Veloexperimente und eine Rad-WM, die polarisiert

Seit März ist der erste «Velo-Highway» in Zürich eröffnet. Doch auf den Strassen sorgen die Markierungen bisher eher für Verwirrung als für Entlastung. Auch die Rad-WM 2024 passt für viele Gewerbler und Anwohner zum Seebecken wie die Faust aufs Auge.

Bild Mark Gasser

Der «Velohighway» mit Blickrichtung Bullingerplatz ist noch zweispurig befahrbar, aber die grünen Streifen sind bei Regen weder gut sichtbar und rutschig noch deren Funktion ganz klar.

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Der «Velohighway» mit Blickrichtung Bullingerplatz ist noch zweispurig befahrbar, aber die grünen Streifen sind bei Regen weder gut sichtbar und rutschig noch deren Funktion ganz klar.

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Der «Velohighway» mit Blickrichtung Bullingerplatz ist noch zweispurig befahrbar, aber die grünen Streifen sind bei Regen weder gut sichtbar und rutschig noch deren Funktion ganz klar.

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Der «Velohighway» mit Blickrichtung Bullingerplatz ist noch zweispurig befahrbar, aber die grünen Streifen sind bei Regen weder gut sichtbar und rutschig noch deren Funktion ganz klar.

In Zürich soll in den nächsten Jahren ein durchgehendes Netz von Velorouten entstehen. Das Netz wird über 130 Kilometer umfassen, mindestens 50 Kilometer sollen im Sinne der Volksinitiative «Sichere Velorouten für Zürich» als Velovorzugsrouten oder «Velo-Highways» gestaltet sein. Für Nicole Barandun, Präsidentin des städtischen Gewerbeverbands (GVZ), zeigt sich immer mehr: Vielen Anwohnern betroffener Quartiere war bei der Abstimmung nicht bewusst, was die Umsetzung bedeutet: dass auch viele Parkplätze dran glauben müssen.

Die Velovorzugsroute zwischen Altstetten und dem Kreis 4 war der erste fertiggestellte Abschnitt eines Prestigeprojekts der Stadt Zürich. Die Route ist rund drei Kilometer lang und führt von der Baslerstrasse bis zur Stauffacherstrasse. Je nachdem müssen Autofahrende sich neue Routen zulegen, denn die Strecke ist für Autos nicht mehr durchgehend in beide Richtungen befahrbar.

«Der Ärger mit Velofahrern ist vorprogrammiert. Man bräuchte da klarere Regeln.»

Nicole Barandun, Präsidentin Gewerbeverband Stadt Zürich GVZ

Gemäss der Velorouteninitiative sollen die Vorzugsrouten zwar mehrheitliich autofrei sein, aber der Stadtrat nimmt – so heisst es in der Vorlage – Rücksicht auf Anwohner und Gewerbetreibende. «Dieser Teil ging glatt vergessen», ärgert sich Nicole Barandun.

Neu sind entlang der ersten Streckenabschnitte an der Bullingerstrasse beidseitig grüne Streifen aufgemalt worden, um die Vorzugsroute zu signalisieren, zahlreiche Parkplätze werden dafür gestrichen. «Diese Streifen gibt es gar nicht nach Strassenverkehrsrecht», sagt Juristin Barandun. «Und niemand weiss, was sie genau bedeuten.» Bereits wenige Tage nach Aufmalen der Velo-Highways ereignete sich beim Bullingerplatz ein schwerer Unfall mit einem schwer verletzten Velofahrer.

Problematisch ist aus Baranduns Sicht auch, dass Auto- und Velofahrer heute schon mit dem Plakatwald überfordert seien. «Ehrlich gesagt braucht es dann nicht neue Signalisationen, die niemand kennt und welche die Signalisationsverordnung gar nicht vorsieht», so Barandun.

Einsprachenflut

Kaum verwunderlich, dass diverse weitere Projekte für «Velo-Highways» – etwa jene in Höngg, in Schwamendingen und Oerlikon/Affoltern – durch Einsprachen blockiert sind. Auch die Velovorzugsroute Wollishofen–Brunau stockt, nicht zuletzt wegen der Mobilisierung der Anwohner im wenig befahrenen Quartier. Rund 480 Einsprachen sind so eingegangen, wie das städtische Tiefbauamt laut «Blick» bestätigte. Auch der GVZ hat Einsprachen koordiniert und mitfinanziert, der GVZ bekämpft unter anderem den Abbau von 104 (von 114) blauen Parkplätzen in Wollishofen, die Einführung eines Einbahnregimes, den Bau von erhöhten Fussgängerstreifen und eine neue, unpassierbare Haltestelle mit Belagsrampen.

Fürs Ein- und Ausladen von Waren gelten die grünen Streifen nicht als Verbotszeichen. Der Güterumschlag ist hier weiterhin erlaubt. «Der Ärger mit Velofahrern ist aber vorprogrammiert. Man bräuchte da klare Regeln», findet Barandun. Einer Forderung des GVZ nach mehr Güterumschlagplätzen komme die Stadt schon seit Jahren nicht nach. Sogar Besitzer einer Gewerbeparkkarte müssen fürs kurze Ein- oder Ausladen extra eine Tagesgebühr für 30 Franken kaufen. Güterumschlagplätze bestehen vor allem in Fussgängerzonen. In den Stadtquartieren würden sie immer mehr abgebaut. «Eine Strategie ist aus unserer Sicht nicht ersichtlich», so Barandun. «Und die Gewerbeparkkarte müsste das Parkieren auf den Güterumschlagplätzen erlauben.»

Diverse verkehrsberuhigende oder den Veloverkehr fördernde Massnahmen scheinen auch Versuchsballons zu sein: Punktuell will die Stadt nun etwa die Langstrasse tagsüber autofrei machen und die Durchfahrt und den Güterumschlag nur noch in den Seitenstrassen erlauben. «Sie sperren die Langstrasse wegen Lärms – tagsüber. Dafür kann man sie dann in beide Richtungen befahren. Der Maurer müsste ja nachts zum Spitzen kommen», sagt Roger Suter, der für die FDP Kreis 4+5 im Zürcher Gemeinderat sitzt.

Rad-WM sorgt für Ärger

Die eigensinnige Planung und Kommunikation sowie der fehlende Einbezug des Gewerbes und der Anwohner sorgt bei Suter auch bei einem anderen Thema für Kopfschütteln – und Ohnmacht: die trotz Alternativen mitten im Zürcher Seefeld geplanten Zieleinfahrten der Rad- und Para-Cycling-WM 2024 in Zürich im September zeige exemplarisch, welchen Stellenwert das Gewerbe für die Stadt habe. Das Gewerbe sei vorgängig nicht über die WM-Pläne und Streckenführungen informiert worden. «Wir haben es aus den Medien erfahren», so Suter. Auch Marianne Zambotti, Präsidentin des Bezirksgewerbeverbands Meilen, konstatiert in der Küsnachter «Dorfpost»: «Das Ausmass der Einschränkungen hat sich erst nach der Vorstellung des Verkehrskonzepts gezeigt.» Die Sperrung der Hauptschlagader Seestrasse treffe gerade die unteren Gemeinden am See hart.

Roger Suter an der Witikonerstrasse – die Hauptschlagader für den motorisierten Verkehr während der Rad-WM 2024.

Bild Mark Gasser

«Wir Handwerker erleben während der Rad-WM 2024 einen Lockdown», sagt Malermeister Roger Suter. Seine Mitarbeiter könnten dann nicht mal Jalousieläden spritzen, da sein Geschäft in Witikon wegen der Umleitung zeitweise gesperrt sein wird.

Bild Mark Gasser

«Wir Handwerker erleben während der Rad-WM 2024 einen Lockdown», sagt Malermeister Roger Suter. Seine Mitarbeiter könnten dann nicht mal Jalousieläden spritzen, da sein Geschäft in Witikon wegen der Umleitung zeitweise gesperrt sein wird.

Nebst einem Perimeter, in den man tagsüber gar nicht hineingelangt, was vielen Geschäften zusetzen wird, erwarten Barandun und Suter auch sonst, dass der Verkehr über weite Strecken praktisch zum Erliegen kommt. Betroffen sind KMU im Seefeld, teilweise in Hottingen – aber vor allem in Witikon. Denn der Verkehr während der Rad-WM soll weitgehend über die Witikonerstrasse zur Forchstrasse geführt werden. Derweil werden die meisten Seitenstrassen in Witikon gesperrt sein. «Ich werde mit Fahrzeug gar nicht in meine Werkstatt gelangen», sagt Suter, der in Witikon ein Malergeschäft führt. Seine Mitarbeiter, die etwa aus Horgen, Dietlikon oder Mönchaltdorf kommen, könnten dann nicht mal Jalousieläden spritzen. «Wir Handwerker erleben während der Rad-WM einen Lockdown.» Suter verordnet daher mehrere Tage Ferien. Gemeinsam mit Susanne Brunner, Präsidentin des Gewerbevereins Seefeld, hat er im Februar eine Dringliche Anfrage an den Stadtrat mit 55 Mitunterzeichnenden eingereicht.

Zwangsferien unumgänglich

Auf die Frage an den Stadtrat, ob der erzwungene Arbeitsausfall während der WM durch Kurzarbeitsentschädigung kompensiert werden könnte, meinte die Stadtregierung sinngemäss: Man hat nun anderthalb Jahre Zeit, sich vorzubereiten, Unterstützung vom Staat ist keine zu erwarten. «Auf gut Deutsch: Wir sollen Überstunden machen und diese dann einziehen», so Suter konsterniert. Die Vollsperrung in Witikon dauert fünf Tage, inklusive eines Wochenendes. «Das tangiert daher vor allem den Detailhandel und Restaurants in der Umgebung». Ausnahme: abends ab 19 Uhr bis morgens um 5 Uhr. Zwei zusätzliche Buslinien für Witikon sollen die wegfallenden Zufahrtsmöglichkeiten auffangen. Weiter räumt die Stadtregierung zwar Unannehmlichkeiten für Anwohner und «erhebliche Einschränkungen» für Bevölkerung und Gewerbe im Gebiet Ost und vor allem Witikon ein, ohne jedoch die Wahl des Seebeckens als Zielgelände aus mehreren Alternativen zu begründen.

«Wir Handwerker erleben während der Rad-WM 2024 einen Lockdown.»

Roger Suter, Malermeister aus Witikon und FDP-Gemeinderat Stadt Zürich

Allein das Gewerbe hat rund 60 Einsprachen gegen die WM-Pläne gemacht, aus Witikon waren es 30 (inklusive Anwohner). Handwerksbetriebe, Spitex, aber auch das Kinderspital in der Nähe des Hottingerplatzes und die Hirslandenklinik beim Balgrist wehren sich. Denn ausser bei dringlichen Notfahrten – und dazu gehören private Arztbesuche nicht – sind keine Überquerungen der Rennstrecken möglich. Auch der KGV hat Einsprachen mitfinanziert.

«Ich habe nichts gegen die Rad-WM: Das generiert Umsatz und Übernachtungen. Aber die Umsetzung ist gewerbeunfreundlich», sagt Suter. Immerhin: Die Stadt hat nun Mitsprache-Veranstaltungen durch die Dienstabteilung Verkehr aufgegleist. Barandun und Suter hoffen, dass die Stadtregierung im Zuge der Kritik aus fast allen Lagern bei der Streckenführung über die Bücher gehen wird.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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