Was habt ihr gegen Arbeit, liebe Ypsiloner und Zler?

Seit drei Jahren wechsle ich wöchentlich Briefe mit Samantha, einer exakt 50 Jahre jüngeren Frau. In 24 Schweizer Zeitungen. Klar, dass da Arbeit ein Dauer- und Reizthema ist. Unser Disput zeigt, wie Jung und Alt zur Arbeit stehen:

Ich. Für meine Generation galt: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. War prima für Arbeitstugenden wie Fleiss, Ausdauer. Ungünstig für innere Motivation; begann doch das Vergnügen, wenn die Arbeit vorbei war – Feierabend, Wochenend, Urlaub, Pensionierung. So geriet Arbeit in den Geruch des Missvergnügens, Freizeit erschien als das wahre Leben. Die Y-Generation verwirft diese Trennung. Will Vergnügen beim Arbeiten. Sogar ich finde: Der Arbeit kann nichts Besseres passieren. Das nimmt ihr den Zwangsgeruch.
Samantha. Das sehen auch wir Jungen als Fortschritt. Sicher ist es erträglicher, aus Neigung zu arbeiten – statt aus Not und Pflicht. Nur droht da eine neue Falle: Wir könnten am Ende unsere Arbeit noch lieben – und dann wären wir verloren. Wer seine Arbeit liebt, kommt nicht mehr von ihr los, verwischt jede Grenze zwischen Arbeit und Freizeit, verschwendet am Ende seine Freiheit an Arbeit.
Ich. Warum wäre das so schlimm? Wozu sind wir auf diesem Planeten? Zum Flanieren und Partymachen? Ist prima zwischendurch. Danach aber wollen wir doch etwas tun, das auch für andere etwas bedeutet: Bauen, Ernährung, Bildung, Gesundheit, Verkehr … Ist doch der Charme des Arbeitens: dass ich etwas mehr bewege als mich selbst. Dass ich mitwirke an etwas, das wichtiger ist als mein Ego. Was soll daran unfrei sein?
Samantha. Dass wir mit unserer Arbeit einem System zudienen, das sich als zerstörerisch erweist. Der Kapitalismus brachte zwar Vorteile, etwa Sozialsysteme, Schulbildung, höhere Lebenserwartung. Doch zu welchen Kosten? Durch das ständige Wachstum haben wir die Umwelt ausgebeutet, in einem Ausmass, dass es zur Bedrohung für die Menschheit wird. Indem wir weniger arbeiten, entziehen wir uns diesem System. Ich schlage also vor: Faulenzen als Akt des Widerstands.
Ich. Und dann? Auf zur letzten Party? Ohne neuen Aufschwung keine neuen Wohnungen, keine Startups, keine schlauere Technik. Und der ökologische Umbau – wer finanziert den? Samt Prämienverbilligung, Kita, Studium, Elternurlaub, Renten etc.? Kehrt, ohne Wachstum, Stillstand ein? Schön wärs. Nein, wir würden serbeln. Auch innerlich. Ohne Aussicht auf ein besseres Leben drehen wir durch.

So ungefähr läuft unser Disput – und mündet in die Wachstumsfrage. Gibt es eine andere Sorte Wachstum? So etwas wie Wachstum nach innen. Intensiv statt expansiv. Mehr Qualität als Quantität. Raffinesse statt Masse. Mir fällt auf, wie die Logik des Luxus kippt. Luxus der Vergangenheit hiess Überfluss. Luxus der Zukunft strebt nach dem Elementaren, nach dem, worauf es existenziell ankommt: Zeit, Aufmerksamkeit, Ruhe, Sicherheit, Sinn – halt nach dem, was rar ist. Und darum kostbar. Also gut fürs Geschäft.

Ludwig Hasler

Philosoph, Physiker, Autor und Menschenkenner lhasler@duebinet.ch

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