«Normungsprozess ist demokratisch»
Urs Fischer hat ein Vierteljahrhundert die Normung in der Schweiz mitgeprägt und eine wichtige Rolle in der internationalen Normungsarbeit gespielt. Dank seiner intensiven Netzwerk-Tätigkeit sind Schweizer Expertinnen und Experten in Normenkomitees häufig vertreten und gern gesehen. Ende April ist er in Pension gegangen.
27. August 2025
Von 2001 bis 2016 war Urs Fischer stv. Geschäftsführer und Leiter Normung und internationale Beziehungen bei der SNV, von 2017 bis April 2025 ihr CEO.
Interview von Susanne Brenner*
Womit würden Sie Ihre Reise bei der Schweizerischen Normen-Vereinigung (SNV), beginnend mit dem ersten Tag bis heute, vergleichen?
Urs Fischer: Am ehesten mit einer weltweiten Interrail-Reise. Diese war ausserordentlich vielfältig, reichhaltig und blumig – und insgesamt sehr spannend. In den 25 Jahren erlebte ich zudem eine Art Zeitreise durch die technische Entwicklung. Aber es war auch eine Reise, die mir die Chance gegeben hat, viele unterschiedliche Kulturen kennenzulernen, unglaubliche Geschichten zu hören und zu erleben. Das Einzigartige an dieser Aufgabe war, dass ich so vielen Menschen begegnen durfte, aus heute 173 Mitgliedsländern.
Was waren die bedeutendsten Meilensteine während Ihrer Amtszeit?
Fischer: Ein wichtiger inhaltlicher Meilenstein war die Erweiterung des Normenverständnisses. Früher waren Normen reine Industrienormen; da ging es hauptsächlich um Schrauben, Masse oder Materialien. Im Jahr 1985 wurde die Debatte darüber geführt, ob geschäfts- und gesellschaftsrelevante Themen in die Normungsarbeit aufgenommen werden sollen. Damit begann die Diskussion um die Einführung von Management Standards. Ob sogar Themen der gesellschaftlichen Verantwortung (Corporate Social Responsibility – CSR) in die Normung einfliessen sollen, wurde 2004 auf der Konferenz der International Organization for Standardization (ISO) lebhaft behandelt. Wir waren von Anfang an für diese Erweiterungen, doch wurden sie anfänglich international nur zögerlich begrüsst. Heute sind sie etabliert und für die nachhaltige Entwicklung sehr wichtig. In den vergangenen 25 Jahren hat sich zudem geändert, wie wir die Normen zur Verfügung stellen: Anfangs mussten die umfangreichen gedruckten Normenbeschreibungen per Post verschickt werden. Heute arbeiten wir mit einer Plattform, über die gewünschte Normen abonniert und das eigene Normenportfolio selbst verwaltet werden kann – vergleichbar mit Spotify für die Musik.
Können Sie ein Projekt oder eine Initiative nennen, auf die Sie besonders stolz sind?
Fischer: Stolz bin ich, dass wir als kleine Organisation im Bereich der Normung zu den ersten gehörten, die eine digitale Plattform geschaffen haben, über die sich Expertinnen und Experten austauschen können. Wir erkannten darin früh eine Chance und haben ein System entwickelt, das ab 2004 für die Arbeit in Komitees genutzt werden konnte – also schon lange vor der Covid-Pandemie. Da wir digital gut aufgestellt waren, konnten wir international mithalten.
Wie hat sich die SNV unter Ihrer Führung weiterentwickelt?
Fischer: Heute ist die SNV international eine gern gesehene Partnerin. Wir sind präsent, unser Netzwerk ist gut etabliert. Dies weil wir aktiv sind, unsere Expertinnen und Experten über weltweite Entwicklungen informieren und sie sich entsprechend einbringen können. Schweizer Fachpersonen werden sehr geschätzt, auch weil sie europäische Sichtweisen vertreten, aber keine EU-Vertretende sind. Eine weitere Entwicklung betrifft die bereits erwähnten Veränderungen aufgrund der digitalen Transformation. Zu meinen Anfangszeiten dauerte es drei bis fünf Monate, bis eine neue oder eine überarbeitete Norm bei den Bestellenden ankam. Heute sind diese in spätestens drei Wochen nach der Erstveröffentlichung verfügbar. Ein weiterer Fortschritt ist, dass heute rund 90 Prozent der in der Schweiz verwendeten Normen international gelten. Damit konnten Handelshemmnisse abgebaut werden. Lediglich im Baubereich sind noch rund 50 Prozent der Normen national.
Was bereitete Ihnen als CEO am meisten Freude?
Fischer: Kurz gesagt, die Vielfalt der Themen, der Beitrag zum Guten und die Mediationsarbeit: Menschen sitzen zusammen am gleichen Tisch mit unterschiedlichen Interessen. Es braucht einen Findungsprozess. Erst dann ist eine Lösung gefunden, wenn alle damit leben können – vielleicht auch mal zähneknirschend. Der Normungsprozess ist ein demokratischer, wenn nicht gar «der» demokratischste Prozess und wir können mit unserer Organisation einen aktiven Beitrag leisten.
Wie sehen Sie die Zukunft der SNV und die Rolle von Normen in der globalisierten Wirtschaft?
Fischer: Wir stehen heute vor dem nächsten Paradigmenwechsel. Die digitale Transformation geht weiter. Wissen und Erfahrungen bestimmen den Inhalt der Norm. Zukünftig werden diese Informationen als Daten im Zentrum stehen. Maschinen werden Normen lesen und interpretieren. Somit müssen Normen maschinenlesbar werden, damit Systeme sie direkt verarbeiten können. Diese Veränderung wird Anpassungen der Geschäftsmodelle, auch jenes der SNV, erfordern.
*Susanne Brenner hat das Interview im Auftrag der Schweizerischen NormenVereinigung SNV geführt.
Info
Über die SNV
Die Schweizerische NormenVereinigung (SNV) ist das nationale Kompetenzzentrum und die Anlaufstelle für Fragen zur Normung. Sie vertritt die Schweizer Interessen in der europäischen und internationalen Normung und verbindet Normungsexperten mit Normenanwendern – zum Nutzen von Wirtschaft und Gesellschaft. Normen vs. Gesetze: Die Anwendung von Normen ist freiwillig. Bindend werden Normen nur dann, wenn sie Gegenstand von Verträgen zwischen Parteien sind oder der Gesetzgeber ihre Einhaltung vorschreibt. Für Unternehmen kann aber auch ein faktischer Zwang zur Anwendung von Normen bestehen, wenn diese etwa in Einkaufsbedingungen festgeschrieben werden. So sind Schweizer Zulieferfirmen davon betroffen, wenn Sie in EU-Staaten exportieren und die Vertragspartner die Einhaltung von Europäischen Normen fordern.
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