Wie flexibel darf Homeoffice sein?

Morgens noch mit den Kindern, dafür am Abend länger arbeiten. Homeoffice und Telearbeit erlauben es, Arbeitszeiten zu flexibilisieren. Doch was ist überhaupt erlaubt, was sinnvoll – und wo soll es hin gehen?

Bild stock.adobe.com/Suzi Media

Vielleicht ein bisschen bequemer, dafür umso stärker regulierungsbedürftig: Arbeiten im Homeoffice.

Am Abend früh ins Bett, um dann zwischen halbfünf und halbsechs Uhr morgens, wenn alles noch schläft, die Mails abarbeiten? Im Homeoffice sitzen, sehen dass Sonntags Schlechtwetter wird, um dann kurzentschlossen am Freitag Skifahren zu gehen und die Arbeit am Sonntag nachholen? Gemäss dem aktuellen Schweizerischen Arbeitsgesetz sind solche «Flexibilisierungen» der Arbeitszeit derzeit nicht möglich: Zwischen 23 Uhr und 6 Uhr gilt ein Nachtarbeitsverbot und auch das Arbeiten an Sonntagen ist untersagt. (Wobei gewisse Branchen davon ausgenommen sind und wieder andere eine Bewilligung beantragen können.)
Nicht mehr zeitgemäss, finden einige Wirtschaftsverbände. «Viele Arbeitnehmer fordern heute flexiblere Arbeitszeiten, um insbesondere die Arbeit mit dem Privatleben besser vereinbaren zu können», sagt Daniella Lützelschwab, Arbeitsmarktexpertin beim Schweizerischen Arbeitgeberverband. Sie sieht darum noch Handlungsbedarf, um die Bedürfnisse von Arbeitgebenden und -nehmenden besser an den Arbeitsalltag anzupassen. Private Betreuungsaufgaben müssten einfacher mit der Arbeit vereinbart werden können, denn: «Flexible Arbeitsmodelle und insbesondere das ortsunabhängige Arbeiten werden sich auch nach der Pandemie weiter etablieren», so Lützelschwab.

Überholtes Arbeitsrecht
Die Bestrebungen um eine Flexibilisierung des Arbeitsgesetzes sind nicht neu. 2016 reichte der damalige Ständerat Konrad Graber von der Mitte eine Parlamentarische Initiative ein. Diese will mittels Ergänzungen im Arbeitsgesetz eine Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes erreichen: unter anderem sollen damit Arbeitszeitregeln für leitende Angestellte und Spezialisten in ähnlicher Stellung in Dienstleistungsunternehmen gelockert werden. Oder für erwachsene Arbeitnehmer die Ruhezeit einmal in der Woche bis auf acht Stunden herabgesetzt werden können. Die Initiative steckt mit Fristverlängerung noch immer im Ständerat.
Auch der Schweizerische Gewerbeverband (sgv) forderte 2020 in einem Grundlagenpapier eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts. Laut dem bei sgv Ressortleiter Dieter Kläy konnten in den vergangenen Jahren sozialpartnerschaftlich auf dem Verordnungsweg zwar bereits einige «branchenspezifische Liberalisierungserfolge» (siehe Kasten) erzielt werden. Doch nun sei die Zeit für eine gesetzliche Anpassung des Arbeitsrechts gekommen. Die Home-Office Pflicht habe aufgezeigt, wo die Grenzen des über 50-jährigen Arbeitsrechts liegen würden, das immer noch einem längst vergangenen, industriellen Zeitgeist anhänge.

Schutz vor sich selber
Durch die Coronapandemie sind viele Arbeitnehmende zum Arbeiten von zu Hause aus verpflichtet worden. Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass sich «hybride Arbeitsmodelle» – teils zu Hause, teils im Büro oder anderswo – auch in Zukunft stärker in der Arbeitswelt etablieren werden. Wer bereits Erfahrungen im Homeoffice sammeln durfte, der weiss, dass sich einem zu Hause bezüglich Arbeitszeiten gewisse Flexibilisierungsmöglichkeiten bieten – und sei es auch nur, weil der Arbeitsweg entfällt. Doch gibt es unter den heute geltenden gesetzlichen Bestimmungen überhaupt Möglichkeiten, sich die Arbeit zu Hause flexibel zu gestalten und ist eine stärkere Vermischung von Arbeit und Privatem überhaupt sinnvoll?
Was klar ist: die gesetzlichen Vorschriften betreffend Arbeits- und Ruhezeiten gelten auch im Heimbüro. «Homeoffice bedeutet einzig und alleine eine Verschiebung des Arbeitsortes vom Betrieb nach Hause», fasst es Nicole Vögeli Galli zusammen. Die Dozentin für Arbeits- und Personalrecht an der ZHAW School of Management and Law sagt, dass zwar viele Arbeitnehmende lieber eine flexiblere Handhabung der Arbeitszeiten hätten, um zum Beispiel die Freizeitgestaltung oder Kinderbetreuung besser abdecken zu können. Dennoch müssten die Arbeitgebenden dafür besorgt sein, dass die Vorschriften – selbst gegen den Willen der Arbeitnehmenden – eingehalten werden. Schlussendlich schützten die Vorschriften die Arbeitnehmenden auch vor sich selber.

Homeofficetag = Arbeitstag
«Es mag auf den ersten Blick bestechend sein, vor sechs Uhr bereits etwas zu erledigen, dann die Kinder für Schule bereit zu machen und so weiter», so Vögeli Galli. Dies führe jedoch zu einer Vermischung von Arbeit und Privatem, sehr langen Tagen und zumindest teilweise auch zu weniger konzentriertem Arbeiten.
Auch Brigitte Kraus, Inhaberin der Agentur für Arbeitsrecht und Mitarbeiterkommunikation Konzis in Zürich, weist darauf hin, dass ein Homeoffice-Tag grundsätzlich ein Arbeitstag bleibe. «Es handelt sich nicht um einen freien Tag, an welchem man freien Ermessens Ausflüge planen kann oder die Kinder zu Hause betreut», so die Juristin.
Rechtsanwalt Pascal Domenig wiederum beobachtet, dass Arbeitgeber fürs Homeoffice oder das mobile Arbeiten teilweise restriktivere Vorgaben vorsehen als bei der Erfüllung der Arbeitspflicht im Büro. Für den Dozenten für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht ist das Vertrauen in die Mitarbeitenden beim Arbeiten von zu Hause aus allerdings noch elementarer als Kontrolle: «Sollte das Bedürfnis nach Kontrolle grösser sein, so ist von dieser Arbeitsform abzusehen», rät Domenig.

Flexibilisierungen möglich
Sowohl Domenig als auch Kraus sehen auch unter den jetzigen gesetzlichen Bestimmungen Flexibilisierungsmöglichkeiten bezüglich Arbeitszeiten im Homeoffice – wenn auch nicht im selben Ausmasse. «Obschon durch die Vorgaben im Arbeitsgesetz enge Schranken gesetzt werden, kann beim Arbeiten zu Hause zumindest bis 23 Uhr sowie auch an Samstagen gearbeitet werden», sagt dazu Pascal Domenig. Auch empfehle es sich, keine fixen Blockzeiten oder bestimmte Erreichbarkeiten zu definieren. Zudem sollte es Arbeitnehmenden erlaubt sein, Überstunden im Homeoffice leisten zu dürfen. «Es kann nicht sein, dass die Leistung von Überstunden nur im Betrieb erbracht werden darf».
Brigitte Kraus hingegen sieht nach geltender Gesetzeslage «einen grossen Flexibilitätsspielraum» für die Arbeit in den eigenen vier Wänden. «Wenn der Arbeitgeber es zulässt, so kann der Mitarbeitende seine Arbeitszeit frei zwischen sechs und 20 Uhr oder auch bis 23 Uhr einteilen», sagt Kraus. «Das scheint mir doch eine recht grosse Bandbreite zu sein». Des Weiteren empfiehlt sie Mitarbeitende im Homeoffice der vereinfachten Arbeitszeiterfassung zu unterstellen, bei der statt der genauen Uhrzeiten nur dokumentiert werden muss, wie lange man pro Tag arbeitet.

Praxis bestimmt Präsenz
Letzten Endes bestimmt sich der Grad der Flexibilisierung im Homeoffice laut Brigitte Kraus aber weniger durch die Gesetze, als vielmehr dadurch, wie man die Zusammenarbeit im Team gestaltet. Dies hätten ihre Erfahrungen in den letzten zwei Pandemiejahren gezeigt. Auch Pascal Domenig weist darauf hin, dass sich die zeitliche Präsenz respektive Erreichbarkeit im Homeoffice meist durch Kundenbedürfnisse oder informell im Team – etwa durch einen gemeinsamen Call – ergeben würden.
Was halten Arbeitsrechtexpertinnen und -experten von den durch Wirtschaftsverbände angestrebten allgemeinen Flexibilisierungen der Arbeitszeiten im Arbeitsgesetz? «Das Schweizer Arbeitsrecht inklusive Arbeitsgesetz mit den Arbeitszeiten- und Ruhezeitvorschriften ist eines der besten der Welt und bietet angemessene Strukturen sowie Flexibilität», sagt dazu Nicole Vögeli Galli von der ZHAW. Sicherlich könnte bei einzelnen Fragen diskutiert und geändert werden, viel brauche es aus ihrer Sicht aber nicht.

Flexibilität – für wen?
Ähnlich tönt es beim ehemaligen Professor für Privat- und Handelsrecht an der Universität St. Gallen, Thomas Geiser. Eine weitere Öffnung des Arbeitsgesetzes ist aus seiner Sicht nicht nötig. «Das Arbeitsgesetz selbst sowie auch der Verodnugnsweg bieten bereits jetzt sehr viele Flexibilisierungsmöglichkeiten», sagt Geiser. Es sei aber wichtig, dass die Kombination der verschiedenen Abweichungen von den normalen Arbeitszeitreglungen nicht zu ausbeuterischen oder gesundheitsschädigenden Arbeitszeiten führe. «Das garantiert die Verordnung mit den Sonderregelungen, weil diese so einen gewissen Ausgleich schaffen», so Geiser.

Marcel Hegetschweiler

Fachjournalist Wirtschaft und Gesellschaft

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