Weiterbildung: Wettlauf um KI-Neulinge

Durch künstliche Intelligenz KI verändern sich Berufe gerade in der Kommunikationsbranche und es entstehen Berufsbilder wie AI Writer, AI Grafikdesigner oder Prompt Engineer. Das sorgt für Aufbruchstimmung bei Weiterbildungsinstitutionen, Abendschulen und Online-Universitäten – und für eine neue Unübersichtlichkeit.

Bild Adobe Firefly/mit KI generiert

Richtig mit der KI kommunizieren will gelernt sein.

Viele Weiterbildungs- und Wirtschaftsschulen bieten mittlerweile Kurse zum Thema KI für Unternehmen an. Eine von ihnen ist die Wirtschafts- und Informatikschule HSO mit Hauptsitz in Zürich. Der Onlinekurs «KI-Professional» wurde im vierten Quartal 2023 erstmals durchgeführt, damals mit 14 Studierenden. Ab März 2024 startet die zweite Durchführung – mit mehr als doppelt so vielen Anmeldungen. Auch Banken wie die Raiffeisenbank oder Verbände wie AM Suisse oder der Treuhandverband führen bereits Kurse oder Webinare unter dem Motto «KI für KMU» durch.

Der Jungunternehmer Vadim Tschanz hat in Basel ein Startup «GPT-KMU» lanciert: Er verspricht «massgeschneiderte Schulungen zur Implementierung von ChatGPT». Obwohl er bei der Akquise den Fokus eher auf kleine KMU legte, sei der Kurs eher unerwartet auf mehr Interesse bei grösseren etablierteren Unternehmen gestossen. Seine Erklärung: «Ich kann mir vorstellen, dass kleine KMU etwas dynamischer unterwegs sind, da sie noch einen gewissen Startup-Spirit haben und gerne Neues ausprobieren. Grössere Unternehmen können in den Prozessen oft etwas festgefahrener und träger sein. Daher wird nicht viel experimentiert, bis ein Appell von der Chefetage kommt.» Grössere Firmen hätten wohl auch ein grösseres Budget.

Wenn also bei vielen KMU Autodidaktiker am Werk sind: Worauf legt er in seinen Schulungen dann den Fokus? «Wir versuchen zunächst, die Mitarbeiter zu desensibilisieren, da viele mit dem Begriff Artificial Intelligence etwas überfordert sind und meinen, man müsse viel Zeit investieren, um sich damit auszukennen. Tatsächlich geht dies ganz schnell, wir erklären die Basics, wie man Prompts («Eingabeaufforderungen») formuliert, geben dann einige Beispiele in verschiedenen Geschäftsbereichen und zeigen spielerisch, was alles möglich ist. Wir legen einen starken Fokus darauf, die Kreativität zu fördern», sagt Tschanz.

Kann die KI inspirieren?

Eine Absolventin des ersten Moduls des Diplomlehrgangs «Schreiben und Gestalten mit ChatGPT/Midjourney» der Stiftung Text Akademie ist die Texterin und Konzepterin Nicole Wüthrich, Inhaberin der Agentur Webrezept.ch in Winterthur. Den Diplomkurs und den CAS-Hochschulstudiengang Digital Publisher – AI Writer/AI Prompter bietet die Akademie in Partnerschaft mit der Hochschule für Wirtschaft Zürich HWZ an. «Für mich ist es vor allem eine Inspirationsquelle, weil ich neue Gedanken vorgeschlagen erhalte. Der Textgenerator ist wie ein Sparringpartner», sagt Wüthrich, Nutzerin erster Stunde von ChatGPT. «Denn Texten ist oft eine sehr einsame Tätigkeit. Mit ChatGPT gibt es ein Hin und Her, und auch wenn die KI ihre Grenzen hat, entsteht so etwas wie ein Austausch – wie wenn man einer Person gegenüber sitzt.»

Texten ist oft eine sehr einsame Tätigkeit. Mit ChatGPT gibt es ein Hin und Her, es entsteht so etwas wie ein Austausch.

Nicole Wüthrich, Texterin und Konzepterin, Winterthur

Seit der Lancierung von ChatGPT anfangs 2023 tauchen laufend auch neue AI-Tools auf – zum Beispiel «Claude 2» als Alternative zu ChatGPT – oder das gerade entstehende «Schweizer ChatGPT» vom KI-Forschungsinstitut in Davos. Unter dem Namen SwissGPT will eine Allianz aus Universitäten, Hochschulen und Privatwirtschaft das Nonplusultra für KMU schaffen: Das KI-Startup AlpineAI lanciert eine Schweizer Version von ChatGPT für Firmen: Gemäss Mitgründer und Verwaltungsrat Thilo Stadelmann von AlpineAI bietet Swiss GPT in einer ersten Phase einen sicheren Zugang zu bereits existierenden LLMs (Large Language Model) wie etwa ChatGPT. Oft wird wie in letzterem Beispiel bestehende Software neu genutzt.

Kommunikationsbranche stark betroffen

Branchenunabhängig könne jeder von der generativen KI profitieren, «der entweder kreativen Output oder Struktur benötigt», sagt Vadim Tschanz. Er vermutet aber, dass am ehesten das Marketing, gefolgt von Human Resources Abteilungen bei Rekrutierung, Mitarbeiterentwicklung, Schulungen, Mitarbeiterevents etc. profitieren können. «Manager könnten wiederum Hilfe und Übersicht bei Struktur und Organisation erhalten, bei Abläufen, Prozessen, Agenden.» Er spüre im Finanzbereich hingegen eher Zurückhaltung beziehungsweise Hürden, die Datenanalyse sei beispielsweise eine Herausforderung, «vor allem wenn es um komplexe Dateien geht wie Finanzberichte, Jahresabschlüsse oder ähnliches.»

Nicht bei jeder Bank ist man zurückhaltend. Die Raiffeisenbank bietet sogar KI-Workshops für KMU an – allerdings auch nicht fürs Finanzwesen. «Marketing, Kommunikation und Werbung sind die Klassiker, doch generative KI kann auch etwa in der IT beim Programmieren oder im Personalwesen unterstützen», sagt Spiros Doukas, Geschäftsführer Raiffeisen Unternehmerzentrum. Im Personalwesen schlage die Software zum Beispiel auf Basis anonymisierter hochgeladener Dossiers die fünf besten Kandidaten vor.
Bei der Wirtschafts- und Informatikschule HSO, so Antonio Bordini, Leiter Studienmanagement, führten die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von KI zu einem breiten Branchenfächer an Studierenden. Diese stammten aus diversen Branchen, besonders aus solchen mit Fokus auf Industrie, Technik und Logistik.

Resultate kritisch überprüfen

Bei aller Euphorie müsse man aber immer auch vorsichtig sein bei der Interpretation der neu generierten Texte, findet Texterin Nicole Wüthrich. «Es kommen da manchmal schon Inhalte, die überhaupt nicht stimmen.» Damit die Resultate möglichst präzise seien, sei das Prompten sehr wichtig – damit ist die Eingrenzung des Themas und die Befehlseingabe an die KI gemeint, Gewichtung, Schreibstil oder Textlänge müssten oft genau definiert werden. «Für mich als Texterin ist er mittlerweile sehr wichtig geworden. Ich schreibe etwa viele Konzepte für Webseiten mit der KI.» Vorwiegend entstehen so mit der KI Webseiten-Texte und Image-Broschüren. «Und dennoch übernehme ich nie eins zu eins einen Text von ChatGPT.»

Risiken bei der KI-Nutzung

Auch Vadim Tschanz warnt davor, alles was GenAI liefert als Wahrheit anzunehmen. Fehler seien nicht ausgeschlossen, insbesondere dann, wenn Daten aus Dateien gelesen und analysiert werden sollen. «Es ist also immer wichtig, die Ergebnisse zu kontrollieren und es eher als Ergänzung an Stelle eines Ersatzes eigener Arbeitsleistung zu sehen.» Mittlerweile sei es für geschulte Leute einfach, einen mit KI verfassten Text zu identifizieren. «Solche erkenne ich sehr oft bei LinkedIn-Posts», sagt Tschanz. So werde ein augenscheinlich qualitativ hochwertiger Text sehr schnell als Massenabfertigung wahrgenommen, was billig wirke. Mit den richtigen Prompts könne man dies umgehen, doch dazu brauche es Übung. «Grundsätzlich bin ich aber überzeugt, dass man sich alles ziemlich einfach autodidaktisch durch Learning by doing aneignen kann, vor allem, weil es auch Spass macht.» Als weitere «Gefahr» betrachtet er mögliche gesetzliche Bestimmungen und Regulierungen, um die Nutzung einzuschränken. So müsse man ein Auge auf den EU AI Act werfen – der Vorschlag fürs weltweit erste AI-Gesetz.

Nicole Wüthrich ist überzeugt: Die neuen generativen Möglichkeiten mit der KI beeinflussen die ganze Kommunikations- und weitere Branchen. Auch für die Grafikerin, mit der sie zusammenarbeitet, sei die KI für die Bildgenerierung eine Inspirationsquelle. «Man sollte aber nicht alles mit der Maschine machen lassen, sonst resultiert ein Einheitsbrei», sagt Wüthrich. Sie vergleicht die Kontrolle der Inhalte mit dem Gassigehen. «Manchmal zieht der Hund an der Leine und möchte eine Richtung vorgeben. Da entscheidet sich, ob ich das Sagen darüber habe, wo es langgeht.»

Um nebst dem beinahe grenzenlosen Einsatz der generativen KI auch auf die Gefahren hinzuweisen, beinhaltet bei der HSO der Lehrgang ein eigens dafür entwickeltes Modul «Ethik».

Keine verbindlichen Titel

Trotz neuen Ausbildungen wie «AI Writer», «AI Prompter», «AI Grafikdesigner» oder «Prompt Engineer» meint Antonio Bordini von der HSO auf Anfrage, es gebe noch keine internationalen Standards für verbindliche Berufstitel. «Dies wird (zumindest für den Moment) auch fast nicht möglich sein, da sich die Technologie, Anwendungsbereiche und die zur Verfügung stehenden Tools praktisch täglich erweitern.»

Vadim Tschanz hat sich mit seinem Startup «KMU-GPT» auch mit dem Thema beschäftigt, einen Titel einzuführen, jedoch gebe es im Weiterbildungsbereich diverse Zertifikate von Schulen, die eher Schein als Sein seien. «Wir haben deshalb ein Meeting mit einem Account Manager von OpenAI (die Softwarefirma, die ChatGPT und den Bildgenerator DALL-E lancierte) geführt und mit ihm darüber gesprochen, ob es möglich ist, uns als Schule zu zertifizieren und anerkannte Zertifikate für Kursteilnehmer auszustellen.» Seitens der OpenAI sei noch keine Zertifizierung in Planung. «Das wird wohl daran liegen, dass dieses Unternehmen ein Wachstum erlebt, welches kaum greifbar ist und sie ihre Ressourcen zunächst in andere Ziele stecken.»

Fachleute und Ausbildner sind sich einig: Die bei vielen Unternehmen noch experimentell und wenig systematisch genutzten Text- und Bildgeneratoren werden auch den Arbeitsmarkt verändern. Antonio Bordini von der HSO wagt eine Prognose: «In den nächsten Jahren könnten vor allem repetitive Aufgaben wie das Verfassen von Berichten oder das Generieren von Bildern vermehrt von Text- und Bildgeneratoren unterstützt werden. Dadurch könnten sich einige Berufe, die auf diese Tätigkeiten angewiesen sind, entsprechend verändern.» Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI werde erwartungsgemäss in vielen Bereichen der Wirtschaft zunehmen, doch viele Berufe würden andererseits weiterhin menschliche Kreativität, emotionale Intelligenz und komplexe Problemlösung erfordern.

«Ich glaube, redaktionelle Arbeit wie das Verfassen von Zeitungsartikeln werden wohl etwas Mühe haben», schätzt auch Vadim Tschanz. «Ich erkenne auch eine massive Flut an E-books, welche mit AI erstellt werden. Ich selber habe aus Spass auch schon ein Buch ‹geschrieben›, das geht mittlerweile sehr einfach.»

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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