Berufsmesse: Nicht mehr wegzudenken von der Berufswahl
Die Berufsmesse Zürich feierte ihre 20. Ausgabe und zeigte eindrücklich, wie relevant die berufliche Orientierung auch zwei Jahrzehnte nach der Premiere geblieben ist.
16. Dezember 2025 Mark Gasser
Auch für die Kaminfeger ist 3D kein Fremdwort.
Viele junge Menschen wissen nicht, wofür ihr Herz schlägt, aber es gibt Methoden, um das herauszufinden. Eine davon ist die Berufsmesse Zürich: Erleben, Anpacken, Mitmachen stehen hier im Zentrum. Die Jubiläumsausgabe vom 18. bis 22. November 2025 nutzten insgesamt 61 628 Jugendliche, Eltern, Lehrpersonen und Fachpersonen, um die Vielfalt der Schweizer Berufsbildung live zu erleben. Unter ihnen befanden sich 25 720 Oberstufenschülerinnen und -schüler, die im Klassenverbund die unterschiedlichen Berufs- und Ausbildungswelten erkundeten. Seit der ersten Ausgabe im Jahr 2005 haben sich damit die Besucherzahlen rund verdoppelt. «Beeindruckende Zahlen, vor allem wenn man bedenkt, dass heute vieles digital läuft», so Bildungsdirektorin Silvia Steiner bei der Eröffnung. Der Hauptgrund, warum immer noch so viele kämen: Die Berufsmesse mache Berufe erlebbar – über 240 Berufslehren stehen zur Auswahl. 2005 präsentierten sich knapp 40 Unternehmen, heute sind es über 100. Der KGV habe somit einen Ort geschaffen, «der Berufswünsche wahr werden lässt». Die hohe Resonanz zeigt, wie wichtig es Jugendlichen und Eltern ist, Berufe nicht nur theoretisch kennenzulernen, sondern im direkten Gespräch mit Lernenden und Fachleuten herauszufinden, welcher Weg zu ihnen passt.
Die Jubiläumsausgabe stand klar im Zeichen von Zukunftskompetenzen, Digitalisierung und praxisnaher Berufsorientierung. Gleichzeitig zeigt sich, dass Soft Skills und praktische Kompetenzen in der Arbeitswelt weiter an Gewicht gewinnen. Weil die digitale Transformation Berufsbilder immer schneller verändert, sind realistische Einblicke umso wichtiger. An der Berufsmesse Zürich erhalten Jugendliche diese unmittelbar vor Ort.
Eröffnungsfeier setzt Akzente
Zum Auftakt der Jubiläumsausgabe beleuchteten Bildungsdirektorin Silvia Steiner und Prof. Dr. Ursula Renold (ETH Zürich) in ihren Referaten zentrale Entwicklungen der Berufsbildung sowie deren Bedeutung in einer zunehmend digitalen Arbeitswelt.
Die Eröffnung stand ganz im Zeichen von Vergangenheit (der Berufsmesse) und Zukunft (der Berufe und des Berufsbildungssystems). Im Oktober 2005 fand die erste Berufsmesse statt. Sie entstand aus einer Sonderaustellung der bekannten Züspa. «Mein Vater, ein Kleingewerbler, stellte da jedes Jahr aus», sagte Bildungsdirektorin Steiner. Doch Kinder und Jugendliche gingen vor allem hin, um Kleber zu sammeln. «Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den präsentierten Berufen fand damals nicht statt», erinnert sie sich.
Das wollten der KGV und die Berufsbildungskommission ändern. Mit im Boot waren damals die Bildungsdirektion, die Zürcher Kantonalbank und das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Es war der Anfang einer Erfolgsgeschichte.
Gastrednerin war die Bildungsforscherin Prof. Dr. Ursula Renold, Professorin für Bildungssysteme an der ETH Zürich. Ihren Vergleich mit Bildungssystemen weltweit fasste sie zusammen unter dem Titel mit Verweis auf eine US-Studie: «Warum setzt die Berufsbildung Schweiz weltweit den Gold Standard?» Ihre Kurzversion als Einleitung: Seit sie 30 Länder von innen kennengelernt habe, könne sie mit Sicherheit sagen, dass es kein besseres System gebe als das duale Berufsbildungssystem nach Schweizer Zuschnitt.
Gerade die Durchlässigkeit mache es weltweit einzigartig, indem das Bildungssystem viele Optionen für alle ermögliche – im Gegensatz zu rein schulischen, universitären Systemen. Das amerikanische etwa habe keine Berufsbildung in unserem Sinne – und vor allem keine Durchlässigkeit. Deshalb war auch eine Delegation des Bundesstaats Indiana vor Ort, um Inspiration für den Pilot einer Berufsmesse und das duale Bildungssystem zu holen (hier das Interview).
Die vermeintliche «Akademisierung» werde getrieben durch das Erfolgsmodell der Fachhochschulen. Seit 2012 verzeichneten diese mehr Abschlüsse als die Universitäten. Sie nannte dieses «Up-skilling» einen Wirtschaftsmotor für die regionale Unternehmensentwicklung. Und gerade die Industrie, wo nicht einmal einer von zehn einen Hochschulabschluss vorweise, zeige: Es braucht Berufsbildung und Berufsleute mit höherem Bildungsabschluss. Gerade diese seien am besten geschützt vor Arbeitslosigkeit. Renold meinte dazu später auf einem Podium: «Tragen Sie der höheren Berufsbildung Sorge. Das wird das notwendige Element sein im Zuge der digitalen Transformation.»
Digitalisierung und Soft Skills
Die digitale Transformation werde disruptive Entwicklungen haben – und sie fordere Bildungssysteme weltweit heraus. Wegen des schnellen Wandels an Technologien hätten rein schulische Systeme keine Chance, mit diesem Wandel mitzukommen. Als zweiten grossen Vorteil der Berufsbildung hob sie neben der Berufserfahrung die immer stärker gefragten Soft Skills hervor – also das persönliche Verhalten, das in Betrieben und deren Teams vermittelt werde. Die vermehrt gefragten Soft Skills und Berufserfahrung erklärten auch die zunehmende Arbeitslosigkeit für Hochschulabsolventen. Es fehle ihnen gerade die Arbeitserfahrung. «Das ist der Trend, der zunehmen wird, weil die Betriebe die Einarbeitungskosten nicht tragen wollen», so Renold. «Das kann man nicht in der Schule lernen. Jedenfalls nicht in dem Masse, wie es die Betriebe wollen.» Und drittens zeigten weltweit Berufsmeisterschaften: Schweizer Berufsleute lernten mit der Arbeitserfahrung von Anfang an, mit Problemen umzugehen und die richtigen Lösungen zu finden.
Mit Verweis auf die Chancen-ungleichheit im US-Bildungssystem, wo 76 Prozent der Studierenden vor Erreichen des Hochschulabschlusses ihre Ausbildung abbrechen, bilanzierte sie: Durchlässigkeit und Dualität sind die Schlüsselrezepte für ein gutes Bildungssystem. Weiter werde das lebenslange Lernen zur Notwendigkeit: Gerade Ausbildungen mit einer Kombination aus den Lernorten Schule und Arbeitsplatz hätten einen Vorteil im Zeitalter der Digitalisierung.
Podium zur Berufsmesse
Anschliessend diskutierten Hans-Ulrich Bigler (alt Nationalrat und Initiant der Messe) und Ursula Renold über die Entwicklung der Berufsmesse Zürich in den vergangenen 20 Jahren und darüber, welche Anforderungen künftig an die Berufslehre gestellt werden.
Für Ursula Renold ist der wahre Erfolgsfaktor der Berufsmesse, dass sie Schnittstelle zwischen obligatorischer und nachobligatorischer Schule sei und «dass sich hier alle Player treffen». Die Standplätze würden aufwendig aufgestellt und junge Berufsleute aufgeboten, um mit den Jugendlichen in Kontakt zu treten und aufzuzeigen, was die Berufslehre beinhaltet. Denn der Nachteil der Berufsberatung, wie sie die ältere Generation kennt, sei, «dass man die Berufe nicht sieht».
Im Ausblick auf 2045 drückte Bigler die Hoffnung aus, dass die Berufsmesse immer noch die zen-trale Informationsplattform für Lehrberufe und den Arbeitsmarkt sein werde. Mit Blick auf die nähere Zukunft wünschte er sich weiter, «dass wir endlich mit dem Unsinn aufhören, frühzeitig Lehrverträge abzuschliessen».
Das Podium zum 20-Jahr-Jubiläum der Berufsmesse.
Mark Gasser
Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft
Info
Zahlen zur Berufsmesse 2025
Über 61 000 interessierte Besucherinnen und Besucher aus 10 Kantonen nutzten die Möglichkeit, sich vom 18. bis 22. November an der Berufsmesse Zürich zu informieren – fast so viele wie im Rekordjahr 2024.
Die Berufsmesse Zürich wird organisiert vom KMU- und Gewerbeverband Kanton Zürich (KGV) und MCH Exhibitions & Events. Zu den Sponsoren gehören die Zürcher Kantonalbank, der Berufsbildungsfonds des Kantons Zürich sowie das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Medienpartner sind SRF, Energy Zürich und der «Tages-Anzeiger».
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