2025 wird Wertfreigrenze gesenkt
Der Bundesrat setzt mit der Senkung des Wertfreigrenze von 300 auf 150 Franken ein Zeichen gegen den Einkaufstourismus – aber geht es nach dem Detailhandel, ist die Senkung reine Symbolpolitik
13. Januar 2025 Gerold Brütsch-Prévôt
Zollfrei kann man ab 2025 nur bis 150 Franken in Deutschland einkaufen.
Es lohnt sich tatsächlich, in Deutschland einzukaufen. Bei Fleisch, Käse und Eiern ist der Preisunterschied beträchtlich, teilweise sind die Produkte in der Schweiz mehr als doppelt so teuer. Noch nicht eingerechnet dabei ist die Steuerrückerstattung. Von den Preisen kann dann zusätzlich die deutsche Mehrwertsteuer abgezogen werden, die je nach Produkt 7 oder 19 Prozent beträgt. Und wer für unter 300 Franken pro Person einkauft, umgeht bis Ende Jahr auch noch die Schweizer Mehrwertsteuer. Ziemlich ungleiche Spiesse also und ungerecht für das grenznahe Gewerbe in der Schweiz.
Nicht nur hohe Lohnkosten
Der Grund für die teilweise grossen Preisunterschiede liegt aber nicht nur an den hohen Lohnkosten. Sie existieren auch, weil die Schweizer Landwirtschaft vor Importprodukten geschützt wird. Für viele Produkte, die auch in der Schweiz produziert werden, erhebt die Schweiz Schutzzölle. So gibt es beispielsweise für Tomaten im Sommer einen Schutzzoll, im Winter nicht, da Tomaten in dieser Zeit in der Schweiz nicht angebaut werden. Ein weiterer Grund sind die Grössennachteile der Schweizer Händler. Die über ganz Europa verbreiteten Handelsketten aus Deutschland, Frankreich oder Italien erzielen dank ihrer Grösse günstigere Konditionen als Einkäufer für den kleinen Schweizer Markt oder ein grenznaher kleiner Laden. Auf den Preis drücken aber auch die vergleichsweise hohen Beschaffungskosten im Inland. Höhere Miet- und Bodenkosten, kostentreibende Bauvorschriften, höhere Kosten für Werbung, Transport, Beratung, Bankdienstleistungen und weitere Dienstleistungen sind Teil der Differenz.
«Das bringt uns gar nichts. Das Einzige, was wir tun können, ist auf Qualität
Reinhard Sigrist, Metzgerei Sigrist, Rafz
zu setzen.»
«Das bringt uns gar nichts»
Mit der Senkung der Wertfreigrenze von 300 auf 150 Franken will der Bund nun das Einkaufen jenseits der Grenze weniger attraktiv machen. Ab 1. Januar 2025 muss für eingeführte Waren, die diesen Gesamtwert übersteigen, die Schweizer Mehrwertsteuer bezahlt werden. «Das bringt uns gar nichts», sagt Reinhardt Sigrist von der gleichnamigen Metzgerei in Rafz dazu. Das ändere das Einkaufsverhalten nicht: W er billig über der Grenze einkaufen wolle, werde es weiterhin tun. In nur fünf Minuten sei man vom Rafz aus in Deutschland. «Das Einzige, was wir tun können, ist auf Qualität zu setzen. Und auf Kundinnen und Kunden, die wissen wollen, woher das Fleisch kommt», ergänzt Sigrist. Ihm würde nur die Abschaffung der Freiwertgrenze nützen.
Hohe Produktionsstandards
Die Produktionsstandards für Fleisch sind in der Schweiz deutlich strenger, auch in der Tierhaltung. Bilder vom leidgeprägten Leben in der Massentierhaltung, beispielsweise von Schweinen mit schmerzhaften Eingriffen und sogar Verstümmelungen, sind längst bekannt. Das Tierschutzgesetz in Deutschland legitimiert dieses Leid der Tiere. Das ist dann der frische Schweinerückenbraten für 1.99 Euro pro 100 Gramm in einigen deutschen Kühlregalen. Die Sozialdemokraten und die Konsumentenschutzorganisationen ignorieren solches und auch die Probleme des Detailhandels in Grenznähe.
«Die Reduktion ist reine Symbolpolitik und wird keinen Effekt erzielen.»
Dagmar Jenni, Direktorin Swiss Retail Federation
Sie sind gegen die Senkung der Wertfreigrenze, weil man dadurch die Konsumentinnen und Konsumenten mit höheren Preisen bestrafe. Markus Schneider, Inhaber der Bäckerei Panello AG in Eglisau, weiss auch, dass viele Eglisauer jenseits der nahen Grenze einkaufen. «Viele kommen auf dem Nachhauseweg aus Deutschland noch bei uns vorbei, um ein gutes Brot zu kaufen», lacht er, das sehe er jeweils an den Einkaufstüten. Dass sich Qualität lohne, zeige sich aber auch darin, dass sogar umgekehrt Deutsche bei ihm einkaufen würden. Sein Angebot gelte im Grenzbereich Deutschlands als Geheimtipp. Das ist dann doch eher die Ausnahme.
50 Franken als Kompromiss
Auch Dagmar Jenni, Direktorin der Swiss Retail Federation, sieht die geplante Senkung der Wertfreigrenze auf 150 Franken kritisch. «Die Reduktion ist reine Symbolpolitik und wird keinen Effekt erzielen», erklärt sie. In der Stellungnahme zur Vernehmlassung hatte die Swiss Retail Federation eine Senkung auf 50 Franken vorgeschlagen. Der Grund für diesen Kompromiss sei, dass man so nicht für jeden Kaugummi Mehrwertsteuer bezahlen müsse und damit den administrativen Aufwand am Zoll nicht unnötig erhöhen würde. Gleichzeitig zeigt sie Verständnis für die Forderungen des Gewerbes, die Wertfreigrenze komplett abzuschaffen. Jenni geht davon aus, dass in zwei Jahren ein neuer Anlauf nötig sein wird, um das Parlament von einer tieferen Wertfreigrenze zu überzeugen. Sie betont, wie wichtig eine klare Lösung für den Schutz des Schweizer Detailhandels sei, der durch Einkaufstourismus stark belastet werde.
Deutschland kontert
Deutschland hat gegen die Senkung der Wertfreigrenzen bereits eine Gegenmassnahme lanciert: Die sogenannte Bagatellgrenze von 50 Euro wird fallen. Schweizer Einkaufstouristen sollen in Zukunft die deutsche Mehrwertsteuer bei jedem Einkauf, also auch bei unter 50 Euro pro Laden, erstatten lassen können.
Die Senkung der Wertfreigrenze mag ein politisches Signal gegen den Einkaufstourismus setzen, doch ohne substanzielle Massnahmen bleibt sie wirkungslos und lenkt von den strukturellen Herausforderungen im Schweizer Detailhandel ab. Wirkungsvoll wären die vorgeschlagenen 50 Franken oder die gänzliche Abschaffung, so wie es manche Kantone fordern.
Gerold Brütsch-Prévôt
Redaktioneller Mitarbeiter Zürcher Wirtschaft
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