Kantonsratspräsident Jürg Sulser: «Ich esse nur noch einmal am Tag»
Der höchste Zürcher ist ein Gewerbler, KGV-Ausschussmitglied und Milizpolitiker durch und durch: Doch seit Jürg Sulser (SVP) im Mai zum Kantonsratspräsidenten gewählt wurde, zeigt er als Sitzungsleiter auf dem «Bock» eine ganz neue staatsmännische Seite.
23. Januar 2025 Mark Gasser
Jürg Sulser in den Büros der Sulser Group in Otelfingen: Hier wuchs er als Unternehmer heran, hier fühlt er sich wohl.
Jürg Sulser im Sitzungszimmer der Sulser Group in Otelfingen: Hier werden strategische Entscheide getroffen fürs Unternehmen. Und die will er nicht missen – auch nicht als Kantonsratspräsident.
Auch jetzt, im Interview, spricht er manchmal Klartext. Doch im Parlament bleibt Unternehmer und SVP-Kantonsrat Jürg Sulser, im Korsett des Ratspräsidenten, seiner Rolle als Sitzungsleiter und Brückenbauer treu. Ein Korsett, das ihm immer besser passte, muss man dazu sagen. Nicht wegen der vielen Kilos, die er nebenher noch verlor.
Jürg Sulser beginnt um 4.15 Uhr seinen Arbeitstag, und oft ist er erst gegen Mitternacht wieder zu Hause. Eben ist vor dem Jahreswechsel die Budgetdebatte des Kantons zu Ende gegangen, für die sich der 63-Jährige 20 Stunden lang vorbereitet hatte. «Ich brauche wenig Schlaf, ausser am Wochenende. Es zehrt teilweise schon an den Kräften. Aber das ist aktuell der Arbeitsrhythmus.» Mit dem Kantonsratspräsidium, das er nun seit Mai 2024 und bis Ende April 2025 ein Jahr lang ausübt, hat er sogar 12 Kilo abgenommen. Dank seiner Disziplin oder der vielen Arbeit? «Wahrscheinlich beides», sagt Sulser mit Augenzwinkern. «Ich esse nur noch einmal am Tag.»
Die vielen Anlässe würden sonst ihren Tribut zollen. Rund 180 Anlässe werden es bis zum Ende seines Präsidialjahres gewesen sein, schätzt er. Aber auch Alkohol trinke er an diesen wenig. Im Sommer und Herbst war er auch viel mit dem Mountainbike unterwegs, nicht zuletzt, um Dampf abzulassen. Wenn sich der Kanton nur ein Beispiel an ihm nehmen würde! Der wird nämlich nicht schlanker, im Gegenteil.
Disziplin – die braucht er auch auf dem «Bock», wo er vor allem als Kopf der Geschäftsleitung für die Durchführung der Kantonsratssitzungen zuständig ist. «Seit ich Ratspräsident bin, musste ich mich etwas ändern. Ich bin jetzt Kantonsratspräsident für alle, Brückenbauer von links nach rechts.» Seine Ansichten als kantiger SVP-Finanzpolitiker und Präsident der Gewerbegruppe im Kantonsrat musste er etwas zurücknehmen. «Ich sagte stets, was ich dachte. Das kann ich nun viel weniger. Das war sicher ein Reifeprozess und es kostete etwas Überwindung, ein Geschäft zu begleiten, bei dem man gern selber ans Mikrofon treten würde und bei dem von links bis rechts nur noch Unsinn geredet wurde.» Vor allem sehe er sich als Repräsentant des wirtschaftsstärksten Kantons in der Schweiz. «Das ist eine grosse Ehre, kann aber auch eine Bürde sein.» Eine Bürde, die er sehr gern ausübe, auch nach acht Monaten. So vertritt er an inter- und überkantonalen Konferenzen, Anlässen und Podien den Kanton gegen aussen.
Tragischer Start
Denn Sulser ist bekannt dafür, seine Meinung zu äussern. Seine Stimme ist schon hörbar, bevor er den Raum betritt. Zum Unternehmer wurde Sulser aber unverhofft durch ein tragisches Ereignis. An seinem 21. Geburtstag kam er nach Hause, als er seinen Vater mit einem Herzinfarkt in der Küche vorfand. Zwei Stunden später war dieser tot. «Das hat mein ganzes Leben geprägt», erzählt der Logistikunternehmer. Seinem Vater versprach er am Sterbebett, das Geschäft weiterzuführen.
Und so baute Sohn Jürg aus der Sulser Transport über 43 Jahre mit seiner Frau Bea an der Seite Schritt für Schritt ein neues Kon-strukt auf, die Sulser Unternehmensgruppe. Zuerst mit der Sulser Logistik AG, danach kaufte er die Sulser Transport seiner Mutter ab und gründete 2004 die Swiss Logistics Academy AG. 2008 kam die Sulser Logistics Solutions AG hinzu und 2009 die Swiss ProWork AG. 2014 gründete er die Sulser Trading & Services AG. 2023 kam als siebte Firma die Top Paletten AG hinzu. Sulser spricht nicht gern über Zahlen. Aber mit rund 200 Mitarbeitenden hat sich die Belegschaft seit damals vervielfacht, der Umsatz ohnehin (siehe Box).
Steuerhölle Zürich
Daher stört ihn gerade als Unternehmer eines besonders: Zürich liegt bei den Unternehmenssteuern auf dem zweitletzten Platz. Um 1 Prozentpunkt auf 6 Prozent sollen diese nun gesenkt werden, die Linken haben aber bereits das Referendum angekündigt. «Ich bin froh, wenn ich in solchen Fragen dann nicht mehr neutral sein muss», sagt Sulser im Hinblick auf das zu Ende gehende Präsidialjahr. Zürich sei nicht nur die Milchkuh für die Schweiz. Der Stadt-Land-Graben im Kanton sei ausschlaggebend für die unternehmensfeindlichen Entscheide: «Gerade in der Stadt Zürich baut man lieber Strassen und Parkplätze ab, um noch einen neuen Veloweg mehr zu schaffen. Und das ist für den Kanton schlecht.» So sei Zürich nicht mehr der Massstab, sondern – und da richtet er sich auch an die Regierung – eine träge Verwalterin des Status quo. «Ein Innovationsschub würde dem Kanton guttun.»
Trotz selbst auferlegtem Maulkorb: Das Amt als Präsident bringe ihm viel – nebst der Ehre, die nicht jedem im Kantonsrat zuteil werde, baue man ein grosses Netzwerk auf. Und seine Stimme ist trotz anderer Prioritäten auch in diesem Jahr zwar leiser, aber genauso wichtig: Weil das Links-rechts-Verhältnis so knapp ist, musste er immer wieder zum Stichentscheid greifen. Im Kantonsrat herrscht ein Patt mit je 90 Stimmen für die Bürgerlichen – wenn Sulser als Ratspräsident mitgezählt wird – und die Klimaallianz. Mehrmals überstimmte Letztere bei der Budgetdebatte die Bürgerlichen, auch wegen der «abtrünnigen» GLP. Diese zählt Sulser selber zu den Linken, auch wenn sie in finanzpolitischen Fragen meist mit den Bürgerlichen stimmt. Die Budgetdebatte illustrierte die Pattsituation: Von 47 sogenannten KEF-Erklärungen zuhanden des Regierungsrats wurden 23 überwiesen und 23 nicht, eine wurde zurückgezogen.
Es tönt zwar blöd, aber ich bin nicht immer sehr glücklich, einen Stichentscheid fällen zu müssen
Jürg Sulser, Kantonsratspräsident (SVP)
Noch nie musste ein Ratspräsident im Präsidialjahr so viel Gebrauch vom Stichentscheid machen wie Sulser: bereits achtmal. «Es tönt zwar blöd, aber ich bin nicht immer sehr glücklich, einen Stichentscheid fällen zu müssen. Ich bin neutral und für alle da.» Seine Stichentscheide zogen stets böse Mails von Bürgern nach sich. Der Präsident auf dem Bock als Sündenbock.
Sulser ist aber nicht nachtragend. Gelassen reagiert er auch auf die notorischen Anspielungen auf seine Garderobe, denn er war bekannt für seine Kurzarmhemden. Diese Wohlfühlzone, so hatte er bei Amtsantritt angekündigt, werde er verlassen zugunsten von Langarm und Krawatte.
Es scheint, als habe auch hier Sulsers Disziplin den Freiheitsdrang in Schach gehalten. «Jeden Tag, für jede Sitzung und an jedem Anlass trage ich immer noch Langarmhemden. Mittlerweile habe ich nicht nur eins, sondern vier. Jene, die gegen mich wetteten, werden also verlieren», lacht er.
Ausgeartet ist die Debatte in seiner Amtszeit nie. Seine Ehefrau Bea erwähnte einst, er sei nicht der Geduldigste. Das tut aber den Sitzungen manchmal gut: «Ich finde, dass ich sehr effizient durch Sitzungen führe.» Viele Geschäfte hat er auch schon abgebaut oder Sitzungen abgesagt mangels Geschäften. Die Budgetdebatte sah acht Sitzungen vor, sie wurde in sechs bewältigt. «So habe ich Herrn (Regierungsrat) Stocker wieder 100 000 Franken gespart.»
«Ein Jahr, nicht länger»
Im Gegensatz zum Kantonsratsmandat, das ein 30-Prozent-Job sei, sei das Präsidium eher ein 50-Prozent-Mandat. Sulser führt daneben seine sieben Unternehmen. «Diesen Aufwand kann man trotz zunehmender Routine ein Jahr lang bewältigen, aber nicht länger. Sonst müsste ich im Geschäft runterfahren.»
Nach diesem «Highlight», der Budgetdebatte, für die ihn die Parlamentsdienste wie immer gut vorbereitet hätten, werde ihn in den nächsten vier Monaten nichts mehr erschüttern. Und manchmal geizt er auch jetzt nicht mit Direktheit. Am Ustertag meinte der Transportunternehmer sinngemäss: «Uster ist links, ich bin rechts. Uster fährt Velo, ich fahre LKW.» Als das Jugendparlament den Kantonsrat für eine Sitzung besuchte, sprach er statt 20 Minuten rund 45 Minuten. Einer fragte ihn danach, wo man lernen könne, so deutlich und laut zu sprechen. Seine Antwort: «Jeder, der an so einem Ort wie ich sitzt, ist ein Alphatier.» In den Funktionen, die damit einhergehen, wachse man, werde mit zunehmender Verantwortung sicherer. Aber von der Veranlagung her seien einige bevorteilt. Sulser gehört sicher dazu. Für alle hörbar meinte er denn auch, als zwei mit leitender Funktion im Jugendparlament zu spät kamen, dass das pünktliche Erscheinen «eine Wertschätzung gegenüber allen anderen im Parlament» sei.
Mehrmals schon hat Sulser für den Nationalrat kandidiert, zuletzt auf der Unternehmerliste – auf dieser allerdings ohne Wahlchance. Solche Ambitionen hat er nicht mehr. Nach dem Ratspräsidium werde er sein Kantonsratsmandat noch zu Ende bringen – und sich dann vorab für regionale Politik engagieren. «Fürs Gewerbe und Unternehmertum werde ich mich einsetzen, bis ich sterbe», versichert er. Ebenso will er weiterhin im eigenen Unternehmen wirken. «Und ich muss dann keine Rücksicht mehr nehmen, ich kann sagen, was ich will.» Und er kann dann wieder tragen, was er will.
Mark Gasser
Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft
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Aufbau und Ausrichtung der Sulser Group
Neben den drei ältesten Unternehmen, der Sulser Logistik AG, der Sulser Transport AG und der Sulser Logistics Solutions AG, umfasst die Sulser Group vier weitere Firmen. Im Bereich der Erwachsenenbildung werden in der 2004 gegründeten Swiss Logistics Academy AG jährlich an 5 Ausbildungszentren rund 15 000 Teilnehmer in Kursen im Bereich Lager/Logistik, Transport, Bau und Arbeitssicherheit ausgebildet. Die Aufträge kommen zu rund 60 Prozent aus der Wirtschaft und zu 40 Prozent von der öffentlichen Hand. «Wir bilden für 21 Kantone in der Schweiz Arbeitslose aus», so Sulser.
Weiter bietet die Sulser Unternehmensgruppe mit der Swiss ProWork AG ein Non-Profit-Programm für Jugendliche und junge arbeitslose Erwachsene an, die keine Lehrstelle finden, diese abgebrochen haben, oder für Flüchtlinge. Zugewiesen werden die Teilnehmenden meist von den Sozialämtern. Wer das Programm abschliesst, hat danach mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Lehrstelle. Von den letzten elf Teilnehmenden im elfmonatigen Programm wurden zehn an eine Lehre herangeführt. Aktuell werden 24 Jugendliche und junge Erwachsene ausgebildet. Meist finden sie Handwerkslehren, aber auch Aufnahme im Detailhandel oder in anderen Branchen. Das vielfältige Portfolio der Sulser Group runden die 2014 gegründete Handelsfirma Sulser Trading & Services AG sowie die 2023 gegründete Top Paletten AG mit Gebindehandel ab.
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Aufbau und Ausrichtung der Sulser Group
Neben den drei ältesten Unternehmen, der Sulser Logistik AG, der Sulser Transport AG und der Sulser Logistics Solutions AG, umfasst die Sulser Group vier weitere Firmen. Im Bereich der Erwachsenenbildung werden in der 2004 gegründeten Swiss Logistics Academy AG jährlich an 5 Ausbildungszentren rund 15 000 Teilnehmer in Kursen im Bereich Lager/Logistik, Transport, Bau und Arbeitssicherheit ausgebildet. Die Aufträge kommen zu rund 60 Prozent aus der Wirtschaft und zu 40 Prozent von der öffentlichen Hand. «Wir bilden für 21 Kantone in der Schweiz Arbeitslose aus», so Sulser.
Weiter bietet die Sulser Unternehmensgruppe mit der Swiss ProWork AG ein Non-Profit-Programm für Jugendliche und junge arbeitslose Erwachsene an, die keine Lehrstelle finden, diese abgebrochen haben, oder für Flüchtlinge. Zugewiesen werden die Teilnehmenden meist von den Sozialämtern. Wer das Programm abschliesst, hat danach mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Lehrstelle. Von den letzten elf Teilnehmenden im elfmonatigen Programm wurden zehn an eine Lehre herangeführt. Aktuell werden 24 Jugendliche und junge Erwachsene ausgebildet. Meist finden sie Handwerkslehren, aber auch Aufnahme im Detailhandel oder in anderen Branchen. Das vielfältige Portfolio der Sulser Group runden die 2014 gegründete Handelsfirma Sulser Trading & Services AG sowie die 2023 gegründete Top Paletten AG mit Gebindehandel ab.