«Die Transformation konstruktiv angehen»

Mit dem Digital Learning Hub Sek II DLH will der Kanton die «digitale Transformation konstruktiv angehen», wie Christof Glaus, einer der Projektleiter des DLH und Leiter Bereich Generative KI, im Interview sagt.

Bild zVg

Christof Glaus ist Leiter Bereich Generative KI im Digital Learning Hub Sek II (DLH)

Christof Glaus, wird Schulen in Zukunft vermehrt eine zentrale Aufgabe dabei zukommen, Medienkompetenz zu vermitteln? Gerade mit der verbreiteten Nutzung der künstlichen Intelligenz?

Christof Glaus: Es war schon immer eine zentrale Aufgabe der Schulen, Medienkompetenzen zu vermitteln. Lesen und Schreiben sind Medienkompetenzen. Was sich geändert hat, ist, dass digitale Medien zu Hauptmedien werden und dass mit der künstlichen Intelligenz (KI) mediale Kompetenzen stärker geübt werden können, vor allem auch durch individualisierte Rückmeldungen.

Der Fernsehkritiker Neil Postman war sich in den 1980er Jahren sicher, dass die Fortentwicklung der Technik die Reformmöglichkeiten des Bildungssystems innert Kürze so abhängen würde, dass es kaum mehr möglich sein würde, die Menschen so auszubilden, dass sie mit den Schattenseiten des Mediums würden umgehen könnten. Trifft das auf KI und die Digitalisierung erst recht zu? Oder sind die Schulen gerüstet für die Revolution?

Glaus: Die Schulen sind noch nicht gerüstet für die veränderten Technologien und Erwartungen als Folgen der digitalen Transformation. Ich begrüsse es sehr, dass der Kanton Zürich mit dem Programm «Digitaler Wandel» an kantonalen Schulen der Sekundarstufe II und mit der Installation des Digital Learning Hubs Massnahmen ergriffen hat, um den Schulen beim Wandel zu helfen.

Welches ist der grösste Mehrwert, den Sie sich vom Digital Learning Hub versprechen?

Glaus: Der Digital Learning Hub bringt Lehrpersonen zusammen, hilft ihnen dabei, sich zu vernetzen und vermittelt ihnen ein Rüstzeug, um die digitale Transformation in den Schulen konstruktiv angehen zu können. Die Lehrpersonen werden durch den DLH doppelt unterstützt, zum einen als direkter Ansprechpartner und zum anderen als Koordinationshilfe für die sich im Aufbau be-findenden pädagogischen IKT-Teams an den Schulen der Sek II.

Muss mit solchen Projekten auch oder gerade Lehrpersonen vermehrt Wissen im Umgang mit Technologie und KI vermittelt werden?

Glaus: Die digitale Transformation hat durch öffentlich zugängliche generative KI-Modelle (GenKI) wie ChatGPT nochmals rasant an Fahrt dazugewonnen. Daher: Ja, die KI-Kompetenzen wie das Prompting und die Entlastungsfähigkeit durch KI-Assistentinnen sind zen-tral für aktuelle und kommende Aufgaben unserer Gesellschaft. Das Bildungssystem muss die BürgerInnen und Berufsleute von morgen darauf vorbereiten. Wir sind aber noch nicht so weit, die meisten Schullehrpläne enthalten die KI-Kompetenzen noch nicht.

Haben digital affine Lehrpersonen heute und in Zukunft einen Vorteil gegenüber anderen?

Glaus: Digital affine Lehrpersonen haben einen Vorteil, eindeutig. Die ständig steigende Komplexität der alltäglichen Handlungsabläufe durch die digitale Transformation verlangt eine Affinität gegenüber der Digitalität. Ohne digitale Kompetenzen sind Überforderungen und Frustration unausweichlich. Digitale Kompetenzen können entlasten. Ohne das traditionelle pädagogische Rüstzeug sind aber digitale Kompetenzen nutzlos. Die Leidenschaft und die Bereitschaft persönlich die Lernenden im Lernen zu unterstützen, ist grundlegend. Ich persönlich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass durch die Zuhilfenahme digitaler Lern- und Organisationswerkzeuge mehr Raum für Leidenschaft und Hilfsbereitschaft entsteht.

Die Schulen sind noch nicht gerüstet für die veränderten Technologien und Erwartungen als Folgen der digitalen Transformation.

Christof Glaus, Leiter Bereich Generative KI im Digital Learning Hub Sek II DLH

Müssen sich Lehrpersonen nebst pädagogischen Fragen auch vermehrt ethischen Fragen und Fragen des Datenschutzes zuwenden? Wenn ja, wird sich dies mit zunehmender Reproduzierbarkeit von bestehenden und künstlicher Schaffung von neuen Werken verstärken?

Glaus: Ich glaube nicht, dass sie sich grundsätzlich mehr mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen. Es waren schon immer wichtige Fragen, die leider bis jetzt in traditionellen Bildungsumgebungen eher ein Mauerblümchendasein fristen mussten. Ich sehe es als eine Chance, dass wir als Menschen durch die scheinbare Konkurrenz der Maschine im Bereich der Intelligenz wieder stärker ethische Fragen und Fragen des Persönlichkeitsschutzes diskutieren. Aus meiner Sicht wird sich die Dringlichkeit dieser Fragen auch in Zukunft nicht an sich verstärken, aber wir werden uns sicher stärker herausgefordert fühlen, diese Fragen zu beantworten.

Auf LinkedIn befassten Sie sich mit Programmen zum Klonen von Stimmen. Dazu schrieben Sie: mögliche Anwendungen wären das Vertonen von Textverständnistexten oder für die Stimme des eigenen Videoavatars. Ob das einen Effekt auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler haben könne, müssten Sie erst noch ausprobieren. Was für Effekte könnte denn das haben?

Glaus: Ein Effekt könnte sein, dass die Lernenden sich stärker von den Texten angesprochen fühlen, da diese mit der Stimme der eigenen Lehrperson vorgelesen werden. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass mit den Möglichkeiten der GenKI wie mit der Text-to-Speech-Funktion Lernräume bunter, emotionaler und persönlicher gestaltet werden können und die Lernenden dadurch motivierter lernen. Erste persönliche Erfahrungen stimmen mich positiv.

Auch negative Effekte aufs Lernen sind teils feststellbar. ChatGPT spiele dem Hirn einen Streich, weil es sowohl die Motivation als auch die Lernfähigkeit massiv reduziere, sagt Bildungsforscher Stefan Wolter dieser Zeitung. Wie können Lehrpersonen die Motivation hochhalten, gerade zu Beginn des Schreibenlernens weiterhin Texte zu schreiben und verstehen zu wollen, wenn die KI das für uns übernimmt?

Glaus: Es gibt aber auch die Erkenntnis, dass die Lernenden sich gerade mit der GenKI als Lernassistentin genauso stark motivieren lassen weiterhin zu lesen und zu schreiben, wie im direkten Austausch mit der Lehrperson. Man bezeichnet diese Lernassistentinnen auch als Learning Companions. Sie helfen dabei, Lesen und Schreiben individuell zu vermitteln und vor allem zu üben. Die Kompetenzen des Lesens und des Schreibens bleiben essenziell für die breite Teilnahme an den sozialen Handlungen unserer Gesellschaft, gerade weil im Rahmen der digitalen Transformation die Komplexität zunimmt.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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