Zurück vom Urlaub – doch wo bleibt die Sommerfrische?

In der Diskussion über Tourismus spottet einer: «Da hab ich mein hart verdientes Geld dafür bezahlt, nach Rom zu fahren. Und was treff ich dort an? Das Kolosseum – total verfallen!»

War als Witz gemeint. Trifft aber eine Spur Wahrheit – über den verblassenden Reiz von Urlaubsreisen. Ich muss am Airport nur mal in Gesichter von Heimkehrenden blicken. Ist da etwas von Ferienglück zu sehen, eine Freude übers Erlebte, ein frischer Appetit aufs Anpacken gar? Selten. Viele wirken seltsam zerknittert neben ihren bunten Rollkoffern, eher verkatert als erfrischt.

Den Eindruck bestätigen auch immer mehr Untersuchungen: Vorstellung und Wirkung driften auseinander. In der Erwartung bedeutet Urlaub traditionell: aussteigen, durchatmen, erfrischen, erholen, auftanken, revitalisieren. Im tatsächlichen Ergebnis sind wir mehrheitlich auffällig gestresst. Die einen, weil sie sich von der Arbeit gar nie entspannten; die andern, weil sie sich vor der neuen Anspannung fürchten. Vom «Post-Holiday Syndrom», also von einer Krankheit reden Psychiater bereits: Kaum zurück aus dem Urlaub, fühlt man sich im Gedanken an den Montag derart „erschöpft“, dass man unmöglich zur Arbeit kann.

Kann an der Arbeit liegen. Oder am Urlaub. Wir leben ja nicht mehr im 19. Jahrhundert, als jeder Reisende auf eigene Faust unterwegs war, in unbekannte Gegenden aufbrach, täglich jede Menge erlebte, womit er nie rechnete, was ihn erschütterte, bereicherte, verwandelte. Klar, wir können noch heute auf Pferden quer durch Lappland reiten. Oder mit dem Velo ums Schwarze Meer touren. Gott sei Dank, tun das nur Einzelne. 95 Prozent der Reisenden streben dahin, wo alle andern schon waren. Entsprechend vollgestopft sind diese Sehnsuchtsorte. Wir wollen weg, wir suchen das andere, Fremde, Verwandlung – in der Poesie des Alpsteins (Aescher), vor dem Mysterium der Mona Lisa (Louvre), in einer betörend fremden Stadtkultur (Marrakesch) – und finden überall: Massen von Touristen, also sozusagen wieder uns selbst.

Lese ich vielleicht zu viel Goethe? 1786 brach Europas berühmtester Dichter auf zur italienischen Reise. Schon der Weg durch die Schweiz ist reich an Begegnungen und Entdeckungen. In Trient staunt Goethe, wie verwandelt er innerlich schon ist: «Eine ganz andere Elastizität des Geistes. Die Sonne scheint heiss, und man glaubt wieder einmal an einen Gott.» Nach zwei Monaten in Rom. «Ich erlebe eine wahre Wiedergeburt, da ich Rom betrat.» Zieht in eine Künstler-WG, schwärmt durch die Nächte, lebt unter dem Decknamen Johann Philipp Möller als Malergeselle, zeichnet, zecht, liebt, verliebt sich in Faustina. Streift seine nördliche Ichbesoffenheit ab, verliert sich an die südliche Sinnlichkeit. «Ob ich gleich noch immer derselbe bin, so mein` ich, bis aufs innerste Knochenmark verändert zu sein.»
Nach innen verwandelt – statt überall bloss am Hinschauen. Könnte uns das die Sommerfrische retten? Oder wollten wir danach gar nicht zurück?

Ludwig Hasler

Philosoph, Physiker, Autor und Menschenkenner lhasler@duebinet.ch

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