«Man muss loslassen können»

Claude Arnold übergab sein Lebenswerk, das IT-KMU «tiag», an seinen Sohn Alain. Im Gespräch erzählen beide, wie die Übergabe schrittweise verlief, welche Herausforderungen die IT-Branche für die Nachfolge mit sich bringt und welche Tipps sie anderen Familienunternehmen geben.

Bild: kgv

Nach 25 Jahren übergab 2024 der Gründer, Claude Arnold (r.), die Firma Teleinformatik an seinen Sohn Alain.

Claude Arnold, Sie sagen: «Mein KMU an meinen Sohn zu übergeben war kein Problem – er kann es sowieso besser als ich.» Haben Sie tatsächlich nie gehadert?

Nein, überhaupt nicht. Alain kann es wirklich besser als ich – und das ist für mich ein Glücksfall. Er hat neuen Wind ins Unternehmen gebracht, neue Systeme eingeführt, vieles umgekrempelt, und ich konnte immer mehr loslassen. Alain ist wie ein Schnellzug – den konnte ich nicht aufhalten. (lacht)

Alain Arnold: Den CEO-Titel abzugeben, war für dich sicher nicht ganz einfach, oder?

Claude Arnold: Das stimmt, ein Stück weit schon; das Unternehmen ist mein Lebenswerk. Aber ich wusste auch immer, dass er das Unternehmen gut führen kann.

Claude, erzählen Sie doch einmal von den Anfängen Ihres Teleinformatik -Unternehmens.

Claude Arnold: 1999 ist unser KMU in einem kleinen Büro in Oerlikon entstanden. Wir waren zu Beginn nur drei Techniker und zwei, drei weitere Mitarbeiter, die geholfen haben. Wir haben viel im IT-Bereich und in der Telekommunikation gemacht – daher auch der Name «Teleinformatik». Heute passt der Name eher nicht mehr, wir sind nun mehrheitlich im IT-Business tätig.

Alain Arnold: Daher auch die Namensänderung zu tiag. Neben klassischer IT bieten wir heute auch Beratung in KI, Prozessanalyse und Digitalisierung an.

Alain, als Ihr Vater das Unternehmen gründete, waren Sie vier Jahre alt. Sie sind praktisch mit dem Unternehmen aufgewachsen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Alain Arnold: Ich bin hineingewachsen. Mein Vater hat mich schon früh ins Business einbezogen. Ich durfte kleine Aufgaben übernehmen, zum Beispiel Kartons rausbringen. Mit der Zeit kamen immer grössere Aufgaben dazu, Schritt für Schritt bin ich auf- und eingestiegen. Es war nie so, dass mein Vater plötzlich nicht mehr konnte und ich übernehmen musste – es war ein gemeinsamer Prozess; das hat die Übergabe sich leichter gemacht.

Claude Arnold: Die IT-Branche ist extrem schnellebig. Man muss ständig auf dem neuesten Stand sein, damit man den Anschluss nicht verliert. Wie bei einem Piloten, der mit Mitte 50 zum «alten Eisen» gehört, merkte auch ich, dass der Moment gekommen war, meinen Platz im Cockpit zu räumen und jemanden ans Steuer zu lassen, der mit frischer Energie und neuen Ideen weiterfliegt.

Alain Arnold: In manchen Berufen, zum Beispiel bei Anwälten, zählt Erfahrung und Seniorität sehr stark. Nicht so in der IT. Hier zählen Dynamik und junge Ideen. Für meinen Vater war es so einfacher, loszulassen.

Claude Arnold: Trotzdem sprechen wir uns bei Kunden oft ab – manchmal gehe ich noch mit, vor allem bei Kunden, die eher in meinem Alter sind.

Alain, haben Sie sich nie überlegt, einen anderen Weg einzuschlagen?

Alain Arnold: Ja, natürlich habe ich mir auch Gedanken um andere Berufsperspektiven gemacht. Ein ETH Studium oder eine Pilotenausbildung hätten mich gereizt. Ich wusste ja anfänglich auch gar nicht, ob mir der Job hier im Unternehmen liegt.

Dennoch haben Sie sich dann für eine IT-Lehre im Unternehmen Ihres Vaters entschieden. Haben Sie doch eine gewisse Verpflichtung, einen Druck verspürt?

Alain Arnold: Ein Stück weit schon. Aber ein gewisser Druck gehört zum Leben. Wir hatten einmal Probleme in einer Abteilung, da musste ich übernehmen. Für mich war klar: Ich lasse meinen Vater nicht im Stich. Zugleich hat mein Vater aber auch Verständnis gezeigt, dass ich noch andere Ideen hatte –  die ich dann auch im Unternehmen umsetzen durfte.

Nach der Lehre gab es keinen festen Nachfolgeplan wie «In fünf Jahren übernimmst du die Geschäftsleitung». Es hat sich schrittweise entwickelt: Ich durfte mehr Verantwortung übernehmen, beweisen, dass ich es kann, und so hat sich alles automatisch eingespielt.

Claude, wie war für Sie der Prozess des Loslassens?

Claude Arnold: Es war schon eine Umstellung. Ich beschäftige mich gerne und muss mich herausfordern – deshalb habe ich angefangen, Schach zu spielen, um meinen Kopf zu trainieren. Wenn mich das Unternehmen braucht, bin ich immer noch gerne dabei – sei es in Technik, Verkauf oder Beratung. Ich bin noch zu 30–50 Prozent im Unternehmen involviert.

Vor zwei Jahren sind Sie in neue, grosszügige Büros gezogen. War das Ihre Idee oder Alains?

Claude Arnold (lacht): Ehrlich gesagt, musste mich Alain schon etwas überreden. Ich habe mich in den alten, etwas beengten Räumlichkeiten wohlgefühlt. Aber wir sind stark gewachsen und haben inzwischen 40 Mitarbeiter.

Alain Arnold: Es war definitiv zu eng geworden, vor allem für unsere Mitarbeiter.

Stichwort Mitarbeitende: Wie schwierig ist es heute, passende Leute zu finden?

Claude Arnold: Es ist tatsächlich anspruchsvoll, gute Mitarbeitende zu finden, die diesen Job wirklich machen wollen. Unsere Leute sind oft allein bei den Kunden unterwegs. Sie müssen zuverlässig auftreten, sozial kompetent sein und eine gewisse Grundmotivation mitbringen. Und ja, ich habe schon das Gefühl, dass es in der jüngeren Generation häufiger an diesem Durchhaltewillen fehlt. Viele möchten pünktlich um fünf Uhr gehen – was ich irgendwo verstehen kann, aber der Job funktioniert nun mal nicht immer so.

Alain Arnold: Ich finde, wir müssen unsere Mitarbeitenden ernst nehmen und auf sie eingehen – aber wir dürfen nicht alles akzeptieren. Wir müssen den Takt vorgeben. Wenn mir ein junger Mitarbeiter sagt: «Heute ist es halt so», dann sage ich klar: So funktioniert das bei uns nicht. Gleichzeitig muss man extrem darauf achten, wie man Dinge formuliert. Das ist manchmal eine Gratwanderung. Aber dadurch, dass ich vom Alter her näher an dieser Generation bin, klappt das meistens ganz gut.

Claude Arnold: Ich habe für solche Diskussionen ehrlich gesagt weniger Geduld. Alain macht das hervorragend.

Nochmals zurück zur Nachfolgeregelung: Gab es Spannungen oder besonders prägende Momente?

Alain Arnold: Ein spannender Moment war sicherlich die externe Kommunikation der Nachfolge. Wir haben es eher schleichend gemacht – auf einmal war ich im Zentrum der Aufmerksamkeit, und die Leute suchten nach Fehlern, schliesslich bin ich ja der Sohn. Innerhalb der Familie gab es jedoch keine Spannungen. Mein Bruder hatte ohnehin nie Interesse an Technik; er ist im Immobilienbereich tätig. Das hat die Übergabe sicherlich erleichtert.

Claude Arnold: Man merkt halt irgendwann, dass man wirklich abgeben muss. Ich bin stolz darauf, dass mein Sohn übernehmen konnte und die Fähigkeiten dazu hat. Ich habe Alain ein grosses Aktienpaket verkauft.

Damit es auch innerhalb der Familie finanziell klar geregelt war?

Claude Arnold: Ja, genau. Alain hat mir die Firma mit einer Bankfinanzierung abgekauft. Für uns beide war das eine gute Lösung. Ich habe damit einen fairen Gegenwert für all die Jahre bekommen, in denen ich das Unternehmen aufgebaut habe. Die ersten fünfzehn Jahre waren nicht einfach – Rechnungen über tausend Franken waren damals schon ein Schlag. Dann kam die Wende, und erst in den letzten zehn Jahren blieb am Jahresende wirklich etwas in der Kasse. Jetzt läuft es, und es geht vorwärts.

Alain Arnold: Ein wichtiger Grund für diese Finanzierungsform war auch, dass ich noch einen Bruder und eine Stiefmutter habe. Erbschaft – das ist immer ein sensibles Thema. Mit dem Kauf bin ich abgesichert, und es ist für alle klar geregelt. Wir haben das Unternehmen von einem Treuhänder bewerten lassen und ich konnte es über die ZKB finanzieren. So konnten wir sagen: Mein Vater hat seine Schäfchen im Trockenen – und gleichzeitig hatten wir eine professionelle, transparente Lösung.

Claude Arnold: Ich halte noch eine Minderheit der Aktien. Und unser IT-Leiter, der seit 18 Jahren dabei ist, besitzt ebenfalls ein kleines Paket. Aber ich habe wirklich losgelassen.

Viele KMU scheitern an der Nachfolgeregelung. Was sind Ihre wichtigsten Tipps?

Claude Arnold: Man sollte früh beginnen – wirklich früh. Eine Nachfolge ist kein Ereignis, sondern ein Prozess. Wichtig ist auch, dass man den Nachfolger schrittweise befähigt und nicht einfach ins kalte Wasser wirft. Und vor allem: Man muss als Unternehmer loslassen können. Das ist vielleicht der schwierigste Teil.

Alain Arnold: Transparenz ist zentral – innerhalb der Familie, gegenüber den Mitarbeitenden und gegenüber der Bank. Zudem würde ich jeder Unternehmerfamilie raten, externe Fachleute beizuziehen: Treuhänder, Juristen oder Berater können helfen, Emotionen aus dem Prozess zu nehmen und faire Lösungen zu finden. Und noch etwas: Der Nachfolger muss wirklich wollen. Ohne intrinsische Motivation funktioniert es nicht.

Anna Birkenmeier

Redaktion Zürcher Wirtschaft

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