Weg mit der Hierarchie? Bloss nicht!
Klassische Hierarchien geraten unter Druck: In vielen KMU wandelt sich Führung von Kontrolle zu Kooperation. Besonders die Generation Z fordert flache Strukturen, Eigenverantwortung und Vertrauen statt starre Rangordnungen. Ganz ohne Hierarchie geht es aber nicht – gefragt ist eine neue Balance zwischen Stabilität und Selbstorganisation.
16. November 2025 Anna Birkenmeier
Vor allem die Generation Z hinterfragt klassische Hierarchien.
Früher bedeutete Führung vor allem: Anweisungen geben, kontrollieren, Ergebnisse prüfen. Heute bröckelt dieses starre Modell besonders in kleinen und mittleren Unternehmen. Entscheidungen werden zunehmend dezentral getroffen, Mitarbeitende organisieren sich selbst, Teams übernehmen Verantwortung. Die Zeiten des strikten «Chef-Seins» scheinen vorbei. Führung wird flexibler, situativer und orientiert sich stärker an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden.
«Gruppen brauchen Strukturen, um
Thomas Maran
Ziele effizient zu erreichen. Ohne Führung entstehen Konflikte, Stillstand
und Ressourcenverschwendung.»
Führungsforscher, Universität Zürich
Vor allem die Generation Z hinterfragt klassische Hierarchien. Laut einer Studie des Zürcher Personalberatungsunternehmens Robert Walters bevorzugen 65 Prozent der Befragten teambasierte Strukturen – nur fünf Prozent setzen auf traditionelle Rangordnungen.
«Die Generation Z schätzt Autonomie und flache Organisationsformen», sagt Christian Atkinson, Country Director bei Robert Walters Schweiz. «Das bedeutet aber nicht, dass Manager überflüssig werden – ihre Rolle verschiebt sich von Kontrolle hin zu Förderung.» Dieser Wunsch nach flacheren Strukturen ist Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels in der Arbeitswelt. Digitalisierung, Spezialisierung und immer schnellere Abläufe erfordern Eigenverantwortung und Flexibilität. Gleichzeitig wird die Welt komplexer – in der sogenannten BANI-Welt, geprägt von Brüchigkeit, Angst, Nichtlinearität und Unverständlichkeit. In einem solchen Umfeld stossen starre Hierarchien schnell an ihre Grenzen.
Warum Hierarchien wichtig sind
Ganz ohne Hierarchien funktioniert aber kaum ein Unternehmen. «Hierarchien sind nicht per se schlecht», erklärt Leadership-Beraterin Sibyl Schädeli. «Sie geben Orientierung und Stabilität.» Gefährlich werde es erst, wenn sie mit dominanter, kontrollierender Führung kombiniert werden. «Dann hemmen sie Innovation, bremsen Entscheidungen und machen Organisationen unbeweglich.» Auch Führungsforscher Thomas Maran von der Universität Zürich warnt: «Wer glaubt, Unternehmen könnten ohne klare Hierarchien funktionieren, irrt. Hierarchien lösen ein uraltes Problem – Koordination. Gruppen brauchen Strukturen, um Ziele effizient zu erreichen. Ohne Führung entstehen Konflikte, Stillstand und Ressourcenverschwendung.» Die Kunst liegt also nicht im Abschaffen, sondern im intelligenten Gestalten von Hierarchien.
Flache Strukturen – möglich, aber abhängig von der Grösse
Wie stark Hierarchien wirken und wie flach sie sein können, hängt auch von der Unternehmensgrösse ab. In Grossunternehmen mit mehreren hundert oder tausend Mitarbeitenden sind Hierarchien meist unverzichtbar. Sie sorgen für klare Verantwortlichkeiten, Transparenz und nachvollziehbare Kommunikationswege. Kleine und mittlere Unternehmen dagegen haben oft bessere Chancen, flache Strukturen umzusetzen. «Mittlere und grosse Unternehmen gleichen einem Tanker auf hoher See: stabil, sicher, verlässlich – aber wenig wendig», erklärt Sibyl Schädeli.
«Flache Hierarchien entstehen nicht,
Sibyl Schädeli
wenn man einfach Führungsebenen
streicht – das erzeugt nur Unsicherheit und Machtspiele.»
Leadership-Beraterin
In Zeiten, die schnelle Anpassung erfordern, könne das zum Nachteil werden. Selbst kleine Unternehmen mit starren Hierarchien blockieren oft den Zugang zum Wissen und zur Innovationskraft ihrer Mitarbeitenden – vor allem der jüngeren. Wenn diese nicht einbezogen werden, verlieren sie den Mut, eigene Perspektiven einzubringen, passen sich zu stark an und werden betriebsblind – genau die Dynamik, die Unternehmen heute brauchen, geht so verloren.
Wie flache Hierarchien funktionieren können
Wie aber können flache Hirarchien gelingen? «Flache Hierarchien entstehen nicht, wenn man einfach Führungsebenen streicht – das erzeugt nur Unsicherheit und Machtspiele», betont Schädeli. Entscheidend sei eine parallele Entwicklung von Kultur und Führung: Führungspersonen müssen lernen, Kritik anzunehmen, Verantwortung zu teilen und nicht immer alles zu bestimmen. Nur so entstehen Vertrauen und Innovationskraft. «Flache Organisationen brauchen klare Prozesse, faire Aushandlungen und respektvolle Kommunikation besonders gegenüber einer Generation, die engagiert ist, aber hierarchisches Denken ablehnt», weiss Sibyl Schädeli.
Holokratie – Führung ohne Chefetagen
Ein Konzept, das diese Idee konsequent weiterdenkt, ist die Holokratie. Sie will klassische Hierarchien weitgehend abschaffen und Verantwortung auf alle Schultern verteilen. Statt weniger Führungskräfte an der Spitze sollen alle Mitarbeitenden in Entscheidungen eingebunden werden – mit klar definierten Rollen und Zuständigkeiten. Entwickelt wurde das Modell 2007 vom US-Unternehmer Brian Robertson, inspiriert von agilen Methoden wie Scrum und Kanban. Kreise ersetzen Abteilungen, Entscheidungen werden integrativ getroffen, Prozesse bleiben flexibel.Holokratie verspricht schnellere Entscheidungen, höhere Agilität und transparente Abläufe. Bisher umgesetzt wurde das Modell vor allem in Start-ups und NGOs – etwa bei Blinkist, Soulbottles oder dem World Wildlife Fund.
Fazit: Zwischen Stabilität und Eigeninitiative
Hierarchien sind kein Relikt vergangener Zeiten – sie bilden nach wie vor das Rückgrat erfolgreicher Unternehmen. Sie schaffen Orientierung, sorgen für klare Verantwortlichkeiten und geben Sicherheit. Gleichzeitig darf Führung nicht zu eng greifen: Flache Strukturen eröffnen Raum für Eigeninitiative, Motivation und kreative Ideen. Wer beides klug miteinander verbindet, schafft ein Unternehmen, das stabil bleibt und gleichzeitig flexibel agieren kann.
Für kleine und mittlere Unternehmen ist das ein besonderer Vorteil: Sie bleiben beweglich, experimentierfreudig und können schnelle Entscheidungen treffen – ohne den Halt zu verlieren, den klare Strukturen bieten.
Anna Birkenmeier
Redaktion Zürcher Wirtschaft
Info
Generation Z: Führungsposition? Nein danke...
Die junge Generation bringt noch eine weitere Veränderung mit: Viele wollen gar keine klassische Führungsposition mehr übernehmen. Laut Robert Walters bevorzugen 74 Prozent der Befragten Autonomie gegenüber Managementpflichten, 42 Prozent lehnen mittlere Führungsrollen ab. Auch eine Deloitte-Studie von 2024 bestätigt diesen Trend. Für die Schweizer Generation Z und die Millennials zählen nicht mehr nur Gehalt und Titel, sondern vor allem WorkLife-Balance (26 %), Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten (19%) und Sinnhaftigkeit (17 %). Ein hohes Gehalt landet mit 13 Prozent erst auf Platz zehn. «Junge Menschen suchen nach mehr als finanzieller Sicherheit», fasst es Michael Grampp von Deloitte zusammen. «Sie wollen berufliche Erfüllung, persönliche Entwicklung und eine Kultur, die Vertrauen und Transparenz lebt. Flache Hierarchien unterstützen diese Erwartungen optimal.»
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