Die Stopptaste, bitte! Wer braucht denn all die News?

Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer schalten bei Nachrichten ab: Überforderung, Ohnmacht und Informationsflut führen dazu, dass viele nur noch sporadisch oder gar nicht mehr folgen – ein Symptom unserer News-gesättigten Gesellschaft.

News-Abstinenz» heisst das jüngste Symptom unserer Ermüdungs-Gesellschaft. Die Hälfte der CH-Sippe verfolgt nie aktuelle Nachrichten. Ein Viertel gelegentlich via Social Media. Zehn Prozent verstehen keine Texte. Und das in einer direkten Demokratie. Wo wir alle das letzte Wort haben in allen wichtigen Belangen. Was ist los, wohin ist die Neugier des Publikums verschwunden? Eine plausible Erklärung mag sein, dass ein Teil des aktuellen Erkenntnishungers eher im Internet gestillt wird als in den traditionellen Medien.

Doch aus dem Alltag, aus Gesprächen mit Ärztinnen und KMU-Chefs drängt sich ein anderer Grund vor: Womöglich wird es manchen Leuten schlicht zuviel. Machen sie dicht, schalten sie ab, stöpseln sie sich aus – weil der Mensch für dieses News-Bombardement auf Dauer nicht geschaffen ist? Oder bombardieren uns Medien mit den «falschen» Nachrichten? Die meisten News sind aus dem Kontext herausgerissen. Ein Busunglück in Bangladesh, ein Stammeskrieg in Afrika, eine Scheidung in Hollywood. «Nachrichten aus Nirgendwo» nannte es Neil Postman, der Medienwissenschaftler.

Das «globale Dorf» als Fiktion

Das oft beschworene «globale Dorf» ist eine Fiktion, bevölkert von lauter Fremden, über die wir nur unbrauchbare Dinge erfahren. Ständig scheinen neue Infos uns zu Flucht oder Aktivität aufzufordern – aber es gibt fast nichts, was wir tun könnten, wenn in Jamaica ein Taifun wütet oder in Pakistan Terroristen erschossen werden. Die wenigsten News sind unmittelbar handlungsrelevant. Wir können nur darüber reden. Das weckt permanent Gefühle der Ohnmacht und des Überdrusses. Zudem führt gerade in Krisenzeiten die intensive Berichterstattung und Diskussion zu allgemeiner Verwirrung. Das Allensbacher Institut hat es erforscht: 75 Prozent fühlten sich durch das mediale Konzert zur Coronakrise überfordert. Im Falle der CH-EU-Verträge wohl nicht anders. Auch darum, weil Medien sich Mühe geben, alles kontradiktorisch zu behandeln, stets einen «Experten» fürs Gegenteil aufstöbern. Am Ende fühlt sich das Publikum – statt geklärt – von einem Bad ins andere geworfen. Ist es also ganz rational, dass das Bedürfnis sinkt, «immer auf dem Laufenden zu sein»? Dass bald die Mehrheit sich stärker auf Unterhaltung konzentriert – und auf Wissenswertes zu Beruf und Hobby? Ist das am Ende der kluge Selbstschutz eines Publikums, das seine Grenzen kennt?

Jede andere Branche ginge über die Bücher: Was brauchen unsere Kunden? Redaktionen scheinen das besser zu wissen. Liefern uns den täglichen Donald Trump, mit praktisch identischen Texten. Was fangen wir damit an? Wer am Bild des mündigen, wissbegierigen Bürgers
festhält, müsste sich gegen Dramatisierung und Ereignisflut stemmen. Müsste die Welt handhabbar machen für Menschen, die einem Beruf
nachgehen, Kinder erziehen, Rohrbrüche sanieren, Busse steuern. Diese Leute haben ein Recht, sich ein Zuhause zu wünschen. Und sich darin,
so gut es eben geht, eine Ordnung zu schaffen.

Ludwig Hasler

Philosoph, Physiker, Autor und Menschenkenner lhasler@duebinet.ch

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