten die jungen Arbeitnehmenden tangieren?
Barandun: Er würde falsche Anreize setzen beim erwähnten Beispiel der Jugendlichen, die versucht sein könnten, eine Arbeit zu einem höheren Lohn einer Ausbildung vorzuziehen. Gewisse Hilfsarbeiten für Menschen, die keine fordernde und leistungsbetonte Arbeit verrichten können, aber über die Arbeit eine soziale Integration und Wertschätzung erfahren, würden in Zürich wohl wegfallen. Da die Initianten Praktikanten vom Mindestlohn ausgenommen haben, tut sich hier ein neues Fenster für Missbräuche auf. Wir kennen das aus dem Ausland. Ist der Arbeitsmarkt zu stark reguliert, schiessen Praktikanten ohne Festanstellung wie Pilze aus dem Boden. Solche Beispiele gibt es viele.

Liesse sich ein Mindestlohn exklusiv für eine Gemeinde rechtlich überhaupt durchsetzen?
Barandun: Es wäre sicherlich möglich, aber natürlich mit erhöhtem bürokratischem Aufwand verbunden. Aber nochmals: Die Betriebe, welche in Berufsverbänden organisiert sind, bieten faire Arbeitsbedingungen. Vielleicht müsste der Konsument auch hie und da etwas genauer hinschauen, wem er einen Auftrag vergibt.

In Winterthur wurde ja ein Gutachten erstellt, um abzuklären, ob ein Mindestlohn die gesetzlichen Bestimmungen erfüllt. Welches waren da die Erkenntnisse?
Barandun: Beim Mindestlohn handelt es sich wohl um eine Regulierung im Bereich des Arbeitsrechts, was eigentlich Sache des Bundes ist. Gemeinden können in diesem Bericht nicht legiferieren. Es gibt aber auch Stimmen, die den Mindestlohn nicht als arbeitsrechtliche, sondern als sozialpolitische Massnahme einordnen. Dann hätte die Gemeinde entsprechende Kompetenzen. Wie ein Gericht das letztlich qualifiziert, ist offen.

Hätte aber ein Mindestlohn wenigstens Vorteile für junge Unqualifizierten oder junge schlecht Qualifizierte?
Barandun: Leider nein. Wer mehr bezahlen muss, will auch mehr Leistung. Da dürften Unqualifizierte schnell ersetzt werden. Ausserdem sehen die Gesamtarbeitsverträge in der Regel auch Möglichkeiten zu Aus- und Weiterbildungen vor. Das würde dann wohl wegfallen.

In Basel-Stadt hat ein Gegenvorschlag obsiegt: Er sieht einen Mindestlohn von 21 Franken und einen Ausschluss von Salären bei Gesamt- und Normalarbeitsverträgen vor, die bereits einen Mindestlohn beinhalten. Der Zürcher Stadtrat hat die Mindestlohn-Initiative als teilweise gültig erklärt – und einen Gegenvorschlag in Auftrag gegeben. Was erhoffen Sie sich von diesem?
Barandun: Obwohl wir grundsätzlich gegen einen kommunalen Mindestlohn sind, setzen wir uns auch dafür ein, dass ein Gegenvorschlag auf den Tisch kommt, der die offensichtlichsten Schwachstellen der Initiative ausmerzt. Leider ist es so, dass heute Initiativen, die gut tönen und vordergründig für eine gute Sache stehen, auch dann angenommen werden, wenn sie neue Probleme schaffen. Das blendet man dann einfach gerne aus. Deshalb haben wir das Gesprächsangebot von Stadtrat Golta angenommen und unsere Vorschläge für unbedingt notwendige Ausnahmen eingebracht. Ich gehe davon aus, dass er ein Interesse daran hat, dass Jugendliche weiterhin Anreize für eine Ausbildung haben oder leistungsschwache Menschen nicht vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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