Wo hybride Fitnesskurse schon zum Alltag gehören

Nach zwei Jahren Corona atmet unter anderem die Fitnessbranche auf – und zeigt sich innovativ: Besuch im Groupfitness in Neftenbach.

Bilde Mark Gasser

Silvia Indergand (links) kennt die ideale Laptop-Position, um analog wie digital beide Gruppen hybrid zu instruieren.

Während der Lockdowns, als viele Fitnesscenter geschlossen waren, brachte die Krise bei anderen innovative Lösungen hervor. Da sie ohnehin nunmehr nur Gruppenkurse anbietet, die von Instruktoren geleitet werden, hat Silvia Indergand aus Neftenbach bereits im März 2020 zu Beginn des ersten Lockdown sofort umgestellt auf online gestreamte Trainingseinheiten – vom Kindertanz bis zum Seniorenturnen. «Das Gute ist, dass ich eine kleine Firma und sehr kurze Entscheidungswege habe», sagt Indergand.
Bei der Stippvisite in ihrem Studio Bodymotion Fitness in Neftenbach fällt auf: Nebst einer grösseren Gruppe Frauen verfolgen auch online einige Teilnehmerinnen per Videostream ihren Yogakurs. Silvia Indergand kennt die ideale Laptop-Position, um beide Gruppen gleichzeitig zu instruieren. Sogar neue Online-Abomodelle hat sie eingeführt – was ihr ehemalige Kundinnen aus Singen, Bonn (D), oder Graubünden zurückbrachte.
Aus ihrer Sicht hatte sie gar keine Wahl: Sie hatte erst 2018 ihren Ein-Personen-Betrieb, den sie bis dahin führte, total umgestellt und ausgebaut. Durch den Ausbau und die Neuorientierung auf Gruppenkurse ohne Geräte, aber mit insgesamt 27 Instruktoren, entfiel mangels Vergleichszahlen die Möglichkeit, sich angemessene Unterstützung durch Härtefallgelder zu sichern. «Wir haben zwei volle Lockdowns durchgemacht. Und ich habe am Wochenende Rückschau gehalten und die Ordner durchgearbeitet, in denen wir alle Schutzkonzepte abgelegt haben», so Indergand. Die gesammelten «Werke» umfassten vor allem Schutzkonzepte, die teilweise im Zwei-Wochen-Rhythmus wegen neuer Weisungen angepasst werden mussten. «Der Aufwand war riesig – ich habe noch nie so viel gearbeitet.»

Neukunden und Videostreams
Doch im Vorfeld der vollen Öffnung am 17. Februar habe sie intensiv Werbung gemacht. Wie bei anderen Fitnesscentern, wurde mit Abo-Vergünstigungen gelockt, «da schaut dann für uns nicht mehr viel heraus», so Indergand. Immerhin: Die Öffnung, welche das Trainieren ohne Maske erlaubt, brachte schon erste Neukunden – obwohl noch Schulferien sind. «Gerade heute Morgen sind einige neue Gesichter aufgetaucht, die neue Abos abgeschlossen haben», so Indergand.
Weil ihre Instruktoren teilweise mit sehr geringen Pensen arbeiten, konnte sie diese ohnehin nicht in Kurzarbeit schicken. «Für mich gab es keine Möglichkeit, die Verträge und Jahresabos zu stornieren und die Beträge zurückzuzahlen», so Indergand. Der Ausbau ihres Betriebs liess eine Schliessung aus finanziellen Gründen nicht zu. «Es wäre unmöglich gewesen, überhaupt nicht mehr zu arbeiten.»
Während den beiden totalen Lockdowns waren die Instruktoren weiterhin in den Studios und versuchten, die Mitglieder von zu Hause mit Kurseinheiten wie Yoga, Zumba, Pilates, oder Body Balance zu bedienen. Schwieriger als die Videostreams sei der Umgang mit den immer wieder ändernden Weisungen und notwendigen Anpassungen im Studio umzugehen: Mal durften wegen der Quadratmeter-Vorgaben nur vier in einem Kurs vor Ort dabei sein, mal mehr, mal weniger. Bei der Orientierung des Teams über die Schutzkonzepte sei sie auch immer wieder am Anschlag gewesen, da sie die 27 Mitarbeitenden in Kleinstpensen – sie unterrichten zum Teil nur eine Lektion pro Woche – immer wieder auf dem Laufenden halten musste.
«Durch die Flexibilität konnten wir dann viele Kunden behalten», sagt Indergand. Aber sie kennt auch viele Mitglieder, die auf eine Abo-Erneuerung verzichteten – entweder, weil sie via Online-Kurs nicht trainieren wollten, oder weil die Corona-Lage sie verunsicherte.

Corona-Kilos
«Liebe Bewegungsfreunde: Jetzt gibt es keine Ausreden mehr», heisst es neu auf der Webseite. Die allgemeine Fitness und Kraft hätten während Corona bei vielen abgenommen. «Das spürte man vor allem nach dem ersten Lockdown extrem», sagt Indergand. Wer sich nicht sportlich betätigt habe und erst nach dem Lockdown wiederkam, habe Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit abgebaut. «Es war teilweise beängstigend».
Während nur wenige Fitnesscenter mit der hybriden Gestaltung des Trainings experimentierten, haben die meisten anderen Fitnessketten und Discounter wie Wintifit während den Lockdowns ihren Betrieb ganz geschlossen. Einige führten zwar Kurse durch, aber nicht mehr mit Live-Instruktoren – sondern via Video-Konserve, um Personal zu sparen. «So kann man gar nicht persönlich auf die Kursteilnehmenden eingehen. Das ist am falschen Ort gespart», findet Indergand.
Sie schätzt den Anteil der KundInnen, die auch nach Corona teilweise oder ganz Online ihre Kurse besucht, auf 10 bis 15 Prozent. Zum Beispiel jene, die an einzelnen Tagen Kinder hüten müssen, oder Menschen, die sich zur Risikogruppe zählen oder schwer krank sind – sie können nach Belieben auszusetzen, wenn es nicht mehr geht. «Aber jetzt sind wir noch in einer Umbruchphase, es trauen sich noch nicht ganz alle, ins Studio zu kommen.»

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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