Den müden Zürcher Löwen wecken
Wenig im beruflichen Palmarès von FDP-Kandidat Peter Grünenfelder deutete bislang auf einen Regierungsratssitz hin. In einer kantonalen Verwaltung war er bereits Führungsperson. Doch wer einen Schmusekurs mit der Verwaltung erwartet, täuscht sich. Disruptiv zeigt er eine klare Kante im Wahlkampf.
Beschwingten Schrittes, das Ohr am Smartphone, nähert sich Peter Grünenfelder im fast 200 Meter langen komplex der 1898 erbauten ehemaligen Giesserei «Puls 5». Sein Töffhelm glänzt im Sonnenlicht, der Casual-Look kontrastiert die Wahlplakate, von denen er mit Anzug und Krawatte lacht. Heute passt sein Stil ganz gut zum Industriecharme der Umgebung. Zwanglos genug, um mit anzupacken, seriös genug, um auch den Chef zu markieren. Er sei froh, dass die rund 40-köpfige Belegschaft vom «sozialistischen Umverteilungsquartier» in Wipkingen nun in eine Umgebung komme, die vor Innovation sprühe.
In seinem Büro sprüht er heute vor Gestaltungsdrang: Wo ist die beste Position des Arbeitstisches, der Docking Station? Wo kommt die Sonne rein? Und welche Konstellation begünstigt Ideen – per Definition der USP von Avenir Suisse? Ausser einem Grossraumbüro finden sich nur einige wenige separate Einzelarbeitsplätze und Sitzungszimmer am neuen Standort an der Giessereistrasse. Alle bringen ihre Notebooks mit – und stellen diese ganz gemäss der Clean-Desk-Policy flexibel an einen freien Arbeitsplatz. Sogar Grünenfelders Büro ist in dieser flachen Hierarchie keine Ausnahme: «Natürlich ist dies mein Büro. Doch keiner hat einen fixen Arbeitsplatz», sagt er beim Einrichten.
Bei aller Freude, die Grünenfelder anzusehen ist: Sollte er am 12. Februar 2023 in den Zürcher Regierungsrat gewählt werden, wird er das Büro schon wieder räumen müssen. Vielleicht ist es da gut, nicht allzu sesshaft zu werden. Fürs Bild nimmt er noch einen Akkubohrer in die Hand, auch wenn er lieber die vielen Studien von Avenir Suisse in die Regale einräumen würde. Der Bohrer ist Ornament, aber er passt eben doch: Grünenfelder bohrt gerne da, wo sich Papierberge stauen, Ideen verstauben und die Verwaltungsmentalität den Fortschritt blockiert. Vielmehr: Er bricht auf. Das jedenfalls verspricht er mit seinem «liberalen Aufbruch», den er für seinen Wahlkampf in zehn Punkten zusammenfasst.
Grünenfelder ist sportlich, schlank, selbstbewusst. Der 55-jährige springt zwischen Umzugskartons, Bohrschraubern, Bockleitern und Bücherregalen hin und her. Doch ist der Mann mit der Nickelbrille wirklich der Ruhestörer, der er vorgibt, im Regierungsrat sein zu wollen? Ganz dem klassischen Liberalismus verschrieben, will er am Denkmal der versöhnlichen Regierung rütteln – zumindest macht dieser Vorsatz einen nicht unwesentlichen Teil seiner Kampagne aus. Die leeren Regale in seinem Büro scheinen das zu unterstreichen: Entstauben, Entrümpeln ist angesagt.
Zweiten FDP-Sitz zurückholen
Doch von vorne. Einfach wird seine Mission, den 2019 verlorenen zweiten FDP-Regierungssitz zurückzugewinnen, nicht. Thomas Vogel verpasste es damals, den Sitz nach dem Rücktritt von Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger zu verteidigen. Grünenfelder schätzt seine Wahlchancen dennoch auf weit über 50 Prozent ein. Er wird kaum jene Klientel gewinnen können, die damals für den Grünen Martin Neukom – heute Bautirektor – stimmte. Jener Neukom, der (zusammen mit der SP) für die steigende Staatsquote steht, für die steigende Dauer für Baubewilligungen (zwei Wochen länger als der Schweizer Schnitt), für hohe Gewinnsteuersätze. Der Kanton Zürich liegt in all diesen Rankings auf hinteren Plätzen. Grünenfelder strebt so ziemlich das Gegenteil an: nämlich, die Exekutive unternehmensfreundlicher zu machen.
Wenn Sie ein Kind haben und sehen, was alles schiefläuft – da erleben Sie Nachhaltigkeit physisch, nicht bloss auf dem Papier
Peter Grünenfelder, Direktor Avenir Suisse und FDP-Regierungsratskandidat
Als Chef des liberalen Thinktank Avenir Suisse gehört es zu seinem Naturell, permanent zu fragen, welche Leistungen der Staat übernehmen muss. Dass auch – oder gerade – im Kanton Zürich während Corona die Verwaltung gewachsen ist, stört nicht nur ihn sichtlich. Von Unternehmensseite erhalte er ausserordentlich grosse Unterstützung für seine Kandidatur, ebenso aus breiten Kreisen im bürgerlichen Lager. Und nach Corona, dem Ukrainekrieg und der gefährdeten Stromversorgungssicherheit stünden ohnehin Themen im Vordergrund, die bürgerlich-liberale Lösungen erforderten. Daher richtet er seinen Wahlkampf so konkret wie möglich auf einzelne Fehlentwicklungen aus. «Ich will keine Wischi-Waschi-Politik», sagt Grünenfelder über die untypisch klare Kante im Wahlkampf.
Beispiel gefällig? Er will alle Sicherheitsorgane in einer Direktion zusammenfassen. Heute leiste sich der Kanton Zürich den Luxus zweier Sicherheitsdirektionen, und Cybersecurity ist zusätzlich in der Finanzdirektion angesiedelt. Aus 2 mach 1 in der Sicherheit, dafür will Grünenfelder eine Querschnittsdirektion für Digitalisierung schaffen und gleichzeitig das Stellenwachstum im öffentlichen Bereich stoppen. Im ganzen öffentlichen Sektor harze es bei der Digitalisierung. «Die Schnittstellen sind nicht bereinigt, der Wildwuchs an Digitalisierungsprojekten zeigt exemplarisch, wie jede Amtsstelle vor sich hin wurstelt», kritisiert er.
Lähmende Verwaltung
Grünenfelder ist nicht der erste, der sich anschickt, aus einer Verwaltung die administrative Leistungsfähigkeit herauszudestillieren. Aber er spricht aus Erfahrung, war er doch selber lange Jahre in Spitzenfunktionen im öffentlichen Sektor tätig: Vor seinem Wechsel zu Avenir Suisse sass er als Staatsschreiber im (schlankeren) Kanton Aargau bereits an einem Regierungstisch. Dort verantwortete er zahlreiche Reform- und mehrere Sparpakete und weiss um den Widerstand gegen Änderungen – wie etwa die Privatisierung der Zentralwäscherei. Wenn es ums Sparen geht, müsse man halt auch wegen solchen Detailfragen bis weit nach Mitternacht am Regierungstisch um Lösungen ringen.
Dass dem Kanton Zürich ein Reformschub gut tun würde, illustrierte Avenir Suisse 2021 mit einer Studie, «Der Löwe im Sleep Mode»: Sie ergab, dass Zürich gemäss dem «Freiheitsindex» gegenüber anderen Kantonen hinterherhinke und ein übermässiges Staatswachstum ausweise. Was wiederum administrative Prozesse (z.B. Baubewilligungen) verlangsame. Dafür nehme die Zahl abgewanderter Firmen überproportional zu.
Als wichtige Massnahme, um Zürich attraktiv zu halten, erachtet Grünenfelder daher eine Senkung der Gesamtsteuern um mindestens 10 Prozent (juristische plus natürliche Personen). Zürich hat den zweithöchsten Gewinnsteuersatz neben Bern. Gerade angesichts der wohl drohenden globalen OECD-Mindeststeuer gelte es, etwa bei der Einkommensbesteuerung schlaue Lösungen zu finden.
Ausgeprägte Verbotskultur
Was ihn allgemein an Exekutiven stört, ist die seit Corona zunehmende Tendenz, «die Menschen nach vorgespurtem Schema glücklich machen zu wollen.» Innovation und Glück könnten nicht staatlich verordnet werden – erst recht nicht mit einer (in Zürich im interkantonalen Vergleich ausgeprägten) Verbotskultur.
Seine Frau, FDP-Nationalrätin Christa Markwalder, habe sich wie er geärgert über die Auflösungserscheinungen der Parlamente während der Pandemie, inklusive ihres eigenen. «Diese Exekutivlastigkeit hat in unserem Land keine Tradition», sagt Grünenfelder. «Holt einmal die Realwirtschaft ins Gremium», forderte er im Einklang mit Verbänden wie dem KGV zur Besetzung der Covid Task Force.
Die Politik müsse auch offener werden für private Investitionen in Zukunftstechnologien – kurzum: Offener gegenüber dem freien Markt. Der Zwang, mit Ressourcen haushälterischer umzugehen, fördere im Gegensatz zu Verboten die Innovation. Wirksam im Kampf gegen die Klimakrise wären für ihn etwa Massnahmen wie Emissionshandel. «Unsere Umweltpolitik in der Schweiz ist stark symbolbehaftet», resümiert er.
Ein «weiter so» wie vor vier Jahren, als die Genügsamkeit seiner Meinung nach der FDP den zweiten Sitz kostete, wird man von ihm also nicht hören. Nur kritisieren könne man aber nicht. Bei seiner 1.-August-Rede in der Waldhütte Aesch sagte Grünenfelder, dass das Übernehmen von Verantwortung für die politische und kulturelle Vielfalt der Schweiz wichtig sei, damit die direkte Demokratie weiterhin funktioniere. Die Verwaltungsarbeit habe ihn gelehrt, «Problembewusstsein zu schaffen, dann aber auch Lösungsvorschläge einzubringen». Dazu benötige es viel Kommunikation, etwa mit Vertretern der Spitzenparteien. Die Gesamtregierung müsse endlich standortrelevante Fragen prioritär behandeln – auf Kosten des direktionalen Denkens, das heute vorherrsche und den Kanton blockiere, indem man mehr verwalte, Vorlagen einzelner Direktionen brüderlich durchwinke, dabei auf Gesamtstrategien verzichte.
Kernige Worte für einen, der bald im Kollegium die Interessen des Kantons vertreten will. Eine Motivation, den Kanton weiterzubringen, blieb noch unerwähnt: die Zukunft seines halbjährigen Sohnes. «Es klingt pathetisch, aber wenn Sie ein Kind haben und sehen, was alles schiefläuft – da erleben Sie Nachhaltigkeit physisch, nicht bloss auf dem Papier.» Folgen politischer Entscheide – etwa Fehlentwicklungen bei der integrativen Schule – auf den Bürger verständlich zu machen, hat so für ihn eine ganz neue Bedeutung erhalten. «Was bringt eine liberale Politik im Kanton Zürich für meinen Sohn? Ich versuche, so zu denken.» Mit anderen Worten: So lernen seine Entscheide, zu laufen. Doch erst muss er dafür wohl den behäbigen Zürcher Löwen wecken.