Absentismus und Arztzeugnis
Durch ungerechtfertigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz ergeben sich erhebliche volkswirtschaftliche Kosten. Wenn Arbeitnehmer arbeitsunfähig sind, legen sie meistens ein Arztzeugnis vor. Wann wird es benötigt und was ist dabei zu beachten?
21. August 2025 Rolf Ringger
Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit sind stets dem Arbeitgeber zu melden.
Ist der Arbeitnehmer an der Arbeit verhindert, hat er den Arbeitgeber umgehend über den Grad und die voraussichtliche Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit zu informieren. Macht der Arbeitnehmer geltend, er sei wegen einer Krankheit arbeitsunfähig, muss er auch den Beweis hierfür erbringen. Dies gilt grundsätzlich vom ersten Tag an. Enthält der Arbeitsvertrag eine davon abweichende Regelung, wie beispielsweise, dass der Arbeitnehmer erst nach dem dritten Tag seiner Abwesenheit ein Arztzeugnis beibringen muss, dann genügt es, dass er den Arbeitgeber lediglich über seine Arbeitsunfähigkeit informiert, und es gilt die Vermutung, dass er für diese erste Zeit tatsächlich arbeitsunfähig ist.
Beweiskraft
Hauptbeweismittel für eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist das Arztzeugnis. Der Arbeitnehmer kann jedoch auch mit anderen Beweismitteln seine Gesundheitsstörung belegen, insbesondere mit Aussagen anderer Personen (Zeugenbeweis). Vor Gericht kommt dem Arztzeugnis regelmässig grosse Bedeutung zu. Das Arztzeugnis hat rechtlich Urkundencharakter. Dies bedeutet auch, dass ein Arzt, welcher ein unwahres Zeugnis ausstellt (Gefälligkeitszeugnis), strafrechtlich belangt werden kann.
Anforderungen
Die Standesordnung der FMH verlangt, dass Ärzte bei der Ausstellung von ärztlichen Zeugnissen alle Sorgfalt anzuwenden und nach bestem Wissen und Gewissen ihre ärztliche Überzeugung auszudrücken haben. Abgeraten wird von Arztzeugnissen, die aufgrund von telefonischer Krankmeldung ausgestellt werden (Telemedizin). Obwohl es keine gesetzlichen Bestimmungen zur Form eines Arztzeugnisses gibt, sehen die Empfehlungen der Zürcher Ärztegesellschaft vor, dass ein Arztzeugnis nur gültig ist, wenn es Datum, Stempel und eigenhändige Unterschrift des behandelnden Arztes aufweist. Auf diesen Formalien sollte der Arbeitgeber in jedem Fall bestehen, insbesondere auch bei im Ausland ausgestellten Zeugnissen. Rückwirkend ausgestellte Arztzeugnisse sind nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Die Rückwirkungsdauer sollte dabei eine Woche nicht überschreiten.
Inhaltlich sollte das Arztzeugnis die folgenden Angaben enthalten, wobei dies – je nach verwendetem Formular – nicht immer der Fall ist: Personalien des Arbeitnehmers; Bezeichnung des Arbeitgebers; Datum der Konsultation und eventuell Datum der nächsten Konsultation; Arbeitsunfähigkeit mit dem Hinweis, ob sie gegebenenfalls bloss arbeitsplatzbezogen ist (diesfalls werden keine Kündigungssperrfristen ausgelöst); Ursache der Arbeitsunfähigkeit (Krankheit, Unfall, Schwangerschaft), Art der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (Untersuchung durch den Arzt oder Aussagen des Patienten).
Begründete Zweifel
Begründete Zweifel an der Richtigkeit eines ärztlichen Zeugnisses können insbesondere im Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Beispiele: Der Arzt bescheinigt dem Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit für den ganzen Tag, an welchem ihm gekündigt wurde, obwohl er an diesem Tag noch Arbeit leistete. Gemäss dem ärztlichen Zeugnis besteht eine Arbeitsunfähigkeit wegen Rückenschmerzen; der Arbeitnehmer führt jedoch mehrere längere Fahrten mit einem Lastwagen aus. Das Beobachten eines (arbeitsunfähigen) Arbeitnehmers bei einem Spaziergang, beim Einkaufen, beim Ausführen von zeitlich eng begrenzten Arbeiten (z.B. Wischen des Vorplatzes seines Hauses) oder dergleichen reicht demgegenüber in der Regel nicht aus, um an der Richtigkeit des ärztlichen Attests zu zweifeln. Der Arbeitnehmer lehnt eine vertrauensärztliche Untersuchung ab oder er hat seine Arbeitsverhinderung angekündigt oder wechselt häufig den Arzt.
Eine bloss schwache Beweiskraft kommt auch jenen Arztzeugnissen zu, die sich alleine auf die Patientenschilderung abstützen und ohne eigene objektive Feststellungen des Arztes abgegeben werden (insbesondere aufgrund telefonischer Krankmeldung) oder wenn der Beginn der vom Arzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit mehrere Tage oder gar Wochen vor der Erstkonsultation liegt.
Massnahmen
Zweifelt der Arbeitgeber an der vom Arzt attestierten Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers, genügt es grundsätzlich nicht, diesem mitzuteilen, dass er das Zeugnis nicht akzeptiere. Vielmehr empfiehlt es sich bei festgestellten Ungereimtheiten, den behandelnden Arzt darüber zu befragen. Dabei ist das Arztgeheimnis zu beachten.
Ferner kann der Arbeitgeber jederzeit verlangen, dass sich der Arbeitnehmer, der sich auf eine Arbeitsunfähigkeit beruft, bei einem Arzt nach Wahl des Arbeitgebers (Vertrauensarzt) auf dessen Kosten untersuchen lässt. Dies ergibt sich aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers. Eine vertragliche Vereinbarung bedarf es hierfür nicht.
Erweist sich eine geltend gemachte Arbeitsverhinderung als nicht bestehend, kann die Lohnfortzahlung verweigert und bereits ausbezahlter Lohn zurückverlangt werden. Handelt es sich nicht bloss um einige wenige «Blautage» oder hat der Arbeitnehmer gar ein falsches Arztzeugnis zur Täuschung des Arbeitgebers erwirkt, ist in aller Regel auch ein Grund für eine fristlose Entlassung gegeben. Ferner kann der fehlbare Arzt bei der Strafuntersuchungsbehörde verzeigt werden.
Rolf Ringger
ist Partner bei der Anwaltskanzlei BEELEGAL und publiziert Ratgeberbeiträge in der «Zürcher Wirtschaft».
Meistgelesene Artikel
Auf Spurensuche nach dem «Kitt» im Team
22. September 2025
Die Fitnessszene wächst rasant – und wird älter
22. August 2025
Vom Bestattungswesen bis zum Bau: Welche Faktoren den Nachwuchs anziehen
20. Oktober 2025
Konkurrenz um Kaugummis mit Kick
25. August 2025
Resilienz von Mitarbeitenden stärken
25. Oktober 2024
Ihre Meinung ist uns wichtig
Das Thema ist wichtig.
Der Artikel ist informativ.
Der Artikel ist ausgewogen.
Meistgelesene Artikel
Auf Spurensuche nach dem «Kitt» im Team
22. September 2025
Die Fitnessszene wächst rasant – und wird älter
22. August 2025
Vom Bestattungswesen bis zum Bau: Welche Faktoren den Nachwuchs anziehen
20. Oktober 2025
Konkurrenz um Kaugummis mit Kick
25. August 2025
Resilienz von Mitarbeitenden stärken
25. Oktober 2024