Maybe-Days

Zum Einstieg ein Bewerbungsgespräch der neusten Art für eine Lehrstelle. Dieses Beispiel ist zwar stark vereinfacht, aber die Idee wird sicher allen sofort klar. Und ja, das ist tatsächlich passiert! Ein KMU-Chef begrüsst eine junge Dame, ich nenne sie nachstehend gerne Maybe. Nach dem üblichen Austausch über die Motivation steht plötzlich die Frage der Bewerberin im Raum, ob in dieser Firma denn auch sogenannte «Maybe-Days» in der Ausbildung angeboten werden.

Vielleicht habe ich keine Lust

Auf die verblüffte Frage des möglichen neuen Chefs, was denn damit gemeint sei, kam eine wirklich erstaunliche Antwort: «Das heisst: Vielleicht (Maybe…) komme ich zur Arbeit, aber vielleicht auch nicht. Es gibt ja bei uns allen immer wieder Tage, an denen man einfach total keine Lust zum Arbeiten hat. Dann ist man auch nicht produktiv, macht vielleicht viel mehr Fehler und kommt mit schlechter Laune in die Firma. Das nützt doch niemandem, deshalb wären ein paar Maybe-Days pro Jahr für die schlimmsten Tage sicher sinnvoll.»

Gut, Maybe hat die Lehrstelle dann nicht ganz bekommen. Und der Chef hat die Situation auch ohne tiefere Spuren überstanden. Wir können uns nun über diese Geschichte lustig machen, über die Weltfremdheit der jungen Leute lästern, uns über diese Entwicklung aufregen. Ich möchte aber genauer auf den Übergang Schule-Arbeitswelt und auf unsere Rolle als Ausbildner und Menschen aus der Wirtschaft schauen. Dazu zuerst die wichtigste Aussage: Der allergrösste Teil unseres Berufsnachwuchses ist zuverlässig und leistungsbereit, höflich, freundlich und aufmerksam, garniert mit der einen oder anderen Macke, wie wir sie auch hatten und haben.

Kontakt zur Realität, für beide Seiten

Die jungen Menschen stecken aber in einem wirklich komplizierten Lebensabschnitt, in dem vieles sehr unsicher ist. Einige Beispiele: Beziehungsstress weil «Knapp-Nach-Pubertät», Loslösung von den Eltern, unsichere Weltlage mit Zukunfts-Respekt, Wechsel aus geschütztem Umfeld in die Berufswelt. Aber im Mittelpunkt steht nun eigentlich, einen neuen Beruf zu erlernen und sich mit den Regeln der Erwachsenen, der Welt der Wirtschaft und des Leistungsdrucks auseinander zu setzen. Das ist eine ziemlich grosse Herausforderung für die jungen Leute.

Nun aber die grosse Packung mit Watte hervorzuholen wäre grundfalsch. Damit die jungen Menschen ihren Weg gehen und ihren Platz in der Gesellschaft finden können, müssen sie bereits in der Ausbildung Leistung erbringen und die gesellschaftlichen Spielregeln einhalten und so schlussendlich in der Realität ankommen. Dazu brauchen sie uns, die wir sie auf ihrem Weg begleiten und unterstützen.

Um den Bogen zu schliessen: Maybe kommt aus einer geschützten Umgebung (Familie, Freunde usw.) und macht nur, was sie von ihrem Umfeld gelernt hat. Es war also für sie eine logische Frage, weil Jokertage in der Schule völlig unbestritten sind. Aber damit wir uns richtig verstehen: Das war kein Wunsch der Kids, das war eine Bestellung der Eltern.

Werner Scherrer

Präsident KMU- und Gewerbeverband Kanton Zürich KGV

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