«Es braucht einen Mentalitätswandel»

Die IndyChamber aus Indiana, eine Handelskammer in den USA, setzt sich stark für die Berufsausbildung ein. Aber die Lehre in den USA hat ein schlechtes Image. Ein Komitee besuchte die Berufsmesse Zürich, um Erfahrungen und Inspiration zu sammeln. Wir sprachen mit Blaine Zimmerman, Chief Talent & Marketing Officer.

Berufsbildung hat in den USA ein eher geringes Ansehen. Was sind die Hauptgründe dafür?

Blaine Zimmerman: Ich glaube, historisch gesehen hatten nur die handwerklichen Berufe eine Lehre. Wer in den USA an eine Lehrausbildung denkt, denkt meistens nicht an eine Lehre im Bankwesen oder im Dienstleistungsbereich. Unter anderem führt das zu einer gewissen negativen Konnotation, und Eltern denken, ihr Kind soll doch einen «besseren Job» haben als Klempner, Schreiner oder Elektriker. Ein Teil unserer Kommunikationsaufgabe besteht also darin, den Leuten klarzumachen: Das ist ein sehr guter Weg zu vielen Karrieren. Und die Schweiz ist ein gutes Beispiel dafür: 250 Berufslaufbahnen können mit einer Lehre beginnen.

Wie wollen Sie die Lehre in Indiana aufwerten, und welche Rolle spielt die IndyChamber generell, und hier im Besonderen?

Zimmerman: Der Aufgabenbereich der IndyChamber umfasst Zentral-Indiana, einschliesslich Indianapolis und der umliegenden Counties. Wir bedienen 2,4 Millionen Menschen. Unser Engagement, das Geschäftsumfeld in dieser Region zu verbessern, kann viele Formen annehmen – etwa neue Unternehmen nach Indiana zu holen. Wir arbeiten mit vielen Schweizer Firmen, wie Roche, zusammen und haben zudem eine Partnerschaft mit Irland.

Unsere spezifische Aufgabe als Talent-Attraction-Team ist es, die Lehrstellenmesse im Jahr 2026 zu organisieren – nebst der Förderung der Kompetenzen der Highschool-Schüler und damit der Attraktivität der Region.

Welche Aspekte würden Sie am liebsten verbessern?

Zimmerman: Nun, wir bauen diese Modelle im Grunde neu auf. Und im Unterschied zur Schweiz trifft jeder Bundesstaat seine eigenen Entscheidungen im Bildungsbereich. Dadurch haben wir die Möglichkeit, dieses Ausbildungsprogramm zu entwickeln. Zwei weitere Bundesstaaten versuchen auch, Lehrlingssysteme aufzubauen: Colorado und New York.

Wodurch unterscheiden sich diese drei Bundesstaaten von den übrigen 47?

Zimmerman: Im Wesentlichen haben wir in Indiana erreicht, dass die Regierung die Arten von Highschool-Abschlüssen ändert. Künftig wird es zwei Arten von Abschlüssen geben: einen stärker arbeitsweltorientierten Abschluss (in dem das Lehrlingsmodell integriert sein wird) und einen, der eher auf ein College-Studium ausgerichtet ist.

Wir versuchen, diese arbeitsweltorientierte Lernplattform aufzubauen, sodass Schülerinnen und Schüler, die den Lehrlingsweg wählen und ihren Highschool-Abschluss machen, weiterhin die Option haben, entweder aufs College zu gehen oder direkt in die Arbeitswelt einzusteigen. Dieser neue Abschluss, die «Indiana Career Apprenticeship Pathways» (InCAP), tritt mit dem Jahrgang 2030 in Kraft.

Welche konkreten Strategien verfolgt die IndyChamber, um Lehrlings- bzw. Berufsbildungswege für Schüler und Familien attraktiver zu machen?

Zimmerman: Das zentrale Puzzleteil ist die Lehrstellenmesse. Wir haben derzeit eine Partnerschaft mit sechs Branchen-Talentverbänden: Bankwesen, Produktionstechnik, Naturwissenschaften, Gesundheitswesen, IT und Baugewerbe. Das sind die Branchenwege, die wir aktuell haben. Einige weitere bauen wir gerade auf.

Die Talentverbände sind verantwortlich für die Entwicklung der Lehrpläne und dafür, Arbeitgeber mit offenen Lehrstellen an den Tisch zu bringen. Und dann haben wir Vermittlungsstellen (Intermediaries), die den Schülern dabei helfen, mit konkreten Arbeitgebern zusammengeführt zu werden.

Wie schwierig ist es, Lehrlingsprogramme – und insbesondere Lehrstellenmessen – aufzubauen und zu bewerben, wenn es keine starken Berufsverbände gibt?

Zimmerman: Diese Branchen-Talentverbände entsprechen dem, was man in der Schweiz Berufsverbände nennen würde. Sie bringen die Arbeitgeber zusammen und entwickeln die Lehrpläne für die Schüler. Es wird allerdings eine Herausforderung sein, neue Berufsverbände ins Boot zu holen. Diese ersten sechs Verbände sind bereit, ihren Kopf hinzuhalten und als Versuchskaninchen zu dienen.

Haben Sie diese neuen Verbände also top-down geschaffen?

Zimmerman: Ja, ich denke, das kann man so sagen. Es gibt eine Organisation namens Central Indiana Corporate Partnership (CICP), gegründet 1999, und die Stiftung hat die sechs Verbände ins Leben gerufen. Die IndyChamber ist nur ein Teil des Puz-zles und übernimmt die Logistik der Lehrstellenmesse – wir sind im Grunde die Eventplaner: Wir mieten die Räume, organisieren den Transport, das Marketing. Und die Talentverbände sind mit den Ständen dort, mit den Demonstrationen, und zeigen, welche Karrieremöglichkeiten es gibt.

Bei wem holten Sie in Zürich Feedback und Ideen für Ihre Lehrstellenmesse?

Zimmerman: Wir standen in engem Kontakt mit Dr. Ursula Renold, die die Messe in Zürich als Gastrednerin eröffnet hat. Ausserdem haben wir Encarnacion Dellai und Marc Urech vom Messeteam getroffen (MCH Exhibitions & Events GmbH). Sie haben uns dabei geholfen, verschiedene Berufsverbände und andere relevante Organisationen zu treffen. Vor Ort wollten wir vor allem verstehen, wie das Erlebnis für die Jugendlichen ist, damit wir es so gut wie möglich nachbilden können.

«Wer in den USA an eine Lehrausbildung denkt, denkt meistens nicht an eine Lehre im Bankwesen oder im
Dienstleistungsbereich.»

Blaine Zimmerman, Chief Talent & Marketing Officer, IndyChamber, Indiana

Erwarten Sie konkrete Kooperationen oder Austauschprogramme mit Schweizer Institutionen oder Unternehmen?

Zimmerman: Ich hoffe es sehr. Wir hatten gestern ein Gespräch mit Roche: Wir haben uns angesehen, wie der Schweizer Campus von Roche und der Campus in Indianapolis ihr Programm koordinieren könnten – und dasselbe gilt für Novartis, das ebenfalls in Indianapolis vertreten ist. Wir haben ausserdem erfahren, dass junge Talente nach einer dreijährigen Lehre in der Schweiz für ein oder zwei Jahre auf einem anderen Campus in Indianapolis arbeiten können – im Rahmen eines Austauschprogramms. Mehr solcher Partnerschaften wären grossartig. Diese Fachkräfte würden zudem helfen, das Lehrlingsprogramm aufzubauen, und später als Mentoren zu agieren.

Benötigen US-Unternehmen stärkere Anreize, um Lehrstellen anzubieten? Falls ja, welche Anreize wären besonders wirksam?

Zimmerman: Ich bin mit den Anreizen nicht im Detail vertraut. Wichtig ist jedoch, den Unternehmen, die teilnehmen wollen, den Return of Investment (ROI) zu erklären. Gemäss einer Studie brachten in der Schweiz Auszubildende dem Unternehmen einen ROI von 4500 Franken Mehrwert pro Jahr!

In den USA beginnen viele junge Menschen direkt nach der High-school zu arbeiten und starten ihre Ausbildung im Schnitt erst mit etwa 29 Jahren—wodurch fast ein Jahrzehnt potenzieller beruflicher Entwicklung verloren geht. Warum so spät?

Zimmerman: Die Lehre in den USA funktioniert historisch anders: Oft verlassen junge Menschen die Highschool, wissen nicht, was sie tun wollen, probieren verschiedene Jobs aus und entscheiden sich dann irgendwann, in einem Handwerk zu arbeiten. Je nach Handwerk müssen sie dann eine zwei- oder dreijährige Ausbildung durchlaufen, bevor sie als Vollzeitkräfte gelten. Oft sind sie Ende zwanzig, bevor sie diese Entscheidung treffen.

Wir legen zu viel Wert darauf, dass das College der Inbegriff von Erfolg ist, sodass es in der Highschool nicht unbedingt das Ziel ist, einen Beruf zu ergreifen. Damit sich das ändert, braucht es einen Mentalitätswandel und letztlich eine Bildungsreform. Und dazu müssen wir die Unternehmen dazu überzeugen, mitzuwirken.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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