«Es brauchte eine neue Idee»

Seit 20 Jahren veranstaltet der KGV gemeinsam mit MCH Exhibitions & Events die Berufsmesse Zürich. Begonnen hat alles mit einer Initiative von Hans-Ulrich Bigler, der damals die Berufsbildungskommission des KGV präsidierte. Zur Eröffnungsfeier am 18. November kehrt Bigler zu den Ursprüngen der Berufsmesse zurück.

Bild Mark Gasser

Hans-Ulrich Bigler ist Begründer der Berufsmesse Zürich, die er ehrenamtlich zwischen 2005 und 2008 mit aufbaute. Davor war er elf Jahre lang Direktor des Unternehmerverbandes der Schweizer Druckindustrie Viscom und zwei Jahre Direktor des Verbandes der Maschinenindustrie Swissmem. Von 1. Juli 2008 bis 1. Juli 2023 war Bigler Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, 2015 – 2019 nahm er als Nationalrat im Parlament Einsitz. Heute ist Bigler unter anderem Vorstandsmitglied des HEV Schweiz, hält diverse VR-Mandate im Sozialversicherungsbereich und präsidiert das Nuklearforum Schweiz. Er wohnt in Affoltern am Albis.

Hans-Ulrich Bigler, wenn du an die Premiere der Berufsmesse Zürich vor 20 Jahren zurückdenkst: Was kommt dir als Erstes in den Sinn?

Bigler: Die grosse Frage, die wir uns stellten damals: Erreichen wir wirklich die Zielgruppe – die Jugendlichen – und deren Eltern? Die Premiere stellte sich dann als voller Erfolg heraus: Über 15 000 Jugendliche kamen, total über 30 000 Besuchende aus 11 Kantonen. Das überraschte mich sehr. Und mir blieb in Erinnerung, dass in der «Zürcher Wirtschaft» die damalige Berufsbildungsbeauftragte schrieb, dass ein Jugendlicher im Handstand die Rolltreppe hochgefahren sei.

Damals gab es ja viele Skeptiker. Wann wusstest du: Dieses Projekt wird funktionieren?

Bigler: Es kommt irgendwann der Moment, in dem man sagen muss: Wir machen das jetzt, allen Skeptikern zum Trotz. Das Resultat gab uns ja recht. Der entscheidende Moment kam inmitten der Konzeptausarbeitung – als ich wusste: Das Konzept funktioniert. Ich hatte auch viel Unterstützung, etwa von alt Nationalrat Hansruedi Gysin von der Wirtschaftskammer Baselland.

War es schwierig, all die Akteure – vom KGV über die Bildungsdirektion bis zu Banken, Berufsverbänden und Grossunternehmen – an einen Tisch zu bringen?

Bigler: Klar war das eine Herausforderung und benötigte viele Gespräche, vor allem zwischen Bildungsdirektion, ZKB und KGV. Das Konzept wurde aber überall als sehr gut beurteilt, daher hatten wir stets den Support. Das grös-sere Problem waren eher die eigenen KGV-Mitglieder. Ein Teil wollte weiter an der Teilausstellung «Berufe an der Arbeit» an der Züspa festhalten. Ein Teil wollte etwas Neues, wusste aber nicht was. Dann muss halt jemand vorangehen und sagen: So machen wir das jetzt. Das Messeteam mit Inca Dellai und Patrizia Ciriello brachte das organisatorische Know-how mit – etwa in Standbau, Flächenberechnung, Preissetting, Werbung. Dank diesem Zusammenspiel funktionierten der Aufbau und die Durchführung hervorragend.

Warum war der Quantensprung aus deiner Sicht so wichtig, die Berufslehre als Sonderschau aus der Züspa herauszulösen und als eigenständige Messe zu etablieren?

Bigler: Man stellte zwei Trends fest: Als Teilausstellung an der Züspa funktionierte «Berufe an der Arbeit» nicht mehr richtig. Es kamen immer weniger Schüler und Aussteller. Anderseits hatte auch von den Verbänden her die Teilnahme abgenommen. Und in der Berufsbildungskommission, die ich ja präsidierte, wurde das damalige Konzept der Berufsschau massiv kritisiert. Die Verbände sagten: Wenn der KGV nicht etwas Neues bringt, machen wir nicht mehr mit. Und das wäre zum Nachteil sämtlicher Jugendlichen im Kanton vor dem Übertritt ins Berufsleben geschehen. Daher rieten wir auch den Verbänden für die neue Messe: Bringt Jugendliche an die Stände, damit sie anderen Jugendlichen in ihrer eigenen Sprache erklären können, worum es geht. Es brauchte jedenfalls eine neue Idee: Wir wollten mit einer eigenständigen Ausstellung aufs Thema Berufsinformation fokussieren. Und Feedbacks vom BIZ und den Lehrpersonen bestätigten, dass es der richtige Weg ist.

Wir rieten den Verbänden für die neue Berufsmesse: Bringt möglichst Jugendliche an die Stände, damit sie anderen Jugendlichen in ihrer eigenen Sprache erklären können, worum es geht.

Hans-Ulrich Bigler, ehemaliger Präsident der Berufsbildungskommission des KGV

Hat die Berufsmesse also dazu beigetragen, das Image der Berufslehre in Zürich und darüber hinaus zu stärken?

Bigler: Ja, das war eine ganz wichtige Zielsetzung: Die Berufsbildung sollte gleichwertig wie die gymnasiale Ausbildung wahrgenommen werden. Und da war es wichtig, den Jugendlichen die Fülle von Möglichkeiten und Alternativen aufzuzeigen. Von Anfang an nahmen wir uns auch vor, die Weiterbildungsmöglichkeiten wie höhere Fachschulen, Berufsmatura und Fachhochschulen aufzuzeigen.

Heute besuchen doppelt so viele Menschen die Messe wie im Eröffnungsjahr. Woran liegt das?

Bigler: Ich glaube, die Stakeholder der Berufsbildung haben es in den letzten Jahren verstanden, das Erfolgsmodell besser zu verkaufen. Namentlich der Schweizerische Gewerbeverband im Zusammenspiel mit den kantonalen Verbänden. Dass an Berufsmeisterschaften (Swiss-, Euro- und WorldSkills) Zürcher und Schweizer stets in grosser Zahl mit Spitzenergebnissen glänzten, ist auch in der Bevölkerung angekommen.

Anderseits ist auch bei der Lehrerschaft unbestritten, dass dieses Berufsinformationsangebot zentral ist. Wenn sie mit ihren Schulklassen im Schuljahr der Entscheidfindung sind, gehen viele auch an die Messe, weil es ihnen hilft – im Unterricht und im ganzen Berufsfindungsprozess.

Bild MCH Exhibitions & Events

Bigler 2006 mit der damaligen Bildungsdirektorin Regine Aeppli.

Du hast damals gesagt, die Berufslehre sei «unterverkauft» gewesen. Gilt das deiner Meinung nach heute noch oder hat die Messe hier einen nachhaltigen Unterschied gemacht?

Bigler: Ich finde schon, dass heute die Berufsmesse eine wichtige Imageträgerin ist im Kanton und darüber hinaus. Nach dem Erfolg der Zürcher Messe haben verschiedene Kantone begonnen, Berufsinformationsmessen zu organisieren. Und heute werden die Berufsmessen flächendeckend vom kantonalen Berufsbildungsfonds und vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) unterstützt – im Gegensatz zu vor 20 Jahren. Das Budget war mit 300 000 Franken sehr viel tiefer damals. Aber wir hatten schon da einen tollen Support von der Bildungsdirektion.

Konnte die Messe dazu beitragen, Berufe ins Rampenlicht zu rücken, die sonst oft im Schatten stehen?

Bigler: Ja, natürlich. Die Verbände merkten sehr schnell, dass sie mehr in Standvorbereitung, Standgestaltung und Standmarketing investieren müssen, um einen attraktiven Auftritt zu bieten. Es hat ein Entwicklungsprozess stattgefunden, und insofern ist es auch immer ein Wettbewerb unter den Verbänden.

Ich glaube aber, eine Lehrsituationserfahrung am Stand zu machen, ist immer noch das beste Verkaufsargument für den Beruf. Ich erlebte das selber, als meine Kinder ins Berufswahlalter kamen. Denn plötzlich entdeckt man Tätigkeiten, die man gar nicht gekannt hat.

Was nahmst du von der Arbeit an diesem Projekt für deine spätere Karriere als Nationalrat und Direktor des sgv mit?

Bigler: Führungsmässig habe ich mitgenommen: Es gibt überall immer Bedenkenträger. Und man muss erst einmal selber von einem Projekt überzeugt sein, um es zu verkaufen. Dann braucht es auch Durchhaltewillen, Durchsetzungsstärke und Begeisterungsfähigkeit. Und es braucht ein gutes Team, das die Werte teilt.

Politisch wurde mir damals klar: Die Berufsbildung muss gefördert werden. Im sgv haben wir uns später namentlich für eine bessere und höhere Finanzierung der höheren Berufsbildung eingesetzt. Dank diesem Engagement erhielten wir ja dann 300 Mio. Franken mehr Budget vom Bund für die Gleichstellung von akademischer und Berufsausbildung – diese flossen in die Vorbereitungkurse auf Berufs- und höhere Berufsbildung. Das war eine Lehre aus der Berufsbildungskommission im KGV: Wenn man Eltern nicht Perspektiven aufzeigt, was alternativ zu einem Gymnasium nach der Lehre möglich ist, dann ist deren Attraktivität für sie nicht so hoch.

Welche Vision hast du für die Berufsmesse 2045?

Bigler: Zunächst freut es mich, dass die Grundlagen des Konzepts heute noch funktionieren. Es wurde aber Gott sei Dank auch weiterentwickelt und gestärkt. Diese Stossrichtung muss weiterverfolgt werden – unter Berücksichtigung der Entwicklung der Berufe.

Als wir vor 20 Jahren die Berufsmesse lancierten, kam meine Tochter nach Hause und sagte, ihr Lehrer wolle nicht mit ihrer Klasse an die Berufsmesse. «Da werden ja nur Zeltli verteilt», hiess es. Dann lud ich den Lehrer schriftlich an die Berufsmesse ein. In der Konsequenz besuchte er sie mit seiner Klasse und liess sich vor Ort vom Mehrwert überzeugen. Heute und auch in Zukunft haben die Lehrer eine hohe Verantwortung – die sie im Übrigen sehr gut wahrnehmen. Ich bin überzeugt, dass die Messe so auch in kommenden Jahren zentral sein wird für den ganzen Berufswahlentscheid. Und das ist weiterhin die Vision.

Könnte etwas verbessert werden?

Bigler: Bis heute ist es uns nicht gelungen, den ganzen Berufsinformationsprozess besser zu systematisieren. Schulen, Berufsberatung und Berufsverbände müssten sich besser absprechen. Das würde auch heissen, nicht schon 2 Jahre vor Lehrbeginn Verträge abzuschliessen. Der Idealweg: Erst sollte die Berufserkundung in der Schule erfolgen. Dann geht man an die Berufsmesse und zum Berufsberater, um Stärken und Vorlieben abzuklären. Erst im Nachgang der Berufsmesse Zürich, die einen ganzheitlichen Überblick gibt, folgt die regionale Berufsmesse, um mit Lehrstellenanbietern und Firmen in Kontakt zu kommen bzw. Schnupperlehren zu vereinbaren. Und am Schluss geht es via Bewerbungsgespräche in die Lehrstelle. Diese Schnittstellen sind nicht gut aufeinander abgestimmt.

Welche Trends siehst du aktuell bei den Lehrberufen, die auch die Messe prägen werden?

Bigler: Die Digitalisierung wird Weiterentwicklungen bringen. Im Autogewerbe etwa sind die IT-Anforderungen stark gestiegen. Diese Verantwortung nehmen die Berufsverbände aber auch wahr. Das ist ja die Stärke der Berufsbildung: Sie ist auf den Arbeitsmarkt fokussiert. Und dieser bestimmt via Berufsverbände, was gebraucht wird und was nicht. Ich habe das selber erlebt in der Druckindustrie, als wir bei Viscom aufgrund der gewandelten Anforderungen den Mediamatiker «erfunden» und entwickelt haben.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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