Erschwerte Stellensuche ab 50

Im europäischen Vergleich erreicht die Schweiz bei der Erwerbsquote der über 50-Jährigen einen Spitzenwert. Sind sie aber auf Stellensuche, dann brauchen sie häufig länger für den Wiedereinstieg, müssen unter Umständen Einkommenseinbussen hinnehmen oder sie finden gar keine Stelle mehr.

Beim Blick auf die hiesige Erwerbsquote sieht es zunächst nicht schlecht aus für die Ü50 auf dem Arbeitsmarkt: Gemäss Bundesamt für Statistik (BfS) lag die Schweiz 2020 mit einer Erwerbsquote von rund 81 Prozent bei den 50- bis 64-Jährigen über dem europäischen Durschnitt (ca. 70 Prozent) und nach Schweden (86 Prozent) und Island (83 Prozent) gar auf dem dritten Platz.
Alles in Butter also beim seit einigen Jahren heiss debattierten Thema: «Ü50 auf dem Arbeitsmarkt»? «Nein», sagt Daniel Maerki, Leiter Region Zürich des Verbandes Avenir50plus. «Altersdiskriminierung findet weniger bei der Beschäftigung von älteren Arbeitnehmenden statt, sondern vor allem im Bereich der Rekrutierung». Hier gebe es eine wachsende Altersdiskriminierung, die ab 50 Jahren beginne und ab 55 Jahren stark ansteige: «In der Kategorie bis 55 Jahre gibt es noch Hoffnung auf eine Anstellung», so Maerki. «Bei den Ü55-Jährigen gibt es kaum mehr Chancen, die Ü60-Jährigen sind defacto chancenlos».

Hohe Arbeitsmangelquote
Laut Daniel Maerki landen in der Folge manche in der Sozialhilfe, andere erhalten eine IV-Rente, viele leben vom Partner, wiederum andere versuchen sich selbständig zu machen oder machen kleine Teilzeit- und oder Temporär Jobs. Die Meisten lebten aber von ihrem für die Altersvorsorge Erspartem.
Heidi Joos ist Geschäftsführerin von Avenir50plus Schweiz. Betreffend der gestiegenen Erwerbsquote weist sie darauf hin, dass diese «vor allem auf die Erhöhung des Frauenrentenalters anlässlich der letzten AHV-Revision zurückzuführen sei». Für die Beurteilung der Arbeitsmarktlage weit wichtiger sei indes die Arbeitsmangelquote. Diese erfasse sowohl die Ausgesteuerten als auch all diejenigen, die mehr arbeiten wollten, aber nicht könnten. «Gemäss den jüngsten Zahlen liegt die Arbeitsmangelquote für die Schweiz bei stolzen 12.4 Prozent und betroffen sind vor allem Frauen und Ältere», so Joos. Laut BfS lag die Arbeitsmangelquote 2019 in der Schweiz mit 11.6 Prozent über dem europäischen Durchschnitt (9.5 Prozent) und wies nach Frankreich (13.2 Prozent) und Italien (12.6 Prozent) den dritthöchsten Wert aus.

Weiterarbeiten mit 65
Das Fazit von Heidi Joos: «Wer im Alter nochmals Arbeit findet, der landet oft in prekären Arbeitsverhältnissen». Es gelte nun dagegen verschiedene Massnahmen zu treffen: unter anderem einen gesetzlichen Schutz vor Altersdiskriminierung oder Konzepte, wie sie der Norden gewählt habe – zum Beispiel Schweden mit einem «Recht auf Arbeit bis 67».

«Wer im Alter nochmals Arbeit findet, der landet oft in prekären Verhältnissen.»

Heidi Joos, Geschäftsführerin Avenir50plus


Für Simon Wey, Chefökonom beim Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV) und Geschäftsführer von focus50plus – einem Netzwerk von Arbeitgebenden unter dem Patronat des SAV –, zeigen die statistischen Fakten klar, dass ältere Arbeitnehmende zwar ein tieferes Risiko haben, erwerbslos zu werden. Im Falle einer Erwerbslosigkeit bräuchten sie jedoch länger, um den Wiedereinstieg zu schaffen. Wey sieht dabei im «starren und im internationalen Vergleich tiefen ordentlichen Pensionsalter hierzulande» ein «zentrales Hindernis». Dieses senke bei Arbeitgebern und -nehmern den Anreiz Weiterbildungen anzubieten oder diese in Kauf zu nehmen, weil beide Seiten wüssten, dass sich eine solche Investition aufgrund der noch verbleibenden Arbeitszeit kaum rentiere. «Abhilfe auf Arbeitgeber und -nehmendenseite könnten zusätzliche Anreize für eine Weiterarbeit über das Pensionsalter hinaus leisten», so Wey.

Ü50 Führungskräfte
Der zentrale Vorteil von Ü50 auf dem Arbeitsmarkt ist deren Erfahrung. Stellensuchende Führungskräfte über 50 Jahren kennen die Stellensuche vielfach auch von der anderen Seite des Tisches aus: als Stellenvergebende oder zumindest in den Stellenvergabeprozess Involvierte. Dies ist laut Simon Wey ein zentraler Wettbewerbsvorteil von arbeitsuchenden Ü50-Führungskräften auf dem Arbeitsmarkt. «Flexibilität dürfte von diesen Personen hingegen mit Blick auf die Kompensation gefragt sein», so Wey weiter. Denn: «Stellenverluste im höheren Alter gehen oft mit gewissen Einkommenseinsbussen einher».
Gemäss den Beobachtungen von Pascal-Laurent Favre, Präsident von ACF Switzerland, dem Schweizer Branchenverband für Outplacement, sind sich Stellensuchende Ü50 betreffend Lohnniveau allerdings «sehr oft bewusst, dass der aktuelle Arbeitsmarkt das Lohnniveau bestimmt und nicht die Vergangenheit». Dementsprechend seien sie auch flexibler und eher bereit, Kompromisse einzugehen als jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Als «zu teuer» können Ü50 auf dem Arbeitsmarkt auch in anderer Hinsicht beurteilt werden. «Der Trend ist leider dahingehend, dass man bei Älteren Defizite ortet», sagt dazu Heidi Joos von Avenir50plus. Diese könnten bei zu teuren Sozialnebenkosten liegen oder bei den geforderten Kompetenzen. «Der Trend zu flacheren Hierarchien erweist sich ebenfalls als nicht förderlich bei der Integration von Führungskräften», so Joos weiter.

Verunsichertes Kader
Auf Letzteres kommt auch Michael Weiss zu sprechen. Als Firmeninhaber von analystra.ch und Neuorientierung50Plus GmbH bietet er Arbeitgebern und -nehmern individuelle Coaching-Konzepte für berufliche Veränderungen und Change-Management an. «Die Arbeitswelt ist im Wandel», holt Weiss aus. «Selbständiges und eigenverantwortliches Arbeiten sowie neue Formen der Zusammenarbeit gewinnen zunehmend an Gewicht.» Etwas im Widerspruch dazu stünden die klassischen Hierarchie- und Arbeitsstrukturen, die er bei seiner Tätigkeit noch oft vorfinde. Wie schlank und dennoch effizient kann und soll eine Struktur sein? Was braucht es noch an Führung und vor allem welche Grundhaltung der Kaderleute? Laut Michael Weiss verunsicheren solche Fragen die Führungskräfteriege, die sich frage, ob sie noch gebraucht werde. «Mehr als 2/3 haben den Eindruck, für Führungsaufgaben nicht optimal ausgebildet zu sein. Nicht wenige möchten gar nicht mehr führen», so Coach Weiss. Dies gelte es ernst zu nehmen – mittels Inhouse Schulungen, aber auch durch Modelle, die es erlaubten Führungsaufgaben komplett abzugeben. «Denn besonders wenn eine berufliche Neuorientierung ansteht, darf auch ein zukünftiger Job ohne Personalverantwortung das Ziel sein – oder sogar das Zutrauen, ganz neue Wege anzugehen.»

Eher unter Druck
Auch Pascal-Laurent Favre von ACF Switzerland sieht für stellensuchende Ü50-Kaderleute eigentümliche Herausforderungen auf dem Stellenmarkt: «Gemäss unseren Beobachtungen haben es Führungskräfte nicht unbedingt leichter und fühlen sich vermutlich auch eher unter Druck, spüren Handlungsbedarf», so Favre. Zum Beispiel mit Blick auf die Leistungen der Arbeitslosenversicherung, die für höhere Löhne auf Grund des begrenzt versicherten Jahreslohns proportional weniger deckend ausfallen können.
Als zentrale Erfolgsfaktoren für Ü50 allgemein auf dem Stellenmarkt bezeichnet Favre unter anderem: Gute und aktuelle Qualifikationen, nachgefragte Berufsgattungen und eine glaubwürdige vorherige Karriere. «Eine mehrsprachige, diplomierte Finanzexpertin mit zeitgemässer Fortbildung steht mit besseren Chancen da, als ihr Kollege im gleichen Alter als IT-Architekt, der keine wesentliche Fortbildung und keine Fremdsprachen vorweisen kann sowie zahlreiche Stellen- und Firmenwechsel in den letzten fünf bis acht Jahren hinter sich hat».

Marcel Hegetschweiler

Fachjournalist Wirtschaft und Gesellschaft

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