«Wir haben jetzt eine Lotterie-Mehrheit»

Nach den Wahlen ist vor den Wahlen: Interview mit den beiden kantonalzürcher Parteipräsidenten von SVP und FDP zu ihren Erwartungen im Wahlherbst, zur Schwächung der Klimaallianz im Kantonsrat und dem – immer wieder strapazierten – Teamwork zwischen den beiden bürgerlichen Parteien.

Bild Mark Gasser

FDP-Parteipräsident Boesch (l.) und SVP-Präsident Ledergerber.

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FDP-Parteipräsident Boesch (l.) und SVP-Präsident Ledergerber.

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FDP-Parteipräsident Boesch (l.) und SVP-Präsident Ledergerber.

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FDP-Parteipräsident Boesch (l.) und SVP-Präsident Ledergerber.

Die kantonalen Wahlen vom 12. Februar sind vorbei. Welche Bilanz ziehen Sie aus Sicht Ihrer Partei?

Hans-Jakob Boesch (FDP): Eine gewisse Ernüchterung ist schon da bei der FDP. Wir konnten zwar zusätzliche Wählerinnen und Wähler mobilisieren, legten aber beim Wähleranteil nur leicht zu und holten leider keine zusätzlichen Sitze. Die Umfragen hatten ein besseres Resultat verheissen, die Umfrageinstitute lagen aber mit ihren Prognosen völlig daneben. Positiv war für uns, dass wir die Grünliberalen auf Distanz halten konnten. Wir konnten von ihnen auch Stimmen zurückholen. Der Übertritt von Isabel Garcia in die FDP unterstreicht diesen Trend, den wir dank unserer klaren Positionierung auslösen konnten.

Domenik Ledergerber (SVP): Auch wir hatten uns, basierend auf Umfragen, mehr erhofft. Unser primäres Ziel war aber, den Turnaround zu schaffen – und das taten wir. Dennoch war nach Verlust von 9 Sitzen 2019 mit einem einzigen Sitzgewinn 2023 ernüchternd. Auch die bürgerliche Mehrheit haben wir verfehlt. Positiv zu erwähnen ist, dass wir in den Agglomerationen zulegen. Das heisst, dass wir nicht alles falsch machen. In den Städten schaffen wir das noch nicht, daran müssen wir arbeiten.

«In der letzten Legislatur hat sich wohl eine gewisse Resignation breitgemacht.»

Domenik Ledergerber, Präsident SVP Kanton Zürich

Wie sehen die nächsten vier Jahre unter der «Pattsituation» zwischen Klimaallianz und Bürgerlichen im Kantonsrat aus?

Boesch: Für mich ist weniger der Sitzgewinn zentral, sondern vielmehr die Symbolik dahinter. Der Übertritt zeigt, dass die GLP ganz klar eine linke Partei ist und dass liberal denkende Menschen dort keine Heimat mehr haben. Gleichzeitig beweist es, dass die FDP sich eine Glaubwürdigkeit in der liberalen Klima- und Umweltpolitik aufbauen konnte. Diesen erfolgreichen Weg müssen wir nun konsequent weiterverfolgen.

Können die bürgerlichen Parteien auf Ebene Kanton also auch aus Gewerbesicht mehr Durchschlagskraft entwickeln?

Ledergerber: Man merkt schon – etwa in den Beratungen – dass zumindest psychologisch eine Verschiebung hin zu einer bürgerlicheren Politik stattgefunden hat. Man kann in Verhandlungen dominanter auftreten, denn wenn FDP, SVP und Die Mitte zusammenhalten, haben wir eine «Lotterie-Mehrheit». Kompromisse werden wichtiger sein, somit auch Verhandlungstaktik. Aber wenn wir sichergehen wollten, bräuchten wir auch Stimmen von der GLP oder anderen Parteien. In Finanz- oder Bildungsfragen ist das wohl realistischer als in anderen Bereichen. Gerade in Verkehrsfragen – wie bei der Mobilitätsinitiative und beim Thema Flughafen und Pistenverlängerung – werden die Bürgerlichen gut zusammenarbeiten müssen.

Boesch: Da die Mehrheitsverhältnisse sehr knapp sind, werden beide Seiten gut daran tun, nicht zu überborden. In grossen Fragen wird es sich lohnen, wenn möglich satte Mehrheiten zu schaffen – ansonsten droht das Referendum. Schon in den letzten vier Jahren mussten viele Verhandlungen geführt werden, um Mehrheiten zu schaffen. So schafften wir es, trotz rot-grüner Mehrheit immer wieder, Teilerfolge zu erreichen wie etwa in der Finanzpolitik. Neu werden wir etwas mehr Gewicht in solchen Verhandlungen haben und so noch stärker bürgerliche, wirtschaftsfreundliche Themen und Entscheide herbeiführen können.

Wo wird es Niederlagen absetzen?

Ledergerber: Bei Themen, bei denen etwa Exponenten von Die Mitte die Gegenseite unterstützen – wie der Kantonalen Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen im Kanton Zürich», wo Gemeinden ein Vorkaufsrecht für Grundstücksverkäufe haben sollen. Auch in Energie- und Familienfragen sind wir nicht immer gleicher Meinung wie die FDP oder Die Mitte.

Wird die von Ihnen gelobte Zusammenarbeit im Kanton Zürich in einer gemeinsamen Listenverbindung für die Nationalratswahlen vom 22. Oktober münden?

Ledergerber: Die Zusammenarbeit gerade in der Finanzpolitik ist gut. Daher würde ich gern das Signal auch nach Bundesbern senden, dass die bürgerlichen Parteien vermehrt zusammenarbeiten sollten. Aber auch wenn wir eine Listenverbindung eingehen würden, wird es wieder Scharmützel geben – das gehört einfach dazu. Es gibt immer Fragen, bei denen wir uns unterschiedlich positionieren – sonst könnten wir ja gleich fusionieren.

Boesch: Auch ich wünschte mir auf Bundesebene eine bessere Zusammenarbeit, analog wie wir sie auf kantonaler Ebene haben. Der grosse Unterschied zur nationalen Ebene ist, dass die Fragen wie EU, Zuwanderung und Neutralität, bei denen FDP und SVP unterschiedlicher Meinung sind, auf kantonaler Ebene kaum ein Thema sind. Die Frage, ob es eine Zusammenarbeit bei Stände- und Nationalratswahlen gibt, müssen wir jetzt «ausjassen». Wir sind aber in Gesprächen, und für mich ist klar, dass es nur unter den drei bürgerlichen Parteien eine Listenverbindung geben kann. Linksgrün – und dazu zählt auch die GLP – ist für uns ausgeschlossen.

Der FDP-Sitz im Ständerat mit Regine Sauter als Neue ist nicht gesichert, und jetzt ist der Fall der Credit Suisse in aller Munde – dieser schade der FDP am meisten. Wird das kalter Kaffee sein bis zu den Wahlen?

Boesch: Das werden wir sehen, welches Thema dann dominiert. Am Schluss entscheiden die Stimmberechtigten in dem Moment, in dem sie die Wahlunterlagen erhalten. Und wir nehmen die Kandidatur von Regine Sauter sehr ernst. Wenn die Bürgerlichen zusammenhalten, werden wir den FDP-Sitz verteidigen können.

Ledergerber: Es kommt natürlich auch etwas drauf an, was Die Mitte tut: Wenn sie mit der GLP eine Listenverbindung eingeht, kann sich die Ausgangslage plötzlich ändern. Aber grundsätzlich bin ich Deiner Meinung: Eine Aktualität, ein Skandal kann alles wieder ändern kurz vor den Wahlen. Auch wenn die SVP nicht so stark im Fokus steht beim Fall der CS: Es ist wichtig, dass auch wir für den Finanzplatz Schweiz einstehen und uns gegenseitig den Rücken stärken.

A propos: Die SVP fordert in einem Vorstoss, dass bei systemrelevanten Unternehmen die Mehrheit des Verwaltungsrates und das Stimmrecht der Aktionäre in Schweizer Hand sein müssen.

Ledergerber: Die UBS hat es ja schon erhört mit der Ernennung von Sergio Ermotti zum CEO (lacht). Die Bevölkerung versteht oft nicht mehr, was solche Konzerne für unser Land tun. Und im Gegenzug verlieren jene Konzerne, welche nur noch in ausländischer Hand sind, den Bezug in und das Verständnis für unser Land. Die letzten Abstimmungen zu Wirtschaftsfragen konnten wir teilweise nur hauchdünn für uns entscheiden. Da ist es wichtig, dass wir geschlossen auftreten in solchen Fragen. Gerade dieser Vorschlag hat nichts zu tun mit Überregulierung. Er erlaubt ja auch ausländische Verwaltungsräte – und wir hatten diese Regelung bis 2007, sie wurde vom Bundesrat einfach klammheimlich aufgelöst.

«Am Schluss entscheidet die politische Grosswetterlage darüber, wie die Wahlen herauskommen. Auf der jeweiligen Welle kann man mehr oder weniger gut surfen.»

Hans-Jakob Boesch, Präsident FDP Kanton Zürich

Trotz bürgerlicher Mehrheit scheint der Regierungsrat den Kanton Zürich die letzten Jahre mehr verwaltet – und die Verwaltung vergrössert – zu haben als ihn wirtschaftsfreundlich zu gestalten. Wo bleibt der Einfluss der Parteien auf ihre Regierungsräte?

Boesch: Man darf nicht vergessen: In den letzten vier Jahren lag die Mehrheit im Parlament bei Rotgrün. So wurden gegen unseren Willen zusätzliche Aufgaben dem Staat übertragen. Der Regierung sind oft die Hände gebunden, sie müssen die von der Legislative auferlegten Aufgaben erfüllen. Aber wir sind auch nicht immer glücklich mit dem, was die Regierung beschliesst. So etwa beim überhöhten Teuerungsausgleich: Das war ein absolut schlechtes Signal für Unternehmen. Wichtig ist, den Staatshaushalt in den Griff zu bekommen und das Stellenwachstum zu bremsen.

Ledergerber: Das Parlament hat am Ende das Sagen. Aber ich bin einverstanden, dass wir unseren Regierungsräten vermehrt auf die Finger schauen und für gewisse Themen sensibilisieren müssen – auch im Wissen, dass sie nun auch ein erstarktes Parlament im Rücken haben. Da hat sich wohl auch eine gewisse Resignation breitgemacht in der letzten Legislatur.

Herr Ledergerber, hat der Spagat der SVP in der Corona-Politik bei den Wahlen geschadet? Ich spreche die extremen Positionen zwischen restriktiver Law-and-Order-Haltung bestimmter Exekutiven und den Forderungen nach Lockerungen der Basis an?

Ledergerber: Die Regierungsräte sind nah an der Verwaltung, haben mehr den Blick fürs Gesamte und Verantwortung in ihrem Departement für die Gesamtbevölkerung. Und die Partei kann da ausscheren und knallharte Interessenspolitik machen – da ist man dann halt mal nicht gleicher Meinung. Dass es zu Diskussionen kommt, ist gegen aussen schwer zu verkaufen. Aber es ist wichtig, dann auf die unterschiedlichen Rollen hinzuweisen.

Wie bereiten Sie sich auf die nationalen Wahlen im Herbst vor?

Boesch: Wir stimmen uns eng ab mit der FDP Schweiz und versuchen uns dort zu verbessern, wo wir Fehler und Schwachstellen in den vergangenen Wahlen identifiziert haben.
Ledergerber: Die Rollenverteilung ändert sich bei nationalen Wahlen: Während wir für die kantonalen Wahlen den Wahlkampf mit den Bezirken koordinierten, tun wir das jetzt mit der Schweizerischen Partei. Wir werden uns auch hüten, den ganzen Laden auf den Kopf zu stellen. Thematisch sind unsere beiden Parteien gut vorbereitet. Aber die Ausgangslage ist für uns markant anders als vor vier Jahren: Damals, im Zuge der grünen Welle, fand intern ein Positionskampf statt, den wir hinter uns gebracht haben. So können wir ruhiger in die Wahlen gehen. Das Zauberwort ist Mobilisierung – jede Partei versucht, selber den Kniff herauszufinden.

Ihre Prognose für die Nationalratswahlen: Wie viele Sitze holt Ihre Partei im Kanton Zürich?

Ledergerber: Wir möchten wieder 12 Sitze – also die zwei 2019 verlorenen zurückgewinnen.
Boesch: Ich wage noch keine Prognose. Klar ist aber, dass wir zulegen und den Ständeratssitz verteidigen wollen.

Werden die Aufrechten auch wieder ein Störfaktor werden für die bürgerlichen Parteien?

Ledergerber: Auf jeden Fall. Die kleinste Partei hat nun etwas Morgenluft geschnuppert.
Boesch: Die Aufrechten haben aus dem Stand 2,15% der Stimmen geholt, aber aufgrund des Wahlsystems keinen Sitz erhalten. Bei den Nationalratswahlen gibt es diese Einschränkung nicht. Sie haben also durchaus Chancen auf einen Sitzgewinn, insbesondere wenn sie mit der EDU eine Listenverbindung eingehen sollten.

Können Sie neue Themen setzen im Hinblick auf die Wahlen?

Boesch: Klar versuchen wir, bestimmte Themen aufzugreifen. Am Schluss entscheidet die politische Grosswetterlage darüber, wie die Wahlen herauskommen. Auf der jeweiligen Welle kann man mehr oder weniger gut surfen.

Ledergerber: Man versucht immer, Themen zu setzen. Wenn wir aber vier Wochen vor den Wahlen einen CS-Skandal haben, müssen wir darauf reagieren, ob wir nun wollen oder nicht. Das zeigt: Parteien sind sehr stark von der allgemeinen Themenlage getrieben.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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