Wer bringt die Welt in Ordnung? Die Politik? Oder doch ich?

Wie jedes Jahr bewerten wir, was die Klimakonferenz gebracht hat, meist mit schlechten Noten. Zu zögerlich, zu viele Kompromisse. Doch nehmen wir mal an, die Klimakonferenz hätte sämtlichen Dringlichkeiten entsprochen, ein Maximum an Klimaschutz beschlossen, radikal das Ende des fossilen Zeitalters eingeläutet. Würden wir applaudieren? Sähen wir den Planeten gerettet, die Menschheit vor dem Verbraten verschont? Den Weihnachtsurlaub gesichert?

Wir schreckten bald auf. Weil uns dämmerte: Oh Gott, nun müssen wir ändern, was uns am liebsten ist, unsere Gewohnheiten, unseren Lebensstil, unseren Trott. Fürs Klima, dachten wir, sind andere zuständig, die Industrie, die Landwirtschaft, Politik. Nun merken wir: Bei all den klimastabilisierenden Massnahmen hängen wir selber dran, wir Endverbraucher, wir mit unserem täglichen Billigschnitzel, unserem Zweitauto, unserem Klamottenberg, unserem dauernden Streamen, unserer Teneriffasehnsucht.

Ich las mal einen wunderbar schlauen Kommentar (vergessen wo, sträflich), der spielte mit diesem Gedanken: Die Leute der Politik, die sich an der Konferenz treffen, hätten längst wirksamere Abkommen getroffen, sie trauten sich bloss nicht, hernach ihren Völkern die Wahrheit zu erzählen. Sie, die doch stets davon reden, uns alle reicher zu machen, für mehr Wohlstand zu sorgen. Sie müssten nun wohl von Einbussen erzählen: dass wir den Lebensstil ändern, den Konsum mässigen, uns von ein paar Gewohnheiten entwöhnen müssten. Schwierig. Sie gälten ab sofort als doktrinäre Spassverderber. Bevormunder! Verbotsapostel!

Also doch bei mir beginnen? Wie komisch sehe ich denn sonst aus? Rede seit Jahr und Tag über die Dringlichkeit der Krisen (die kein ernsthafter Zeitgenosse mehr bestreitet), bin stets gründlicher über die Risiken informiert, doch mit der Zeit beherrsche ich auch die Routine stets besser, sie zu verdrängen; ich mache grosso modo weiter, ich kenne ja nichts anderes – und warte auf die nächste Konferenz. Etwas lausig, die Figur, oder nicht?

Anderseits: Ich sitze nicht an den wichtigen Hebeln. Nur – ohne uns Einzelne greifen auch die grossen Hebel nicht. Worauf also warten? Wir waren doch grad in der Schweiz immer stolz darauf, uns selber zu helfen, die Dinge selber an die Hand zu nehmen – statt an den Staat zu delegieren. Warum machen wir uns also nicht zu Akteuren des Wandels – zumal staatliche Programme sonst an uns vorbeirauschen wie die Windräder, die keiner haben will im Hinterhof.

Ich rette die Welt nicht, wenn ich Müll vermeide, keine Esswaren wegwerfe, im Zug fahre, das Schnitzel auf Sonntag reserviere. Aber vielleicht rette ich mich. Meine Selbstachtung. Meinen Stolz, ein Mensch zu sein. Kein willenloses Gewohnheitstier. Kein Hanswurst der Überflussgesellschaft. Nicht im Dauerclinch mit meinen Werten lebend. Sondern einigermassen erwachsen – so in der Haltung: Hey, das ist meine Welt, da bin ich zuständig.

Mit solchen Bürgern würde Politik sich sputen, mit Vergnügen.

Ludwig Hasler

Philosoph, Physiker, Autor und Menschenkenner lhasler@duebinet.ch

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