Ich würde ja gern, aber… Warum Handyverbote frei machen
Freiheit erkennt man ganz einfach: Frei ist, wer auch anders kann. Zum Beispiel heute Abend ohne Handy. Singen. Lesen. Stammtisch. Reizt mich wohl nur, wenn ich schon auf den Geschmack am Singen, Lesen, Stammtisch gekommen bin. Und wie komme ich auf den Geschmack? Ich muss mich darauf eingelassen haben. Falls nicht, mach ich automatisch, was von selbst geht: Display wischen. Auch wenn ich danach frustriert schlafen gehe.
Weiss denn nicht jeder selbst, was ihm gut tut? Doch. Bloss tue ich nicht zwingend, was mir gut tut. „Ich würde ja gern, aber …“ Vernunft und Wille spielen Nebenrollen. In der Hauptrolle: Gewohnheiten. Unser Hirn hält sich an das, was es kennt. Das lässt uns (nicht nur am Handy) wie Angestellte unserer Routinen aussehen, selten wie deren Chefs. Also arbeitet Freiheit schlauerweise mit Routinen zusammen.
Wie ist das möglich? Lässt sich eingespieltes Verhalten umgewöhnen?
Gewohnheiten sind eine Art Trampelpfade im Gehirn, routinierte Reflexe, die uns bei täglichen Entscheiden das Nachdenken ersparen. Jedes Mal, wenn ich auf die gleiche Weise handle, vertieft sich die Erinnerungsspur. Im Laufe der Zeit wird fix abgespeichert, wie ich in bestimmten Situationen reagiere. Ein mentaler Energiesparmodus, gegen den alternative Varianten kaum einen Zug haben; anders als die Routine wollen sie umständlich gerechtfertigt werden.
Darum ist es ungeheuer anstrengend, uns etwas Neues anzugewöhnen. Selbst wenn wir das dringend wünschen. Wie beim Handygebrauch. Die meisten von uns möchten die Zeit lieber analog mit Freunden verbringen, ein Buch lesen, angeln gehen. So wie auch zwei Drittel weniger Fleisch essen wollen, anders reisen, überhaupt vieles im Leben umdrehen – theoretisch. In der Praxis hapert es. Von «verbaler Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre» spricht der Soziologe Ulrich Beck. Trotzdem sind wir nicht Gefangene unserer Routinen. Wir können uns bei unserem Treiben zusehen – und die Richtung ändern. Im Prinzip. Die besagten Erinnerungsspuren im Hirn sind eingespielt, nicht angeboren. Können folglich umprogrammiert werden. Bloss halt nicht durch vernünftige Einsicht und einmaligen Willensakt. Sondern? Durch tätige Wiederholung. Eine alte Gewohnheit zieht sich nur zurück, wenn wir sie mit einer neuen überschreiben.
Du bist überzeugt, es wäre für dich prima, du würdest weniger am Handy abhängen, dafür mehr joggen? Dann hilft einzig Joggen. Täglich. Über mindestens 66 Tage. Sagt die US-Psychologin Wendy Wood, eine Koryphäe der Verhaltensforschung. Sie hat experimentiert: Eine Gruppe von Leuten will gesünder essen, noch zwei Mal Fleisch wöchentlich? Kann gelingen, aber erst im dritten Monat, dank beharrlicher Gewöhnung, die Lust auf raffinierte Pasta muss die Gier auf Steak übertönen. Ziel ist der Tag 67, dann kann der Autopilot einschalten.
Will sagen: Nicht immer sind Verbote die Feinde der Freiheit. Manchmal gar deren ziemlich beste Freunde.
Ludwig Hasler
Philosoph, Physiker, Autor und Menschenkenner lhasler@duebinet.ch
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